2. Beziehung zwischen Konsole und Benutzer

Iwata:

Die Entwicklung der Wii-Kanäle begann bereits, bevor ihre endgültige Form feststand. Wie kam es zu ihrer jetzigen Gestalt?

Kuroume:

Je mehr Treffen wir zu den Systemfunktionen abhielten, desto mehr Ideen kamen zusammen. Natürlich wurden bei diesen Treffen viele Ideen diskutiert, aber wir brachten auch viele davon zurück in unsere jeweiligen Abteilungen und diskutierten dort weiter. So bekamen wir noch bessere Ideen. Bei dem bereits erwähnten Konzept "Spaß für die ganze Familie" wurde uns klar, dass es schwer werden würde, die ganze Familie mit nur einer Software und nur einer Ausrichtung mit einzubeziehen. Deshalb entschlossen wir uns, ein breites Spektrum an Funktionen einzubauen.

Iwata Asks
Iwata:

Das klingt offensichtlich: Wenn man mehr Menschen für eine Konsole begeistern möchte, muss man ihnen auch mehr Funktionen anbieten. Die Schwierigkeit dabei ist allerdings, das alles auf verständliche Weise darzustellen, nicht wahr?

Kuroume:

Ganz genau. Wir wollten trotz einer Vielzahl an Funktionen eine leichte Bedienbarkeit gewährleisten. Was uns bei der Lösung dieses Problems wirklich geholfen hat, waren die Reihen von Fernsehgeräten, wie man sie in einem Elektrogeschäft findet. Viele Bildschirme, viele Kanäle, alles in einer Reihe. Einfach verständlich und auf simple Weise aufregend. So entstand dann unser Menübildschirm, der aus mehreren Reihen von Fenstern besteht.

Iwata Asks
Kuroume:

Wir hatten die Idee, die Bezeichnung "Kanäle" zu verwenden, zur gleichen Zeit wie wir uns für die Fenster entschieden. Es gab einige Schwierigkeiten damit, die verschiedenen Ideen aus den einzelnen Abteilungen unter einen Hut zu bringen, man könnte sogar sagen, wir steckten mehr oder weniger in einer Sackgasse. Dann schlug jemand vor, einfach alles aneinander zu reihen. Ein Teammitglied meinte beiläufig, das Resultat sähe aus wie eine Reihe von Fernsehern nebeneinander - und da fiel der Groschen. Die Atmosphäre in diesem Moment war geradezu elektrisch geladen. Als ich das Wort "Kanal" zum ersten Mal hörte, umfasste es für mich das gesamte Konzept, auch wenn mir der Reiz dieses Wortes noch nicht voll bewusst war. Zu diesem Zeitpunkt wurde mir klar, dass die "Fenster" eine wichtige Rolle in unserem Interface spielen würden.

Iwata:

So ist es immer, wenn Entscheidungen getroffen werden, oder? Jemand macht nebenher eine Bemerkung, und die setzt sich sofort durch, besonders, wenn man gerade nicht weiter kommt.

Kuroume:

Ja, genau so wurde die Entscheidung getroffen.

Iwata:

Sieht man sich die Fenster der Wii-Kanäle an, die unter solchen Schwierigkeiten entwickelt wurden, kann man ganz klar die Absichten der Entwickler erkennen, denn die drei Reihen mit je vier Fenstern sind gleichwertig. Normalerweise würde man ja bei einer Konsole den Kanal für das Laufwerk, in dem sich die Spielesoftware befindet, größer als alle anderen Kanäle machen.

Kuroume:

Durchaus. Da Nintendos Kerngeschäft traditionell Spiele sind, mag es seltsam wirken, dass der "Wetter-" und der "Nachrichtenkanal" gleichwertig mit dem "Disc-Kanal" sind, auf dem Spiele gespielt werden. Unser Team hatte deswegen jedoch kaum Zweifel. Der Hauptgrund, den ich für diese Überzeugung liefern kann, ist das Konzept "Spaß für die ganze Familie". Ein anderer Faktor war, dass der Nintendo DS von so vielen Leuten positiv aufgenommen wurde.

Iwata:

Der Nintendo DS basierte auf unseren Vorstellungen davon, was die Leute wollen, und es kam eindeutig gut bei den Kunden an. Dieser Erfolg spornte uns an, neue Vorstellungen für einen Markt für Wii zu formulieren.

