6. Eine praktische Herangehensweise

Iwata:

Miyamoto-san, was macht für Sie das Wesen von Zelda aus? Gibt es etwas Konkretes, das Sie uns nennen können?

Miyamoto:

Sicher. Für mich sind das Wesen von Zelda und das Wesen von Mario im Grunde fast gleich.

Iwata:

Was heißt das genau?

Miyamoto:

Grundsätzlich denke ich, dass beide Spiele den Spielern nicht das Gefühl geben, betrogen zu werden. Die Spieler wissen genau, was sie an diesen Spielen mögen, und natürlich ärgern sie sich, wenn Teile des Spiels zu stark von dieser Vorstellung abweichen. Es ist von großer Wichtigkeit bei diesen Spielen, dass alle Elemente, die die Spieler erwarten, richtig implementiert sind. Wenn diese Elemente nicht so funktionieren wie erwartet, sagen die Spieler: "Das ist nicht Zelda!" Wenn ich mich also aufrege, ärgere ich mich anstelle des Spielers! Dabei denke ich dann: "Nicht zu fassen! Was ist das denn für ein Spiel?" (Lachen) Ich habe Spiele immer auf der Grundlage entwickelt, dass meine Stimme die Stimme der Spieler ist. Und dass der Ärger viel größer wäre, wenn wir ein Spiel ohne die Verbesserungen veröffentlichen. Weil wir damit letztendlich unsere Kunden verärgern würden. Das ist für mich ein absolut fundamentaler Grundsatz, und er gilt für Zelda wie für Mario. Zwar bildet dieser Grundsatz die Basis für beide Spiele, aber ich denke, dass Mario leichter zugänglichen, mehr unmittelbaren Spaß bietet, während der Spieler bei Zelda das Gefühl hat, sich im Verlauf des Spiels weiter zu entwickeln. Das ist eigentlich der einzige Unterschied zwischen den beiden - im Grunde sind sie aber gleich.

Iwata:

Ah, ich verstehe.

Iwata Asks
Miyamoto:

Es ist in Ordnung, wenn jemand die Geschichte von Zelda gut findet - tatsächlich ist es sogar großartig. Aber so jemand ist möglicherweise nicht geeignet, an einem Projekt wie Zelda mitzuarbeiten. Ein weiterer wichtiger Punkt bei Zelda ist, dass alles wie aus einem Guss wirkt. Das ist nicht leicht zu erklären, aber ich meine, dass mit den ganzen Ideen, die im Spiel nahe beieinander stehen, die verschiedenen Elemente des Spiels perfekt die Umgebung und Landschaft ergänzen. "Detailreichtum" und "Detailarmut" sind gut ausbalanciert. Das ist wichtig bei Zelda. Eine große Herausforderung bei Twilight Princess war, dass in der zweiten Hälfte der Entwicklung diese Balance verloren ging. Das Team, das die 3D-Modelle erstellte, erweiterte beständig den Umfang des Spiels, doch die Inhalte hielten mit diesem Tempo nicht Schritt. Je weiter 3D-Modelle und Inhalte sich voneinander entfernen, desto leerer wird das Spiel. Oder verschiedene Spielinhalte an unterschiedlichen Stellen im Spiel wirken widersprüchlich und ruinieren sich gegenseitig. Diese Probleme rechtzeitig zu lösen ist schwierig. Anders ausgedrückt ist es vielleicht die Balance von "Detailreichtum" und "Detailarmut", die ein Zelda-Spiel ausmacht. Vielleicht bezieht sich das auch nicht nur auf Zelda...

Iwata:

Sie meinen die "Miyamoto-Methode", Spiele zu entwickeln!

Alle:

(lachen)

Miyamoto:

Auch wenn alle Entwickler zusammen darüber diskutieren würden, könnten wir nicht jedem vollständig begreiflich machen, worin diese Methode nun tatsächlich besteht. Außerdem könnte ich sie nicht angemessen verdeutlichen, wenn ich nur von außerhalb der Entwicklung selbst Anweisungen geben würde. Von außerhalb kann man viele Dinge nur oberflächlich betrachten und Hinweise dazu geben, aber die verantwortliche Person denkt vielleicht: "Bei der Entwicklung hatte ich etwas ganz anderes im Sinn." Auf diese Weise gäbe es ständig Missverständnisse. Aber wenn ich eine praktischere Herangehensweise wähle und wir alle zusammenarbeiten, um das Spiel in seine endgültige Form zu bringen, kommt das Ganze ins Rollen. Solange ich außerhalb des Entwicklungsprozesses stehe, könnte ich den Entwicklern zwar eine Liste mit Spielelementen geben, denen das Wesen von Zelda fehlt, aber ich könnte so wohl kaum kommunizieren, was geändert werden soll. Aber wenn das Team erst einmal daran arbeitet, die Änderungen im Spiel umzusetzen, würden die Entwickler mit einem Blick auf eine solche Liste verstehen, was zu tun wäre.

Iwata:

Wenn sie die Veränderungen am Spiel sehen, fangen sie an, zu verstehen. Die Tatsache, dass alle unsere Hauptentwickler diese Erfahrung gemacht haben, ist ein wichtiger Punkt bei der Entwicklung eines Zelda-Spiels.

Aonuma:

Ich denke, das stimmt. Die jüngeren Entwickler beispielsweise denken zu Beginn der Entwicklung, wenn sie das erste Mal Vorschläge von Miyamoto-san erhalten, wahrscheinlich: "Müssen wir auf so kleine Details wirklich achten?" oder: "Darüber müssen wir uns doch sicher nicht so viele Gedanken machen." Aber wenn das Spiel dann seine endgültige Form angenommen hat, wird ihnen klar, worauf er abgezielt hat, und sie sagen: "Ah, jetzt verstehe ich! Deswegen mussten wir das so machen!" Solange sie am Spiel gearbeitet haben, konnten sie es noch nicht sehen. Wir haben gerade von Spielen gesprochen, die den Spielern das Gefühl geben, betrogen worden zu sein. Aber die Entwickler eines solchen Spieles haben das bei der Entwicklung keineswegs beabsichtigt. Es lässt sich nur einfach nicht vermeiden, während der Entwicklung etwas den Blick dafür zu verlieren, wie Spieler auf bestimmte Dinge reagieren.

Iwata:

Spieleentwickler verlieren im Verlauf der Entwicklung das Gespür dafür, wie sich jemand fühlt, der das Spiel zum ersten Mal und ohne jegliche Vorkenntnisse spielt. Deswegen denke ich, dass es in gewissem Sinne vernünftig ist, dass Miyamoto-san gegen Ende eines Projektes dazu kommt. Wäre er von Anfang an dabei, wäre es vermutlich auch für ihn schwierig zu sehen, wie die Leute auf ein Spiel reagieren, wenn sie es zum ersten Mal spielen.

Aonuma:

Das stimmt. Ich habe eine Regel für die Hinweise von Miyamoto-san: Wenn er etwas dreimal anspricht, muss es definitiv geändert werden!

Miyamoto:

(Lachen)

Aonuma:

Wenn er etwas einmal anspricht, dann überstürze ich noch nichts und verlasse mich auf meine eigene Einschätzung. Aber noch während ich nachdenke, spricht er es ein zweites Mal an. Das bedeutet, dass er es wirklich geändert haben möchte, aber ich bin noch dabei, die Änderung zu planen. Dann warten dringendere Probleme, und ich lasse die Änderung erst einmal liegen. Und dann fragt Miyamoto-san: "Warum haben Sie es noch nicht geändert?" Das ist dann die dritte Warnung! (Lachen) Ab da bekommt diese Änderung oberste Priorität! So haben wir es bisher gemacht, aber dieses Mal konnte ich mir diesen Luxus nicht erlauben. Wenn Miyamoto-san diesmal etwas angesprochen hat, hatten wir meiner Meinung nach keine andere Wahl, als es zu ändern.

Iwata Asks
Iwata:

Sie haben dieses Mal also nicht gewartet, bis er etwas dreimal angesprochen hatte? (Lachen)

Aonuma:

So ist es.

Miyamoto:

Ah, endlich sehen Sie die Dinge so wie ich! (Lachen)

Iwata:

Haben Sie auch andauernd "Mecker-Mails"1 von Miyamoto-san bekommen? 1"Mecker-Mails" wurden in Teil 1 der Zelda-Interviews zum ersten Mal erwähnt. Es handelt sich um E-Mails, die Shigeru Miyamoto in späteren Phasen der Entwicklung verschickt, und in denen er erläutert, mit welchen Teilen des Spiels er noch unzufrieden ist.

Aonuma:

Ah, die "Mecker-Mails"! Haben die jüngeren Entwickler sie im Interview erwähnt? (Lachen)

Iwata:

Ja! (Lachen)

Aonuma:

In meinem Fall kamen allerdings nicht nur "Mecker-Mails", sondern Nachrichten mit Änderungswünschen - und zwar direkt auf mein Handy! Ich saß z.B. in der Bahn zur Arbeit, da klingelte mein Handy und es kam eine Nachricht von Miyamoto-san: "Nochmal wegen dieser Funktion, über die wir gesprochen haben..." (Lachen)

Iwata:

(Lachen)

Aonuma:

Und es kam nicht nur eine, sonder vier Stück hintereinander! Ich wünschte mir, die Bahn würde schneller fahren, und dachte: "Auf mich wartet viel Arbeit!" Ich habe später erfahren, dass Miyamoto-san diese Nachrichten aus einem wichtigen Meeting heraus geschrieben hat!

Iwata:

Er hat Nachrichten mit Änderungswünschen von seinem Handy aus verschickt, während er in einem Meeting war? (Lachen)

Miyamoto:

Es gab keine Zeit zu verlieren! Die Sekunden verstrichen... (Lachen)

Aonuma:

Ich denke, das stimmt. Wenn Miyamoto-san etwas einfällt, kommt er nicht zur Ruhe, bis er es einem mitgeteilt hat und kann nicht warten, bis er einen persönlich sieht. Deswegen kamen viele seiner Anweisungen dieses Mal per E-Mail.

