5. Ein Spiel, das man Jahre später noch spielen kann

Iwata:

Ich habe das Gefühl, dass Videospiele sich seit dem Erscheinen von „Super Mario Bros.“ 1985 verändert haben. Bis dahin haben wir Videospiele als etwas angesehen, das man in einer Spielhalle spielt. Man wirft eine Münze ein, und los geht’s. Aber jetzt konnte man auch zu Hause spielen. So z. B. „Donkey Kong“ von Nintendo oder „Xevious“ von Namco und viele Spiele von anderen Unternehmen. Aber „Super Mario Bros.“ war von Anfang an eindeutig für die Verwendung im eigenen Heim konzipiert. Ich glaube wirklich, dass Videospiele sich mit der Veröffentlichung von „Super Mario Bros.“, gefolgt von „Dragon Quest“16 grundlegend geändert haben. 16 Dragon Quest: Ein RPG, das im Mai 1986 von Enix (jetzt Square Enix) für das Famicom-System herausgebracht wurde.

Uemura:

Da haben Sie Recht.

Imanishi:

Ein weiterer wichtiger Faktor war meiner Meinung nach das Aufkommen von Charakteren mit Persönlichkeit und Wiedererkennungswert. „Super Mario Bros.“ brachte diese Entwicklung in Gang.

Iwata:

Mario wurde in Japan sehr beliebt und das Geschäft der Charakterlizenzierung begann.

Imanishi:

Damals hatten wir keine Lizenzierungsabteilung, daher wurde das alles von der Abteilung General Affairs gehandhabt. Zahllose Unternehmen wandten sich mit Lizenzanfragen an uns – der zuständige Mitarbeiter befasste sich schließlich mit nichts anderem mehr.

Iwata:

Tatsächlich?

Imanishi:

Aber damals meinte Mr. Yamauchi, es sei in Ordnung, Mario zu lizenzieren; Zelda hingegen sollte nicht lizenziert werden.

Iwata:

Warum denn das? Doch nicht, weil General Affairs dadurch so überlastet worden wäre, dass die Abteilung keine Zeit mehr für ihre sonstigen Aufgaben gehabt hätte, oder?

Imanishi:

Nein, nein, deshalb nicht. Er sagte, selbst wenn man Zelda lizenzieren würde, würde das Spiel Mario niemals schlagen können. Daher sollte Zelda seiner Meinung nach nicht lizenziert werden.

Iwata:

Wow. Das ist wirklich erstaunlich.

Imanishi:

Also haben wir damals nur Mario lizenziert.

Iwata:

Das spiegelt Mr. Yamauchis Überzeugung wider, dass die Beliebtheit von Unternehmen oder Personen im Unterhaltungssektor auf einer einzigen Sache beruht. Es hätte ja nichts gebracht, die Charaktere Mario und Zelda direkt miteinander konkurrieren zu lassen.

Imanishi:

Mario war einfach unglaublich beliebt. Was mich besonders erstaunt hat, als ich zuerst von „Super Mario Bros.“ hörte, war, aus wie wenigen Pixeln er bestand. Es wäre unmöglich gewesen, seine Haare zu zeigen, also bekam er eine Kappe. Um seinen Mund zu verbergen, erhielt er eine große Nase und einen Schnurrbart. Und er trug einen Overall.

Iwata:

Das gesamte Design beruhte auf der Funktionsweise– z. B. sollte einfach zu erkennen sein, in welche Richtung er blickte und lief.

Imanishi:

So war es am Anfang, aber selbst jetzt, da sich die Grafikkapazitäten der Spiele gesteigert haben, sind diese grundlegenden Konzepte gleich geblieben. Das ist vielleicht auch einer der Gründe, warum Mario auch nach 25 Jahren noch universell beliebt ist.

Iwata Asks
Uemura:

Im Augenblick versuche ich den Grund zu finden, warum man auch nach 25 Jahren noch Spaß am Spielen von „Super Mario Bros.“ hat.

Iwata:

Als Professor der Ritsumeikan-Universität analysieren Sie die Anziehungskraft von Videospielen auf wissenschaftliche Weise.

