4. Die Vision des weltweiten Austauschs von Wiis

Iwata:

Wir werden nun auch mit anderen Mitarbeitern über die einzelnen Kanäle sprechen. Kawamoto-san, Nogami-san, erzählen Sie uns bitte etwas über Ihren Beitrag zum Wii-Projekt und erläutern Sie bitte kurz, was Sie vor Ihrer Arbeit an Wii gemacht haben.

Kawamoto:

In meinen Verantwortungsbereich fallen der Fotokanal, der Wetterkanal und der Nachrichtenkanal. Davor war ich Projektleiter von "Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging" und der außerhalb Japans bisher nicht erschienenen Fortsetzung für den Nintendo DS.

Iwata Asks
Nogami:

Ich bin einer der beiden Projektleiter für den Mii-Kanal. Mein vorheriges Projekt war "Animal Crossing" für den Nintendo DS.

Iwata:

Der Dritte im Bunde ist Kuroume-san, der als Verantwortlicher für die Wii-Menüoberfläche weiter an diesem Interview teilnehmen wird.

Kuroume:

Gerne.

Iwata:

Fangen wir nun also mit dem Mii-Kanal an. Wie entstand die Idee und wie kam es dazu, dass er in die Wii-Kanäle mit aufgenommen wurde?

Nogami:

Unser Projekt war darauf ausgerichtet, dem User bei einigen Spielen die Möglichkeit zu geben, einen persönlichen Charakter zu erstellen und diesen dann auch in den Spielen zu verwenden. Unabhängig davon lief die Entwicklung einer Software für den Nintendo DS, mit der man Gesichter für eigene Charaktere kreieren und diese mit anderen tauschen konnte. Als ich dann über Iwata-san von dieser Software hörte, warf ich einen Blick darauf, und da sie sehr nahe an dem war, was ich mir vorgestellt hatte, adaptierten wir diese Software auch für die Wii-Konsole. Noch während wir dann an einem Wii-Spiel mit dieser Funktion arbeiteten, wurde überraschend entschieden, sie zu einer der Hauptfunktionen der Wii-Konsole zu machen. Ich kann es tatsächlich immer noch nicht ganz glauben! (Lachen)

Iwata Asks
Iwata:

(Shigeru) Miyamoto-san nannte diese ursprüngliche Software "Kokeshi". ("Kokeshi" sind einfache Holzfiguren, die von Hand bemalt werden.)

Nogami:

Ja, ich erinnere mich. Miyamoto-san trug diese Idee schon lange mit sich herum. Zuerst planten wir, drei Spiele zu entwickeln, in denen man mit seinen selbst entworfenen Charakteren spielen kann. Aber im Laufe der Zeit wurde das Konzept von zunächst drei Spielen zu einem eigenen Kanal erweitert, dem "Mii-Kanal".

Iwata:

Die Entscheidung für den Mii-Kanal fiel recht spät. Kuroume-san, Sie waren verantwortlich für die Systemfunktionen. Empfanden Sie den Mii-Kanal, der erst mit aufgenommen wurde, als die anderen Kanäle schon feststanden, nicht als "Störfaktor"?

Kuroume:

Sehr sogar.

Alle:

(Lachen)

Kuroume:

Zu Beginn wusste ich gar nicht, wie wir den Mii-Kanal noch einbauen sollten. Da er zunächst als etwas Separates geplant war, hätte ich auch nie gedacht, dass daraus einer der Kanäle werden würde. Selbst als der Mii-Kanal dann ein Bestandteil von Wii wurde, dachte ich erst, dass er wahrscheinlich doch wieder herausgenommen wird.

Iwata:

Aber es war uns tatsächlich ernst damit! (Lachen)

Kuroume:

Oh ja! (Lachen) Sie und Miyamoto-san waren Feuer und Flamme für diese Idee.

Iwata:

Miyamoto-san hat mir immer wieder gesagt, dass er gerne etwas wie den Mii-Kanal entwickeln würde. Zu dieser Zeit erfuhr ich, dass wir gerade eine Software für den Nintendo DS entwickelten, mit der man Charaktere mit individuellen Gesichtern erstellen konnte, und ich dachte an Miyamoto-san. Ich ging zu ihm, zeigte ihm die Software, und er war begeistert. Also entschlossen wir uns, sie in das Wii-System zu integrieren und schickten das Entwicklerteam der Software zu Nogami-san.

Nogami:

Ja, und Sie gaben uns nur zwei Monate Zeit für das Projekt.

Alle:

(Lachen)

Nogami:

Es war ein schönes Stück Arbeit, da wir uns bei der Entwicklung an Termine halten mussten, aber glücklicherweise erwies sich die Grundidee der DS-Software als so solide, dass wir nur noch Feinarbeit leisten mussten.

Iwata:

Wo lagen denn die größten Schwierigkeiten?