Miyamoto:

Richtig, bei diesem Projekt habe ich zum ersten Mal E-Mails dafür verwendet.

Aonuma:

Als wir an Wind Waker gearbeitet haben, hat er mir einfach ein zweiseitiges Dokument überreicht mit den Worten: "Bitte schön!"

Miyamoto:

Früher habe ich meine Kommentare in ein einziges Dokument geschrieben und den zuständigen Leuten gegeben. Außerdem habe ich vermieden, direkt zum jeweiligen Entwicklerteam zu gehen und habe nur mit den Teamleitern gesprochen. Schließlich hatte man ja sie mit der Leitung des jeweiligen Teams betraut. An Twilight Princess waren jedoch viele Leute beteiligt, auch viele jüngere Entwickler. Deswegen dachte ich, es wäre besser, meine Anweisungen persönlich zu geben, anstatt sie einfach aus dem Nichts kommen zu lassen.

Iwata Asks
Iwata:

Ich verstehe.

Miyamoto:

Jeder Mitarbeiter, der diese Mails lesen will, kann sie lesen, und jeder, der sich nicht angesprochen fühlt, kann sie ignorieren. Ich dachte, das wäre der beste Weg, alle auf dem Laufenden zu halten, auch über die Reaktionen der Teamleiter auf meine Anweisungen. Ich habe nicht jedem der an dem Projekt Beteiligten eine E-Mail geschickt. Was ich normalerweise zwei oder drei Personen gesagt hätte, habe ich dieses Mal vielleicht zehn Personen gesagt.

Aonuma:

Dieses Mal waren wirklich viele Leute an dem Projekt beteiligt, und wenn Sie Ihre Anweisungen nur mir gegeben hätten, hätte es eine Menge Arbeit bedeutet, die nötigen Vorbereitungen zu treffen und entsprechende Pläne zu machen. So gesehen war es sicher eine gute Idee, ihre Anweisungen allen Betroffenen direkt zu geben. Alle, die für die jeweilige Aufgabe verantwortlich waren, konnten Ihre Mails lesen und ihre eigene Meinung dazu äußern. Ich denke, gerade dadurch konnten wir immer recht schnell über unser weiteres Vorgehen entscheiden.

Miyamoto:

Ein weiteres Ziel, das ich mit dieser Vorgehensweise verfolgt habe, war, dass alle Mitarbeiter verstehen, auf welche Weise wir an Probleme herangehen, nicht nur die Verantwortlichen. Das bedeutete, dass die Vorgehensweisen, die die einzelnen Entwickler in solchen Situationen verwendeten, einheitlicher wurden. So konnten wir spätere Probleme schneller lösen. Je mehr Leute an einem Projekt beteiligt sind, desto schwieriger wird es natürlich, über solche Dinge zu diskutieren.

Iwata:

Ja, mit so vielen Beteiligten ist es schwierig, die Vorgehensweise bei Problemen zu vereinheitlichen, selbst wenn man alle auf dem Laufenden hält.

Aonuma:

Genau.

Miyamoto:

Deswegen habe ich so sehr darauf bestanden, dass die Leute mit dem gesamten Hintergrund und dem Prozess der Entscheidungsfindung vertraut sind und nicht nur das Endergebnis und die Anweisungen, die so entstanden sind, vorgesetzt bekommen. Aber trotzdem...

Aonuma:

Aber trotzdem gab es E-Mails, die für jemanden, der zuvor noch nie mit Zelda in Berührung gekommen war, keinen Sinn ergaben.

Miyamoto:

Das stimmt. Wer die Diskussionen nicht genau mitverfolgt hätte, für den wären diese Mails komplett unverständlich gewesen! (Lachen)

Aonuma:

Aber da alle wussten, dass sie die Mails einfach nur nicht richtig verstehen, kamen sie und fragten nach: "Was in aller Welt meint Miyamoto-san damit?"

Iwata:

Nun, die Hauptsache ist, dass sie kamen und nachgefragt haben. Wenigstens konnten Sie ihnen so alles erklären.

Aonuma:

Richtig. Selbst wenn sie die Bedeutung der Anweisungen nicht vollständig verstehen, wird jeder eine ungefähre Vorstellung davon haben, worum es geht. Sie können kommen, um es sich erklären zu lassen, und sagen: "Ich denke, er meint damit..." Auf diese Weise zeigte jeder mehr Eigeninitiative, und ich denke, unsere Vorgehensweise hat die Mitarbeiter in diesem Projekt wirklich positiv beeinflusst. Mir hat sie bei der Arbeit übrigens auch sehr geholfen.

Iwata Asks
Miyamoto:

Wirklich?

Aonuma:

Ja, es war wirklich sehr hilfreich.

Miyamoto:

Das freut mich zu hören! (Lachen)