Uemura:

Ich stecke noch mitten in meinen Untersuchungen. Ich habe 2009 damit begonnen, und die Studenten, die meine Versuchskaninchen sind, sind jünger als „Super Mario Bros.“!

Iwata:

Natürlich – die heutigen Studenten wurden erst nach dem Erscheinen des Spiels geboren.

Uemura:

Keiner von ihnen hatte je zuvor „Super Mario Bros.“ auf dem Famicom gespielt. Ich filme, wie sie aussehen, wenn Sie mit dem Spiel beginnen, und auch alle Inhalte des Spiels. Wenn ich ihnen „Super Mario Bros.“ gebe, haben Sie sofort einen Riesenspaß.

Iwata:

Obwohl das Spiel gemacht wurde, bevor sie geboren wurden, können sie sofort in die Welt von „Super Mario Bros.“ eintauchen?

Uemura:

Ja. Wenn ich mir die Aufnahmen ansehe, habe ich das Gefühl, dass „Super Mario Bros.“ ein spezielles Geheimnis haben muss. Es macht Spaß, einfach dabeizustehen und zuzusehen; und es ist offensichtlich, dass der Spieler sich wirklich amüsiert. Ich lasse sie es dreimal spielen und sie alle danken mir, bevor sie gehen.

Iwata:

Sie danken Ihnen … (lacht)

Uemura:

Ja, sie sagen: „Vielen Dank!“ (lacht) Wenn man ihre strahlenden Gesichter sieht, hat man den Eindruck, dass das Spiel wirklich ein besonderes Geheimnis haben muss. Ich wette, die Leute werden auch in 50 oder 100 Jahren noch „Super Mario“ spielen und es immer noch toll finden.

Iwata Asks
Iwata:

Sie glauben, irgendetwas in dem Spiel bereitet einfach besondere Freude.

Uemura:

Ja. Die grundlegenden Elemente dessen, was den Menschen Freude bereitet, ändern sich ja nicht groß. Ich würde es also gerne mit ansehen, wie die Leute in 25 Jahren – obwohl ich dann nicht mehr leben werde – oder gar 100 Jahren „Super Mario“ genießen.

Iwata:

In so ferner Zukunft … (lacht)

Uemura:

Es ist ein Jammer, dass ich das nicht erleben werde … Aber vielleicht helfen mir meine Forschungsergebnisse, das Wesen des Spielvergnügens von „Super Mario Bros.“ genauer definieren zu können.

Iwata:

Das hoffe ich. Wir haben hier heute zwei erfahrene Experten, die eine wichtige Rolle für den fortwährenden Erfolg von „Super Mario Bros.“ gespielt haben …

Uemura:

Und das sind nicht nur schöne Erinnerungen … (lacht)

Imanishi:

Allerdings nicht! (lacht)

Iwata:

(lacht) Ich bin sicher, dass es nicht immer einfach war, aber selbst im Hinblick auf diese schweren Zeiten hat es sich doch gelohnt. Dadurch werden später andere Dinge erst möglich. Ich finde, es war das reinste Wunder, wie das Famicom aus dem Zusammentreffen von Zufall und glücklichen Umständen entstand und wie nach dem Überstehen diverser Ereignisse Mario genau zur richtigen Zeit auf der Bildfläche erschien – und bis heute so beliebt ist. Das war definitiv eine vergnügliche Reise. (lacht)

Uemura:

Da stimme ich zu. Auch nach 25 Jahren ist der Glanz noch nicht verblasst.

Iwata:

Etwas anderes ist mir heute im Verlauf unseres Gesprächs noch einmal bewusst geworden – und zwar, wie anders die Zukunft aussehen kann, je nachdem, ob es einem gelungen ist, eine Chance zu ergreifen, oder ob sie einem durch die Lappen geht. Ich hoffe, es gelingt uns, Marios universelle Anziehungskraft auch für zukünftige Generationen zu erhalten. Vielen Dank, dass Sie heute hier waren.

Iwata Asks
Imanishi undUemura:

Wir danken Ihnen.