3. Einen imaginären Ball in die Luft geworfen

Iwata:

Als wir Wii Sports auf der E3 vorstellten, gab es nur Tennis, Golf und Baseball. Mit Bowling und Boxen wuchs die Zahl der Spiele auf fünf. Können Sie uns etwas näher erläutern, wie es dazu kam, dass diese beiden Sportdisziplinen in Wii Sports aufgenommen wurden?

Eguchi:

Der Hauptgrund dafür liegt darin, dass wir Wii Sports weltweit verkaufen werden. Wie Sie bereits sagten, standen Tennis, Golf und Baseball als Bestandteile schon von Anfang an fest. Tennis und Golf werden überall auf der Welt gespielt, aber in Europa ist Baseball nahezu unbekannt. Zunächst dachten wir, drei Disziplinen würden ausreichen, um Spaß für jedermann zu bieten, aber in Ländern, in denen Baseball kaum gespielt wird, hätte man dann eigentlich nur zwei Disziplinen zur Auswahl gehabt. Deshalb begannen wir, über zusätzliche Disziplinen nachzudenken.

Shimamura:

Wir überlegten, welche Sportarten wohl die meisten Leute auf der Welt kennen und vielleicht auch schon selbst ausgeübt haben. Außerdem wollten wir solche Sportarten auswählen, dass auch Leute, die eigentlich kein Interesse an Sport haben, zum Mitmachen animiert werden. Dabei sind wir dann auf Bowling gekommen und wie üblich haben wir die Programmierer sofort eine Testversion entwickeln lassen. (Lachen) Sie hatten sie nach wenigen Tagen fertig gestellt und sie gefiel uns schon, als die Kugel zum ersten Mal die Bahn hinunter rollte. Also entschieden wir uns, Bowling in Wii Sports aufzunehmen.

Eguchi:

Zur selben Zeit fiel uns dann noch eine andere Sportart ein, die auf der ganzen Welt für Unterhaltung sorgt - Boxen. Da die Wii-Konsole zusammen mit der Wii-Fernbedienung und dem Nunchuck ausgeliefert wird, kann man in jeder Hand eines dieser beiden Eingabegeräte halten, und Boxen sollte von dieser Steuerungsmethode Gebrauch machen. Aber wenn ich ehrlich bin, wollten wir damals nur eine dieser beiden Disziplinen aufnehmen, je nachdem, welche sich als viel versprechender erweisen würde. Mit fortschreitender Entwicklung der beiden Spiele allerdings konnten wir uns nicht mehr für nur eines entscheiden und deswegen wurden dann beide Bestandteil von Wii Sports. Wir haben Witze gemacht, dass wir sie für Wii Sports 2 aufheben, aber da sie uns so gut gelungen waren, wollten wir beide so schnell wie möglich veröffentlichen. Außerdem wollten wir den Leuten unbedingt zeigen, wie viel Spaß Boxen und Bowling auf der Wii-Konsole machen. Also baten wir die Programmierer und Designer, beide Disziplinen einzubauen.

Iwata Asks
Iwata:

Also hatten die Programmierer und Designer eigentlich erwartet, Sie würden sich für eine Disziplin entscheiden - und dann wollten Sie beide. Waren sie nicht etwas überrascht?

Eguchi:

Ja! (Lachen) Aber alle finden es gut, dass wir beide Spiele behalten haben, deshalb denke ich, dass es die richtige Entscheidung war.

Iwata:

Wenn ich Ihnen so zuhöre, scheinen Sie während der Entwicklung durchweg positive Reaktionen erhalten zu haben, aber waren sie nicht nervös angesichts der Reaktionen von Leuten außerhalb Nintendos? Eguchi-san?

Eguchi:

Also, ich habe mir eigentlich keine Sorgen gemacht. Aber ich bin auch kein großer Fan von realistisch aussehenden Spielen...

Iwata:

Ja, das passt zu einem Entwickler von "Animal Crossing". (Lachen)

Eguchi:

Ja, ich bin jemand, der seinem Charakter gerne andere Klamotten anzieht, ihm einen Hut aufsetzt und mit ihm Angeln geht! (Lachen) Abgesehen von den Kosten, die eine fotorealistische Darstellung verursacht, sollten die Möglichkeiten der Wii-Konsole meiner Meinung nach dazu genutzt werden, den Leuten etwas Neues zu bieten. Natürlich lässt sich nicht vorhersagen, ob Wii Sports weltweit gut ankommen wird, aber nach den Reaktionen auf der E3 war klar, dass es den Spielern genauso viel Spaß macht, wie wir es uns erhofft hatten. Das gab uns großen Auftrieb und wir konnten die Entwicklung ohne zu zögern fortsetzen.

Iwata:

Ota-san, wie sieht es mit Ihnen aus?

Ota:

Ich war ebenfalls nicht im Geringsten beunruhigt! (Lachen)

Iwata:

Sie waren also vollständig überzeugt von Wii Sports und hatten keinerlei Zweifel daran?

Ota:

Ja, man könnte es so sagen. Wir alle hatten Vertrauen in diese Spiele, aber für mich war es nicht das Vertrauen darauf, dass sie auf der ganzen Welt gespielt werden würden. Für mich war klar, dass ich diese Spiele mit meiner Familie spielen kann, auch mit meiner Frau, die überhaupt nicht spielt, oder meiner kleinen Tochter, die gerade mal im Kindergarten ist und deren Hand-Auge-Koordination noch nicht so gut ist. Vielleicht auch mit den Freundinnen meiner Frau oder deren Ehemännern. Bevor man eine eigene Familie hat, verbringt man die meiste Zeit mit Menschen, deren Interessen man teilt, und das schränkt die Zielgruppe, für die man Spiele entwickelt, ein. Sobald man aber eine Familie hat, trifft man neue Menschen, die zum Teil andere Interessen haben als man selbst. Bevor ich eine Familie gründete, dachte ich beim Entwickeln immer an Leute mit den gleichen oder ähnlichen Interessen wie ich, aber jetzt will ich auch Spiele für die anderen entwickeln, für Leute, die normalerweise keine Videospiele spielen. Deswegen dachte ich als Erstes, nachdem ich die Reaktionen auf Tennis gesehen hatte, dass dieses Spiel auch etwas für die Nicht-Spieler in meiner Umgebung ist. Für mich ging es nicht um weltweiten Erfolg, sondern die Menschen um mich herum und dass es mich freuen würde, wenn sie mit Wii Sports Spaß haben würden.

Iwata Asks
Iwata:

Genau das meinen wir, wenn wir sagen, dass wir mehr Leute ans Spielen heranführen wollen, nicht wahr?

Ota:

Ja, und das Ergebnis war, dass die Messebesucher sich prächtig amüsiert haben.

Iwata:

Yamashita-san, was war bei Ihnen stärker - Besorgnis oder Zuversicht?

Yamashita:

Nun, ich war nicht vollständig entspannt, aber ich war irgendwie unbefangen und konnte mich einfach auf die Reaktionen der Besucher freuen. Die anderen Aussteller auf der E3 zeigten Spiele mit unzähligen Polygonen und fantastischer Grafik und ich fand es sehr aufregend, in dieser Umgebung Wii Sports vorzustellen.

Iwata Asks
Iwata:

Und bei Ihnen, Shimamura-san?

Shimamura:

Ich muss zugeben, dass ich ein wenig nervös war, aber nach den Reaktionen der E3-Besucher wuchs meine Zuversicht. Wenn man sich neben den Demostand von Wii Sports gestellt und Leuten beim Baseball zugesehen hat, konnte man hören, wie sie sich gegenseitig Tipps wie "Du musst beim Schlagen die Ellbogen runternehmen!" gaben. (Lachen) Natürlich hat das eigentlich keinen Einfluss auf das Spiel, aber da es einfacher ist, so zu schlagen, wie man es beim richtigen Baseball macht, und man damit, sofern man in Form ist, ein besseres Timing beim Schlagen erreicht, wird es dadurch auch leichter, den Ball auf dem Bildschirm zu treffen. Nachdem ich gesehen habe, wie die Leute mit dem Spiel interagiert haben, kann ich mir vorstellen, dass Eltern die gleiche Art von Unterhaltung mit ihren Kindern führen werden. Das hat mir mehr als alles andere gezeigt, dass unsere Bemühungen sich gelohnt haben. Ein Amerikaner, der wahrscheinlich den ganzen Tag auf der E3 verbracht hatte, sagte mir, nachdem er Wii Sports Baseball ausprobiert hatte, "Ich hab hier auf der E3 eine Menge Spiele mit realistischer Grafik gesehen, aber das hier ist das realistischste von allen! Es ist wirklich real!" (Lachen) Und ich hatte nicht einmal etwas an, das auf meine Firmenzugehörigkeit hinwies, auch keinen Ausstellerausweis. Ich war ebenfalls nur als normaler Besucher dort!

