1. Das Unbeschreibliche beschreiben

Einführung

(Anmerkung der Redaktion: Dieses Interview wurde erstmals am 13. September 2010 veröffentlicht.)

Iwata

Hallo allerseits, ich bin Satoru Iwata von Nintendo.Heute ist der 25. Jahrestag des ersten Super Mario Bros.-Spiels, welches am 13. September 1985 für das Family Computer System (japanische Version des Nintendo Entertainment System) veröffentlicht wurde. Und dank der Unterstützung unserer Kunden auf der ganzen Welt ist Mario immer noch voller Energie regelmäßig auf vielen Fernsehbildschirmen zu sehen. Ich möchte all unseren Kunden auf der ganzen Welt meinen Dank für Ihre Unterstützung während des letzten Vierteljahrhunderts aussprechen. Anlässlich des 25. Jahrestages von Super Mario Bros. führt Nintendo eine Kampagne durch und plant gleichzeitig die Veröffentlichung mehrerer „Iwata fragt“-Interviews, aus denen die Geschichte von Mario hervorgeht. Mein erster Gedanke war, Sie an einem Interview mit Mr. Miyamoto teilhaben zu lassen, der in erster Linie als Marios Schöpfer gilt. Aber da Mr. Miyamoto am häufigsten bei den „Iwata fragt“-Interviews zu Gast war, hatte ich schon unzählige Male die Gelegenheit, ihn zu befragen. Und je länger ich darüber nachdachte, erschien es mir besser, das Interview von jemand anderem als mir durchführen zu lassen, um Ihnen einen neuen Blickwinkel zu bieten. Wenn ich zurückdenke, habe ich wegen einer Begebenheit, die mir aufgefallen war, als mich Mr. Shigesato Itoi für seine Webseite “Hobo Nikkan Itoi Shinbun” interviewte, mit den „Iwata fragt“-Interviews angefangen. Als ich mit ihm sprach, wurde mir bewusst, wie viel tiefgründiger ein Gespräch sein kann, wenn man die richtigen Fragen auf die richtige Art und Weise stellt. Und da Mr. Itoi und Mr. Miyamoto sich schon sehr lange kennen, fand ich, dass Mr. Shigesato Itoi der perfekte Kandidat ist, Mr. Miyamoto zu seiner Philosophie als Schöpfer aus einem anderen Blickwinkel als dem meinen zu befragen und so dem 25. Jahrestag zu gedenken. Um nun also die Kampagne zum 25. Jahrestag zu eröffnen, präsentiere ich Ihnen ein “Shigesato Itoi fragt anstelle von Iwata: Super Mario Bros. - 25. Jahrestag”. Es ist ein richtig langes und tiefgründiges Interview geworden. Genießen Sie es! *Shigesato Itoi ist ein japanischer Texter, Autor und Spieledesigner. Er ist vor allem für seine einfachen, jedoch prägnanten Worte als Texter bekannt. All seine Arbeiten haben die moderne japanische Kultur, so wie man sie heute kennt, stark beeinflusst. Seine Webseite "Hobo Nikkan Itoi Shinbun" (Fast Tägliche Itoi-Nachrichten) verzeichnet täglich über 1,5 Millionen Seitenaufrufe und enthält eine Serie von Interviews mit vielen kulturellen Ikonen, darunter Satoru Iwata und Shigeru Miyamoto von Nintendo. Bei den westlichen Fans von Videospielen ist er am besten als Schöpfer von Nintendos Mother-Serie (in den Vereinigten Staaten als EarthBound-Serie) bekannt.

Miyamoto:

(sieht sich Bilder von Super Mario Bros.1 auf einem Großbildfernseher an) Wenn ich das jetzt so klar sehe, ist es mir ein bisschen peinlich. 1 Super Mario Bros.: Das erste Super Mario Action-Spiel wurde am 13. September 1985 für den Family Computer (Famicom) veröffentlicht. Der 13. September 2010 ist daher der 25. Jahrestag der Entstehung von Super Mario.

Itoi:

Ach, wirklich? Warum denn?

Miyamoto:

Damals erschien es auf den Röhrenfernsehern ein bisschen verschwommener. Die Bilder waren nicht so scharf. Die Stellen, an denen wir versucht haben, das zurecht zu pfuschen, stechen jetzt richtig heraus! (lacht)

Itoi:

Meinen Sie vielleicht, dass Sie die Umrisse der Berge im Hintergrund hätten ein bisschen schärfer zeichnen sollen?

Miyamoto:

Nein, die Umrisse entsprechen schon dem Besten, was wir mit der damaligen Technik erreichen konnten. Das ist nicht so peinlich.

Itoi:

Sie schämen sich also nicht wegen der Stellen, bei denen Sie ganz offen aufgegeben haben.

Miyamoto:

Genau. (lacht)

Itoi:

Das kann ich nachvollziehen. Aber wie man das korrigiert, ist eine schwierige Frage. Wenn ich mir Bücher ansehe, die ich früher geschrieben habe, ist mir das auch manchmal ein bisschen peinlich.