Nogami:

Bei meinen bisherigen Projekten habe ich immer mit eigenen, vertrauten Ideen gearbeitet, doch in diesem Fall wurde mir eine Idee vorgegeben. Das war ungewohnt und schwierig für mich. Bei eigenen Ideen kann ich selbst über die beste Vorgehensweise entscheiden, aber hier konnte ich diese Entscheidung nicht selbst treffen und musste daher andere Leute nach ihrer Meinung fragen. Dadurch kamen ständig neue Ideen hinzu, und es wurde unübersichtlich. Alle diese Ideen unter einen Hut zu bringen, hat uns einige Zeit gekostet.

Iwata:

Vielleicht gab Ihnen die Arbeit an einer Idee, die nicht von Ihnen war, das Gefühl, als hätte man Sie ins kalte Wasser gestoßen?

Nogami:

Ja, irgendwie schon. Aber dieses Gefühl verschwand, je weiter wir mit der Entwicklung vorankamen und ich konnte erkennen, was für das Wii-Projekt relevant war. Ich denke, es ist uns gelungen, die guten Elemente des Originals beizubehalten und die anderen zu verbessern. Eine andere Schwierigkeit war das Darstellen der Gesichter von Nicht-Japanern. (Lachen)

Iwata:

Ach ja, stimmt. (Lachen) Die Entwickler der DS-Software haben nur Japaner berücksichtigt, aber für den Wii-Kanal brauchten wir natürlich Gesichter von Menschen aus aller Welt.

Nogami:

Ja, doch das war schwieriger als gedacht. Mit nicht-japanischen Gesichtern hatten wir so unsere Probleme, denn wir konnten sie nicht richtig nachahmen. Miyamoto-san hat wohl einen Bericht im Fernsehen darüber gesehen. Wenn wir beurteilen, ob ein Bild einem wirklichen Gesicht ähnelt, legen wir ein "Standardgesicht" zugrunde und entscheiden dann je nachdem, wie weit das Bild mit diesem Standardgesicht übereinstimmt, ob es sich tatsächlich um ein Gesicht handelt. Deswegen konnten wir unmöglich Gesichter von Nicht-Japanern nachahmen, da wir einfach keine Referenz für ein solches Standardgesicht hatten. Wir konnten nicht festlegen, welche Kriterien für Nicht-Japaner bei der Gesichtserkennung eine Rolle spielen, weshalb wir dann auch einige Nicht-Japaner dazu befragt haben...

Iwata Asks
Iwata:

Sie haben auch viele Fotos von Nicht-Japanern zusammengetragen.

Nogami:

Ja, wir haben uns viele Gesichter angesehen. Dabei waren wir manchmal überrascht, wie viele unterschiedliche Nasen es doch gibt.

Alle:

(Lachen)

Nogami:

Nein, das soll heißen, dass für uns als Japaner einige Gesichtselemente einfach ungewohnt aussahen. Das haben wir beim Betrachten dieser Bilder gelernt. Wir haben auch viele Gesichtselemente wieder gelöscht und darauf geachtet, nicht zu viele in den "Baukasten" aufzunehmen. Es wurde genau abgewägt, was wir einbauen und was nicht.

Iwata:

Es ist einfach, nur durch Auswählen von Elementen ein Gesicht zu kreieren, aber wenn man dabei aus hunderten von Elementen wählen kann, wird es schwierig, sich für eines zu entscheiden.

Nogami:

Genauso ist es, und deswegen haben wir uns dafür entschieden, den User nicht mit einer riesigen Auswahl zu überfordern, ihm andererseits aber viel Abwechslung zu bieten. Die Reaktionen der Leute, die den Mii-Kanal getestet haben, waren erfreulicherweise durchweg positiv.

Iwata:

Auch die Reaktionen von Nicht-Japanern?

Nogami:

Ja, ich denke schon. (Lachen) Die Mitarbeiter einer unserer Niederlassungen in Europa haben das Gesicht ihres Vorgesetzten nachgebaut und als Spielfigur verwendet. Als er das irgendwann herausgefunden hat, ist er wohl sehr böse geworden. Vielleicht sah es ihm zu ähnlich! (Lachen)

Iwata:

Mein Ebenbild kann man auch an verschiedenen Stellen bewundern. (Lachen)

Iwata Asks
Nogami:

Ihre Ebenbilder werden ständig besser! Beim Betrachten verschiedener Gesichtselemente haben wir immer wieder welche gefunden, die zu Ihnen passen, und so wurde Ihr Mii-Charakter konstant verbessert.

Alle:

(Lachen)

Nogami:

Wir wollen natürlich keine realistische Darstellung. Wir haben sogar vermieden, dass sie zu realistisch wird. Beim Testen haben wir festgestellt, dass die Leute recht detailversessen sind, wenn es darum geht, die Gesichter von Berühmtheiten nachzuahmen, aber wenn es um das eigene Gesicht oder das eines Menschen aus dem eigenen Umfeld geht, reicht es für ein Erfolgserlebnis schon aus, wenn die betreffende Person in den Grundzügen getroffen wurde. Deswegen haben wir die Auswahlmöglichkeiten begrenzt, jedoch ohne die Möglichkeiten zu sehr einzuschränken.

Iwata:

Und natürlich ist nach dem Erstellen eines eigenen Charakters noch nicht Schluss! Der im Mii-Kanal entworfene Charakter kann in eine Reihe von Software-Titeln exportiert werden, z.B. in Wii Sports.