Iwata Asks
Eguchi:

Wir haben schon bei den Testspielen bemerkt, dass die Leute mit den Spielen schneller klarkommen, wenn sie die entsprechende Sportart schon selbst ausgeübt haben. Es kann also durchaus sein, dass ein Vater mit langer Baseball-Erfahrung besser ist als sein Sohn mit langer Videospiel-Erfahrung.

Iwata:

Bei herkömmlichen Spielen wäre so etwas unvorstellbar, nicht wahr?

Eguchi:

Genau. Als ich davon das erste Mal hörte, war ich mir sicher, dass Wii Sports etwas für die ganze Familie ist.

Iwata:

Es wird quer durch alle Generationen gespielt werden, oder? Ich könnte mir vorstellen, dass das für Gesprächsstoff sorgt, etwa wenn ein Großvater seinen Enkeln erzählt, dass er früher selbst ein bisschen Tennis gespielt hat.

Eguchi:

Sicherlich. Auf den ersten Blick sieht es aus, als würden niedliche kleine Püppchen Sport treiben, aber die Spiele wurden so konzipiert, dass eine Person, die Erfahrung mit der jeweiligen Sportart hat, sofort die Ähnlichkeiten zwischen Spiel und Wirklichkeit erkennt.

Yamashita:

Etwas Ähnliches ist auch während der Vorführung von Wii passiert. Ein älterer Herr hatte beim Baseball eine sehr hohe Punktzahl erreicht. Als ich ihn darauf ansprach, sagte er mir, er habe früher Baseball gespielt - und das hatte offensichtlich direkte Auswirkungen auf seine Punktzahl.

Iwata:

Ich bin überrascht! Was würden Sie sagen, wie alt er war?

Yamashita:

Er war in den 50ern oder 60ern.

Shimamura:

Es gab auch eine ca. 60 Jahre alte Dame, die beim Bowling außergewöhnlich gut war. Sie verriet mir, dass in ihrer Jugend Bowling ein ziemlich beliebter Zeitvertreib gewesen sei. Sie hatte also eine Art natürliches Talent, ein Gefühl für das Spiel. Ohne dass man ihr die Spielweise erklärt hatte, wusste sie, wohin die Kugel rollen würde und wohin sie zielen musste, und die Kegel flogen nur so!

Iwata:

Als ich bei der Vorstellung der Wii-Konsole einen älteren Herrn sah, der lächelte, als er Golf spielte, war ich sehr stolz auf unsere Arbeit. Ich bin mir sicher, dass Leute wie er über einen herkömmlichen Controller niemals zum Spielen gekommen wären.

Shimamura:

Gerade am Golf-Stand waren viele ältere Menschen, nicht wahr? Unter ihnen war auch eine Gruppe von Leuten in Business-Kleidung, die wie Manager aussahen, und wenn einer den Ball verschlug, beklagte er sich "Schon wieder ein Slice!" oder "Das passiert mir andauernd!". Genau genommen sollte ihre Haltung keinen Einfluss darauf haben, ob der Ball im Flug eine Kurve macht oder nicht...

Eguchi:

Für mich ist die unglaublichste Geschichte die vom Tennisball beim Aufschlag.

Ota:

Ja, das war wirklich kaum zu fassen! (Lachen)

Eguchi:

Vor der E3 durften firmenintern einige Leute einmal probespielen, und beim Tennis versetzten sie sich so sehr in das Spiel hinein, dass sie, während sie in der rechten Hand die Fernbedienung hielten, mit der freien linken Hand beim Aufschlag einen imaginären Ball in die Luft warfen!

Alle:

(Lachen)

Eguchi:

Natürlich hielten sie in der linken Hand kein Eingabegerät, deswegen hatte die Bewegung keine Auswirkungen auf den Aufschlag im Spiel selbst. Aber ich kann verstehen, warum sie diese Bewegung dennoch gemacht haben! (Lachen)

Shimamura:

Ja, das war ein unvergesslicher Anblick! (Lachen) Als wir das sahen, war uns wirklich klar, wie gut unser Spiel ist.

Iwata:

Es gibt noch eine andere Geschichte, die Sie wahrscheinlich noch nicht gehört haben. Vor der E3 gab es eine Präsentation von Wii Sports für den Aufsichtsrat von Nintendo, dessen Mitglieder allesamt älter sind als ich. Jedenfalls rannten diese Herren dann beim Spielen auf den großen Plasmabildschirm zu und schwangen ihre Fernbedienungen! (Lachen)

Iwata Asks
Alle:

(Lachen)

Iwata:

Da habe ich gedacht: "Dieses Spiel hat wirklich das Zeug zu einem großen Hit!". (Lachen)