Miyamoto:

Ja, das kann ich mir vorstellen.

Itoi:

Das ist mir wirklich peinlich. Bei allem, was ich dann lese, denke ich, dass ich es heute nicht mehr so schreiben würde. Und hiermit meine ich alles, angefangen vom Schreibstil bis hin zur Verwendung von Kanji und Hiragana. Aber wenn ich darüber nachdenke, wie ich es verändern könnte, denke ich, dass dann etwas verloren ginge.

Miyamoto:

Ah…

Itoi:

Ich würde es heute zwar nicht mehr so machen, aber irgendetwas ginge verloren, wenn ich es verändere.

Miyamoto:

Ich verstehe, was Sie meinen.

Itoi:

Ja, wirklich?

Miyamoto:

Immer wenn wir an der Neuveröffentlichung eines alten Spiels arbeiten und mir etwas nicht richtig vorkommt, frage ich jemanden: „Aber so war das doch nicht?” Doch meistens antwortet man mir dann: „Doch, so war es.“ (lacht)

Itoi:

Oh. (lacht)

Miyamoto:

Ich glaube, ich würde es korrigieren, wenn ich das Spiel heute machen würde, aber diese Unebenheiten sind jetzt Bestandteil des Spiels und sogar gut aufgenommen worden.

Itoi:

Mit anderen Worten wollten Sie es damals so machen.

Miyamoto:

Genau.

Itoi:

Wenn zum Beispiel der Regisseur eines bekannten Films einen Director’s Cut herausbringt und eine Vielzahl von Details nachbearbeitet, ist das Ergebnis nicht immer besser als die Originalversion.

Miyamoto:

Richtig.

Itoi:

Aber gut, wir sind heute hier um über Marios … 25. Jahrestag zu sprechen, nicht wahr?

Miyamoto:

Ja, das stimmt. (lacht)

Itoi:

Wir beide sind heute hier, weil der Präsident von Nintendo, Herr Satoru Iwata, mich vor die ungewöhnliche Aufgabe gestellt hat, für ihn einzuspringen und Sie anlässlich des 25. Jahrestages von Mario zu interviewen.

Miyamoto:

Ich bin gespannt auf Ihre Fragen. (lacht)

Itoi:

Ich bin gespannt! Ich habe gehört, es soll “Fragen anstelle von Iwata” oder so ähnlich heißen …

Miyamoto:

(lacht)

Itoi:

Ich war überglücklich, dass er mich gefragt hat. Also habe ich bereitwillig angenommen. Und ich habe mich gefreut, weil wir schon so lange nicht mehr miteinander gesprochen haben. Ich nahm es ziemlich entspannt, bis Mr. Iwata sagte: “Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen das antun muss. Mr. Miyamoto zu diesem Zeitpunkt zu Mario zu befragen, wird nicht leicht sein.“ Plötzlich dachte ich: „Oh, oh! Das wird ganz schön schwer!“

Iwata Asks
Miyamoto:

(lacht) Nö, fragen Sie einfach, was Sie wissen wollen. Sie wissen doch, dass ich zwischendurch hier und da schon ein paar Interviews zu Mario gegeben habe, weil wir zum Ende des letzten Jahres gerade New Super Mario Bros. für die Wii veröffentlicht haben. Und jetzt zu Marios 25. Jahrestag sollten die Fragen schon alle ziemlich klar sein.

Itoi:

Das denke ich auch.

Miyamoto:

Darum habe ich mich auf heute gefreut. Was möchten Sie mich fragen? (lacht)

Itoi:

Na ja, vielleicht stelle ich nicht die Fragen, auf die jeder gern eine Antwort hätte. Daher könnte vielleicht jemand, der eigentlich nicht so gut für diese Aufgabe geeignet ist, sie vielleicht am besten erledigen!

Miyamoto:

(lacht)

Itoi:

Als diese nicht so geeignete Person habe ich ernsthaft über die heutigen Themen nachgedacht und bin zu folgendem Schluss gekommen …

Miyamoto:

Oh!

Itoi:

Das ist etwas, was wir gemein haben. Sie wissen doch, dass uns bei Interviews immer Fragen gestellt werden wie „Wie machen Sie das?“, „Wie sind Sie auf diese Ideen gekommen?“ und „Was ist Ihr Trick, so großartige Sachen zu machen?“. Sie und ich können das nur schwerlich erklären und sagen am Ende immer: „Das ist schwer, in Worte zu fassen.“

Miyamoto:

Mhm, mhm. (lacht)

Itoi:

Wenn wir sagen: „Ich kann es nicht in Worte fassen”, meinen wir eigentlich: „Ich kann das, was ich mache, nicht erklären” und „Ich habe noch nie darüber nachgedacht” und “Sie sollten das nicht so unvorbereitet fragen.”