Nogami:

Genau, die bereits erwähnte Möglichkeit, selbst erschaffene Charaktere in verschiedenen Spielen auftauchen zu lassen, war schon von Anfang an Bestandteil der Entwicklung. Nebenbei bemerkt können selbst erschaffene Charaktere auch in Spielen anderer Hersteller auftreten, wenn diese ihre Software mit Mii kompatibel gestalten. Mii-Charaktere können nicht nur als Hauptfigur auftreten, sondern auch eine Nebenrolle einnehmen, etwa indem sie bei Wii Sports auf der Zuschauertribüne erscheinen. Weiterhin kann man sein persönliches Mii auf der Wii-Fernbedienung speichern und es so zu einem Freund mitnehmen.

Iwata:

Es gibt außerdem noch die "Mii-Parade". Können Sie uns dazu bitte noch etwas sagen?

Nogami:

Die Mii-Parade ist eine Funktion, mit der sich die verschiedenen Mii-Charaktere einzelner User über das Internet tauschen lassen. Man stellt seine Charaktere in die "Mii-Lobby", wo man zuerst nur seine eigenen Charaktere sieht. Aber mit der Zeit kommen über WiiConnect24 Charaktere von anderen Usern dazu. Umgekehrt erscheinen eigene Charaktere ebenfalls bei anderen Usern, natürlich nur, wenn man es erlaubt. Man kann bei der Erstellung eines Charakters entscheiden, ob er über das Internet ausgetauscht werden kann oder nicht. Ein Mii erscheint also nur auf den Konsolen anderer, wenn der User das erlaubt hat.

Iwata:

Mii-Charaktere können so von überall auf der Welt kommen!

Nogami:

Ja, sie werden komplett zufällig "umherwandern". Und auch wenn ein Mii anderswo erscheint, verschwindet es nicht von der Wii-Konsole seines Urhebers.

Iwata:

Der Mii-Kanal ist ein Experiment mit weitreichenden Möglichkeiten, aber wie kamen Sie überhaupt darauf, so etwas auszuprobieren?

Nogami:

Der ursprüngliche Hintergrundgedanke war, Mii-Charakteren, die für ein bestimmtes Spiel entworfen wurden, auch Auftritte in anderen Spielen zu ermöglichen, aber den eigentlichen Ausschlag dafür, die Mii-Charaktere weltweit miteinander interagieren zu lassen, gab WiiConnect24, eine meiner Lieblings-Funktionen. Der Gedanke mit dem Mii-Kanal kam uns dann, als wir überlegten, wie sich WiiConnect24 am besten einsetzen ließe. Das grundlegende Motiv war der Gedanke, dass der Mii-Kanal zwar auch alleine Spaß macht, die Möglichkeiten damit aber noch nicht erschöpft sind. Es wäre doch schade, wenn man sich selbst, seine Familie und seine Freunde kreiert und danach den Mii-Kanal nie mehr verwendet. So wird der Mii-Kanal durch User, mit denen man gespielt hat, oder einfach einen anderen User irgendwo auf der Welt bereichert und man wird immer wieder neue Mii-Charaktere erschaffen wollen. Man wird ständig neue Kniffe von anderen lernen, die eigenen Mii-Charaktere verbessern und durch den Austausch untereinander immer wieder neu motiviert werden. Ein Entwickler kann einem Spiel immer nur ein bestimmtes Maß an Motivation und Inspiration mitgeben, irgendwo ist immer ein Limit. Aber wenn einem User eine neue Spielweise einfällt und er diese mit anderen teilt, dann hat man eine unerschöpfliche Quelle an Ideen. Ich hoffe, dass dieser Prozess irgendwann von selbst läuft, und genau deshalb haben wir uns bemüht, Software zu entwerfen, die auf Datenaustausch setzt.

Iwata Asks
Iwata:

Wir haben bisher ermutigende Reaktionen erhalten. Ich für meinen Teil freue mich sehr darauf zu sehen, wie sich das alles entwickeln wird.

Nogami:

Ja, ich wünsche mir, dass viel Software mit entsprechender Unterstützung für Mii-Charaktere entwickelt wird. Mein Ziel ist es, dass Mii-Charaktere überall auf der ganzen Welt interagieren! (Lachen) Außerdem denke ich, dass es Leute geben wird, die ihr Talent zur Erschaffung von Mii-Charakteren entdecken werden. In der Schule hat man früher die Zeichenbegabten der Klasse gebeten, dieses und jenes für einen zu zeichnen. Dasselbe wollen wir mit dem Mii-Kanal erreichen, die User sollen gegenseitig Charaktere füreinander erstellen.

Iwata:

Kuroume-san, ist Ihr anfängliches Unbehagen gegenüber dem Mii-Kanal jetzt verschwunden?

Kuroume:

Also, ich muss dazu sagen, dass ich den Mii-Kanal an sich nicht als störend empfand. Er kam nur etwas plötzlich.

Iwata Asks
Alle:

(Lachen)

Kuroume:

Nein, jetzt mal im Ernst, ich habe die Tragweite des Mii-Kanals durchaus verstanden.