Kuroume:

Ja, der Nintendo DS hat bewiesen, dass es besser ist, eine große Bandbreite an Software anzubieten und nicht einfach nur Spiele. Dieser Gedanke spielte eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Menübildschirms für die Wii-Konsole. Wir wollten, dass Leute, die spielen wollen, spielen können, und Leute, die sich für andere Funktionen interessieren, sich durch die entsprechenden Kanäle unterhalten lassen können.

Aoyama:

Diese Vision wurde mit absoluter Überzeugung verfolgt, zumindest von den Leuten, die bei den Treffen zu den Systemfunktionen anwesend waren. Allerdings gab es zu Beginn auch Firmenmitglieder, die anderer Meinung waren, weil sie all diese Informationen nicht hatten. Immer wenn das passierte, versuchte Tamaki-san, unsere Vision mithilfe seiner "Leidenschaft" zu verdeutlichen! (Lachen)

Alle:

(Lachen)

Iwata Asks
Tamaki:

Natürlich war es schwierig für sie, mit nur mit einem Blick auf das fertige Menü zu verstehen, was so interessant an der Wettervorhersage oder den Nachrichten ist. Ich denke, ihre Reaktion war nur natürlich. Nur die Nachrichten oder die Wettervorhersage anzusehen - da würde sich jeder fragen, wieso das interessant sein soll, oder?

Iwata:

Tatsächlich beinhalten der Wetter- und der Nachrichtenkanal Ideen, die es nur bei Wii gibt. Ein offensichtliches Argument gegen diese beiden Kanäle war, dass man Nachrichten und Wettervorhersage genauso gut am Computer lesen kann. Manche sagten, Wii wäre mehr PC als Spielkonsole. Was für Schlüsse haben Sie daraus gezogen?

Tamaki:

Das überschneidet sich etwas damit, was Kuroume-san vorhin sagte, aber mir war genau bewusst, dass die Leute natürlich viele verschiedene Interessen haben. Wenn man mal einen Blick auf die Verkaufszahlen für Nintendo DS-Software wirft, kann man sehen, dass unkonventionelle Spiele wie "Gehirn-Jogging" weggehen wie warme Semmeln, andererseits sich aber auch konventionelle Spiele, wie etwa Rollenspiele, gut verkaufen. Wenn ich ehrlich bin, hatten wir zunächst auch geplant, den Disc-Kanal hervorzuheben, aber dann entschieden wir, dass diese Denkweise zu konventionell sei. Sie unterscheidet sich nicht von der Annahme dass, wenn man ein Topspiel veröffentlicht, es jeder spielt. Unsere Hoffnung war es, durch die Ausstattung von Wii mit vielen verschiedenen Funktionen Wii zur Schnittstelle all dieser verschiedenen Interessen zu machen. Am Ende stand der Grundsatz, das Menü voller Abwechslung zu gestalten, so wie das Alter und die Interessen der einzelnen Familienmitglieder sich unterscheiden. Ich war mir nicht sicher, dass jeder damit einverstanden ist. Bei den Funktionen dagegen waren wir uns absolut sicher.

Aoyama:

Ich würde noch nicht einmal sagen, dass wir besonders vorausschauend gedacht haben, vielmehr hatten wir das Glück, dieses Konzept vor allen anderen zu entwickeln. Für mich persönlich hat Wii meine Ansichten darüber, was eine Konsole kann, verändert - und ich bin mir sicher, Wii wird auch die Ansichten anderer Leute verändern. Nachdem sich Wii aus einer Vielzahl von Experimenten zusammensetzt, wird es viele Leute verwirren oder ihnen Unbehagen bereiten. Aber wenn diese Leute Wii selbst ausprobieren, wird es sich bald natürlich anfühlen. Man könnte vielleicht sagen, dass Wii mehr "erfahren" als "verstehen" ist.

Iwata:

Möglicherweise werden manche Leute länger brauchen, um sich an Wii zu gewöhnen als andere. Kuroume-san, wann waren Sie sicher, dass Sie auf dem richtigen Weg waren?

Kuroume:

Wann war ich sicher… ich weiß nicht, ob das Ihre Frage beantworten wird, aber irgendwann möchte ich einen Kanal für Wii entwerfen. Als ich diesen Wunsch das erste Mal spürte, da war ich mir sicher, dass wir mit den Wii-Kanälen richtig lagen.

Iwata:

Weil Sie so einen schönen Rahmen haben, möchten Sie etwas hineintun.