Miyamoto:

Und im Gegensatz zu Ihnen fehlt mir dazu das Vokabular...

Itoi:

Nein, ich spreche auch über die Art und Weise!

Miyamoto:

(lacht) Oh … naja okay.

Itoi:

Aber eines, was ich mit Gewissheit sagen kann, ist, dass wir beide, die wir heute hier sitzen, diejenigen sind, die immer sagen, wir könnten es nicht in Worte fassen und solche Sachen sagen wie „Ich kann das nicht so gut beschreiben” und „Ich kann es nicht erklären”, aber überraschenderweise sind wir auch diejenigen, die diese Gedanken in Worte fassen wollen. Mit anderen Worten: „Wir möchten es gern, wenn möglich, in Worte fassen!“

Miyamoto:

Ok.

Itoi:

Ich bin derjenige, der es so gern in Worte fassen möchte, aber dem es einfach nicht gelingt. Trotzdem stellen mir die Leute gelegentlich solche Fragen, auf die ich dann antworte: „Sie machen wohl Witze!“ und vielleicht antworte ich deshalb: „Ich kann es nicht in Worte fassen.“

Miyamoto:

Ah …

Itoi:

So nehme ich das jedenfalls wahr, und ich dachte, Sie können das vielleicht nachempfinden.

Miyamoto:

Ich verstehe. Bei mir steht weniger der Wunsch, das in Worte zu fassen, im Vordergrund als vielmehr die Notwendigkeit, es zu erklären. Das kommt zum Teil daher, dass ich schon eine gewisse Position in der Firma bekleide.

Itoi:

Ja, das kann ich gut versehen.

Miyamoto:

Also versuche ich, es irgendwie zu erklären, aber da es mir nicht so gut gelingt, sage ich: „Ich kann es nicht in Worte fassen.”

Itoi:

Genau. Also hoffe ich, dass wir heute die Worte finden werden, nach denen wir gesucht haben.

Miyamoto:

Okay, das habe ich verstanden. Eine Frage, die mir die Leute gelegentlich stellen und auf die ich schwerlich eine Antwort finde, ist: „Wie kommen Sie auf diese Ideen?”

Itoi:

Genau. (lacht)

Miyamoto:

Sie werden sich wahrscheinlich nicht mehr daran erinnern, aber vor etwas mehr als zehn Jahren habe ich Sie schon einmal gefragt, was ich auf diese Frage antworten soll.

Itoi:

Ich erinnere mich nicht mehr.

Miyamoto:

(lacht)

Itoi:

Sie haben mich gefragt, was Sie darauf antworten sollen, wie Sie auf Ihre Ideen kommen? Hmm … was habe ich vorgeschlagen?

Miyamoto:

Sie sagten, wenn man diese Frage ganz genau nimmt, wäre die richtige Antwort: “Da gibt es keinen besonderen Ort.”

Itoi:

Ja, das stimmt. Den gibt es nicht.

Miyamoto:

Sie sagten, wichtiger als ein bestimmter Ort sei, ob man gerade in der Verfassung ist, Ideen zu entwickeln.

Iwata Asks
Itoi:

Das stimmt! (lacht)

Miyamoto:

Das ist eine eher allgemeine Antwort, also sagten Sie schließlich, es wäre leichter, wenn man ein Stück Papier, und noch besser, wenn man zudem noch einen Stift hätte!

Itoi:

Ah! (lacht)

Miyamoto:

Ja, ich denke, das stimmt. Zu sagen: „Es ist leichter, wenn man Papier und Bleistift hat!“ ist, glaube ich, eine gute Antwort. (lacht)

Itoi:

(lacht) Aber ist das nicht mehr oder weniger eine Strategie für das Interview, einfach eine andere Art zu sagen: „Das kann ich nicht in Worte fassen”? Eine höfliche Art zu sagen: „Nun fragen Sie mich doch nicht so unvorbereitet!“

Miyamoto:

Ja, ich glaube schon. (lacht)

Itoi:

Aber lassen Sie uns heute, da wir die Gelegenheit dazu haben, darüber hinausgehen! Eigentlich wollen wir solche Fragen doch beantworten. Interessiert Sie die Antwort nicht?

Miyamoto:

Doch.

Itoi:

Nun, heute haben wir nicht so viel Zeit, aber lassen Sie uns in der Zeit, die uns zur Verfügung steht, gründlich darüber nachdenken. Wir beide gemeinsam, weil wir die Gelegenheit dazu haben.

Miyamoto:

(lacht)

Itoi:

Wir sollten ganz genau besprechen, was eine Idee überhaupt ist.

Miyamoto:

Ich verstehe. Dann ist das unser Thema.

Itoi:

Genau. Ich setze Sie nicht leichtsinnig dieser Frage aus, sondern helfe Ihnen dabei, diese zu beantworten. Lassen Sie uns also gemeinsam darüber nachdenken, insbesondere weil es um den 25. Jahrestag von Mario geht.

Miyamoto:

Okay. (lacht)