Iwata Asks
Kuroume:

Genau das ist es, worüber wir sprechen. Bei den ersten zwölf Kanälen für Wii wird lange nicht Schluss sein. Im Augenblick können bis zu 48 Kanäle hinzugefügt werden, d.h. der User wird in der Lage sein, weitere Kanäle herunterzuladen.

Iwata:

Wir hätten unendliche viele Kanäle schaffen können, aber irgendwo mussten wir die Grenze ziehen. Aber wir haben schon einige großartige Ideen für neue Kanäle auf Lager, nicht wahr?

Kuroume:

Ja, wir haben immer noch Treffen und unterhalten uns darüber, was wir noch verwirklichen können. Das ist nur möglich, weil wir Vertrauen in die Wii-Kanäle haben.

Iwata:

So, an dieser Stelle möchte ich Sie nun alle fragen, welches Ihr Lieblingskanal ist. Tamaki-san?

Tamaki:

Hmm… es ist zwar nicht die offizielle Bezeichnung, aber ich mag den so genannten Wii-Shop-Kanal. Mit diesem Kanal kann der User über die Wii-Konsole verschiedenste Software kaufen, angefangen bei Virtual Console-Spielen. Das heißt, man kann Spiele kaufen, die man auf älteren Konsolen von Nintendo gespielt hat, wie dem NES, SNES und Nintendo 64. Es ist denkbar, dass auch irgendwann Wii-Software verfügbar sein wird, und ich denke, dass dieser Kanal den Weg für eine völlig neue Art der Spieleentwicklung bereiten wird. Ich bin mir sogar sicher, dass Iwata-san vorhin etwas von einer "Preisabstufung" gesagt hat.

Iwata:

Ah, Softwarepreise.

Tamaki:

Ja, es handelt sich um Ihre Idee, Software zu verschiedenen Preisen anzubieten.

Iwata:

Nun, nachdem diese Aussage von mir kommt, erlauben Sie mir, sie etwas zu erläutern. Im Grunde möchte ich die Spanne der Preise, zu denen Spiele verkauft werden, erweitern. Bis ungefähr vor fünf Jahren ging Nintendo so vor, dass Spiele für tragbare Konsolen mehr oder weniger fest bei 4 800 Yen und für Heimkonsolen bei 6 800 Yen lagen. Ich denke, dass dieser Ansatz falsch war. Genau gesagt, wenn alle Spiele für Heimkonsolen für 6 800 Yen verkauft werden, würde niemand ein Spiel wie Tetris herausbringen. Ich glaube nämlich nicht, dass unsere Kunden bis zu 6 800 Yen nur für Tetris auf den Ladentisch legen würden. Können wir es rechtfertigen, Tetris zu diesem Preis zu verkaufen, indem wir 30 neue Spielmodi oder ein paar coole Zwischensequenzen einbauen? Wir können es nicht, und das ist ein Problem. Eine andere Frage ist, ob sich unterschiedliche Produktionskosten, wie lange es dauert, das Spiel durchzuspielen oder der Schwierigkeitsgrad im Preis widerspiegeln sollten. Natürlich denken einige Leute, dass die Preise für Software mit der Zeit heruntergehen sollten. Wenn man jedoch, von Preisreduzierungen auf lange Sicht einmal abgesehen, plötzlich mit dem Preis heruntergeht, fühlen sich die Leute, die die Software bereits gekauft haben, betrogen. Das möchte ich vermeiden und deswegen fände ich es gut, wenn Software schon von Anfang an zu verschiedenen Preisen angeboten werden würde. Trotzdem ist es schwierig, einen niedrigeren Preis zu erreichen, wenn man ein Spiel auf herkömmlichem Wege verkaufen will, das heißt, solange man die zusätzlichen Kosten für die Herstellung von ROMs und Discs hat. Bietet man einen Titel zu billig an, machen die Geschäfte keinen Gewinn und nehmen den Titel nicht ins Sortiment auf, und der Hersteller kann den Preis nicht unter den Herstellungskosten ansetzen. Es gibt kleine Spiele, die viel Spaß machen, aber schnell durchgespielt sind. Im Moment ist es unmöglich, sie für, sagen wir 1 000 Yen, zu verkaufen. Aber ich finde es sehr schade, dass solche Spiele deswegen nicht produziert werden. Ich habe mich immer gefragt, ob es einen Weg gibt, diese Spiele zu retten. Obwohl wir gerade versuchen, eine solche Preisabstufung für den Nintendo DS einzuführen, hatte ich diese Idee doch schon eine ganze Weile.

Tamaki:

Das stimmt. Ich muss zugeben, dass ich diese Denkweise erst verstanden habe, nachdem ich mit der Arbeit an den Funktionen von Wii begonnen hatte. Aber wie wir schon sagten, wenn man an die verschiedenen Individuen einer Familie und ihre unterschiedlichen Interessen denkt, dann ist eine solche Preisabstufung nur natürlich. Es gibt Leute, die nicht zögern, sich teure Produkte zu kaufen, weil sie ihnen gefallen, und es gibt Leute, die immer auf Schnäppchenjagd sind. Genauso, wie es normal ist, dass Leute in verschiedene Restaurants gehen, ist es auch normal, dass Produkte zu unterschiedlichen Preisen verkauft werden. Der Wii-Shop-Kanal steckt voller Potential; wir können außerhalb konventioneller Vertriebswege Software verkaufen und unsere Kundenbasis verbreitern. Natürlich werden die konventionellen Vertriebswege weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Wenn es der Wii-Shop-Kanal jedoch ermöglicht, kleine, experimentelle Titel oder einfache Ideen zum Budgetpreis zu vertreiben, werden wir sicherlich einen beträchtlichen Zuwachs bei den Entwicklungen erleben.

Iwata Asks
Iwata:

Es wäre auch denkbar, dass wir Titel, die im Wii-Shop-Kanal beliebt sind, weiterentwickeln und zum Normalpreis veröffentlichen. Wo wir gerade von Potential sprechen: Vielleicht könnten wir sogar ein Forum eröffnen, in dem Amateurentwickler ihre selbst entwickelten Spiele veröffentlichen können, auch wenn dies nicht in nächster Zukunft geschehen wird. In den gegenwärtigen Strukturen der Spieleindustrie lassen sich Spiele nicht verkaufen, wenn die großen Publisher nicht massiv Werbung machen und man nicht den Massenmarkt im Auge hat. Daraus folgt, dass neue Talente keinen Zugang zu dieser Industrie haben.

Iwata Asks
Tamaki:

Richtig. Vielleicht wird der Wii-Shop-Kanal ein paar Türen öffnen.

Kuroume:

Mich interessiert vor allem der Internet-Kanal. Dieser Kanal ermöglicht es, mithilfe des Opera-Browsers im Internet zu surfen. Es ist eine tolle Sache, mit dem Fernseher das Internet nutzen zu können. Obwohl man Blogs wahrscheinlich weiterhin am Computer lesen wird, ist es doch sehr praktisch, wenn man beim Fernsehen schnell etwas nachschlagen kann.

Iwata:

Sicherlich. Die Annehmlichkeit, etwas im Internet nachzuschlagen, während man fernsieht, hängt von der Umgebung des Users ab. Jemand, der alleine lebt, mag sagen, dass er schon beides gleichzeitig nutzt, da in Single-Haushalten PC und Fernseher für gewöhnlich nah beieinander stehen. Auch jemand, der mit seiner Familie lebt, kann gleichzeitig fernsehen und das Internet nutzen, wenn ein Laptop mit drahtloser Internetverbindung im Wohnzimmer steht. Das wahre Potential des Internet-Kanals liegt darin, dass man jetzt, im Unterschied zu vorher, gemeinsam Internetseiten betrachten kann. Selbst wenn einem am Computer jemand über die Schulter schaut, können allerhöchstens zwei Personen gemeinsam surfen - vier oder mehr Personen wären einfach zu viele. Mit der Wii-Konsole, die im Wohnzimmer aufgestellt wird, können Familien zusammen im Internet surfen. Ich kann nicht genau sagen, was die Zukunft bringt, aber Wii könnte möglicherweise sogar unseren Lifestyle verändern. Am Ende drehten sich alle unsere Vorschläge für Wii um verschiedene Lifestyles und darum, die Beziehung zwischen Konsole und User neu zu definieren. Ich glaube, all die Gedanken, die wir uns gemacht haben, und all die Arbeit, die wir in Wii gesteckt haben, laufen auf dieses Ziel zu.

Iwata:

Das denke ich auch. Und zu guter Letzt: Welcher Kanal gefällt Ihnen am besten, Aoyama-san?

Aoyama:

Ich glaube ebenfalls, dass sich der Browser von Opera als Bereicherung erwiesen hat. Das und die Wii-Pinnwand, obwohl letztere genau genommen kein Kanal ist.

Iwata:

Ah, darüber müssen wir unbedingt noch sprechen!

Iwata: