3. Ein Kommunikationstool für Gefühle

Iwata:

Als Mr. Takeda früher über den gewünschten Einbau eines Spielelements sprach, erwähnten Sie die Möglichkeit innerhalb von Wii U Chat, Bilder zu zeichnen und über den Touchscreen des Wii U GamePad Buchstaben zu schreiben.

Tamiya:

Ja. Wir wollten etwas Anregendes schaffen, das man auch während des Videochats noch bewerkstelligen kann. Mit dem Wii U Gamepad kann man zeichnen und schreiben. Daher hat sich diese Idee ganz natürlich ergeben. Tatsächlich macht das viel mehr Spaß, als Sie vielleicht denken mögen, denn im wirklichen Leben hat man ja eher selten Gelegenheit dazu, auf den Gesichtern der anderen herumzukritzeln. Aber vielleicht hegen Sie doch ab und zu den Wunsch, dies mal auszuprobieren. Als wir es ausprobierten, haben wir das Eis gebrochen und so die Konversation angeheizt. Normalerweise darf man auf dem Gesicht des Vorgesetzten ja nicht herumkritzeln, aber während der Entwicklung durften wir das! Und auch wenn auf einem selbst herumgekritzelt wird, macht einen das irgendwie glücklich.

Iwata:

Ich bin gespannt, wie es wohl ist, wenn Großeltern diese Funktion mit ihren Enkeln ausprobieren. Hatte dieses Feature von Anfang an schon diese Gestalt?

Tamiya:

Tatsächlich wollten wir zunächst nur ein einfaches Feature auf dem Whiteboard erstellen. Per Knopfdruck sollte man zwischen den Modi wechseln und das Whiteboard auf dem Fernsehbildschirm erscheinen lassen. Und darauf konnten dann beide Teilnehmer nach Belieben herumzeichnen. Beim Ausprobieren stellten wir dann jedoch fest, dass wir etwas viel von Kunden verlangten, die nicht so sicher im Zeichnen waren und nun einen weißen Bildschirm vor sich hatten. Hinzu kam auch noch, dass man beim Zeichnen den Blicken der anderen Teilnehmer am anderen Ende ausgesetzt war.Außerdem konnte man mit den verschiedenen Farben und Schreibgeräten immer mehr ausdrücken. Die Leute waren jedoch zu sehr mit dem eigentlichen Zeichnen beschäftigt und vergaßen darüber die Konversation. Die Interaktion mit dem anderen Ende nahm ab und der Sinn des Beisammenseins wurde immer dünner, wenn man sich unwohl fühlte und die Reaktionen der anderen nicht sehen konnte.

Iwata:

Nun, das widerspricht dann doch eher dem „Familienglück“.

Tamiya:

In der Tat. Im Gegensatz dazu befreite ein Bild, das vorher in den Hintergrund gestellt wurde, die Teilnehmer von dem Druck, etwas zeichnen zu müssen, den sie mit dem Whiteboard vor der Nase empfanden. Manche Leute stellten es sich schwierig vor, auf einem beweglichen Bild zu zeichnen. Als wir es jedoch ausprobierten, stießen wir auf alle möglichen lustigen Dinge, die man damit machen konnte. So konnte man beispielsweise die Person zusammen mit der Zeichnung bewegen.

Iwata:

Durch den jetzigen Stand der Dinge sind Sie in der Lage, Ihre wirklichen Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Vielleicht wäre es Ihnen sonst ein wenig peinlich gewesen, diese in Worte zu fassen.

Tamiya:

Ja. Selbst bei einem schlichten „Dankeschön“ wissen wir aus Erfahrung, dass dies den Empfänger anders berührt, wenn man es mit seiner Stimme und seinem Gesichtsausdruck äußert, als wenn es handgeschrieben ist. Als wir während der Entwicklung eine heikle Diskussion mit NLG führten, wurde es immer schwieriger, jemanden im Redefluss zu unterbrechen. Kritzelte man aber einfach von Hand ein paar Schnipsel auf den Bildschirm, dann nahmen die Leute die Unterbrechungen versöhnlicher auf. Dies ist etwas, das tatsächlich passiert ist.

Iwata Asks
Iwata:

Und dabei zusehen zu können, wie die Leute das tatsächlich in Echtzeit zeichnen, macht es auch interessant, denke ich. An einem Thema, das hiermit in Zusammenhang stand, wirkte auch das Team vom Nintendo-Briefkasten17 mit, richtig? 17. Nintendo-Briefkasten: Ein Kommunikations-Tool für das Nintendo 3DS-System, das im Dezember 2011 von Nintendo herausgebracht wurde. Seit Mai 2012 wird es auf der SD-Karte des Nintendo 3DS-Systems vorinstalliert geliefert.

Tamiya:

Genau. Der Direktor Mr. (Daiji) Imai18 und Ms. (Yu) Kitai19, die Designer dieses Features, wirkten beide daran mit.18. Daiji Imai: Arbeitet im Network Business Department von Nintendo. Direktor von Nintendo-Briefkasten, der in der Vergangenheit an folgendem Interview teilnahm: Iwata fragt: Nintendo-Briefkasten19. Yu Kitai: Arbeitet im Network Business Department von Nintendo. Er entwarf das Schreibwerkzeug für den Nintendo-Briekasten und nahm in der Vergangenheit an folgendem Interview teil: Iwata fragt: Nintendo-Briefkasten

Iwata:

Beim Zeichnen glüht die gezeichnete Linie ein bisschen und erscheint etwas trüb. Warum haben Sie dieses Feature so konzipiert?

Tamiya:

Das war Ms. Kitais Idee. Zunächst hatten wir nur eine gewöhnliche flache Linie vorgesehen. Doch ich wollte, dass diese auf jeder Art von Hintergrund sichtbar ist. Und so bekam sie dann diese Form. Auch wenn die Linie seltsam erscheint, ist sie doch immer deutlich erkennbar.

Iwata:

Oh, ist sie das? Ich dachte mir immer: „Der Stift hebt sich wirklich gut von einem realen Bild ab.“ Die Generation, die mit den Print Clubs* aufgewachsen ist, denkt einfach anders. * Anmerkung der Redaktion: ”Print Clubs – in Japan als “purikura” bekannt – bezeichnen Sofortbild-Automaten, die seit Mitte der 90er Jahre in Japan, insbesondere bei Mädchen, sehr beliebt sind. Im Gegensatz zu den Standard-Passbildautomaten ermöglichten es die “Print Club”-Automaten den Nutzern, die gemachten Fotos individuell mithilfe einer eingebauten Software zu gestalten. So konnten beispielsweise extravagante Rahmen, fluoreszierende handschriftliche Nachrichten und niedliche Stempel vor dem Ausdrucken auf den Fotos hinzugefügt werden.

Tamiya:

Ms. Kitai hat wirklich ein Gespür dafür, wie bestimmte Farbkombinationen auf Fotos wirken, und versteht noch vieles mehr in dieser Art.

Iwata:

Auf diese Art von Farbkombinationen achtet man vielleicht nicht bei einem Team, das nur aus Männern besteht.

Alle:

(lachen)

Tamiya:

Das Komische war, dass wir alle anfingen, Nachrichten zu schreiben, anstatt Bilder zu malen, als wir dann vom flachen Stift zu dem neuen Leuchtstift übergegangen waren. Vorher hatten wir aber alle mit dem flachen Stift gezeichnet.

Iwata:

Irgendetwas veranlasst einen dazu, etwas zu zeichnen, das zu dem Bild im Hintergrund passt, anstatt einfach nur so vor sich hinzukritzeln.

Tamiya:

Genau. Ich denke, das hängt mit der Art von Bildern zusammen, die man nur mit dem Wii U Videochat erhält. Hier geht es darum, ein Kommunikationstool für Gefühle zu entwickeln.

Iwata:

Gibt es neben dem Zeichentool noch andere Tools?

Tamiya:

Tatsächlich erhielten wir alle möglichen Ideen, sowohl von Leuten innerhalb der Firma als auch von Externen. Letztlich haben wir jedoch beschlossen, keine davon aufzunehmen. Wir probierten alles Mögliche aus, aber letztendlich hätten diese Ideen dem Produkt seine Einfachheit genommen.

Iwata:

Etwa so in der Art: „Was sollen wir denn jetzt mit dieser Software hier anfangen?“

Tamiya:

Ganz genau. (lacht) Also beschlossen wir, zu unserem ursprünglichen Vorsatz zurückzukehren und die Dinge einfach zu halten. Wir konzentrierten uns tatsächlich darauf, einfach nur mit jemandem chatten zu können und jemandem beim Chatten zuzusehen. Das, was wir jetzt vorfinden, ist das, was davon übrig blieb.

Iwata:

Dann waren die Möglichkeiten also ganz simpel. Dennoch ist dies das Ergebnis, das auf dem Ausprobieren aller möglichen Dinge und einer sehr selektiven Auswahl basiert.

Tamiya:

Es gab viele Möglichkeiten mit großer Wirkung, die ich zwar für wirklich gut hielt. Dennoch versuchte ich, mich stets zu fragen, ob diese für den täglichen Bedarf wirklich notwendig waren.

Iwata:

Zweifellos gibt es eine Menge Features, die die Leute ein einziges Mal und danach nie wieder ausprobieren. Wenn diese dann aber die Dinge komplizieren und möglicherweise Kunden vergraulen, ist es doch besser, auf alles Unnötige zu verzichten.

Tamiya:

Das stimmt. Letztlich wollen wir doch, dass diese Konsole von so vielen Leuten wie möglich genutzt wird.

Iwata:

Wie steht es mit Ihnen, Mr. Watanabe? Finden Sie, dass Mr. Takeda seine Idee hat Wirklichkeit werden lassen?

Watanabe:

Ja. Und ich finde, er hat diese auch in besonders schöner Art und Weise umgesetzt. Ich erinnere mich noch an die Zeit, als wir am Nintendo 64 arbeiteten und Mr. Takeda zum ersten Mal den Wunsch nach einem Bildtelefon als Motto äußerte. Ob wir eine solche Kommunikationsumgebung würden schaffen können, war wegen der damals verfügbaren Hardware noch reine Spekulation. Aber heute nutzen doch auch viele Großeltern das Internet. Und selbst wenn man seine Wii U gerade erst bekommen hat, so könnte man doch noch am selben Tag damit chatten. Ich finde, das ist das Allerbeste.

Iwata Asks
Iwata:

So wie Mr. Takeda es sich ja schon von Anfang an wünschte, ist das Wichtigste meines Erachtens, dass man Wii U Chat nicht aus dem Nintendo eShop herunterladen muss, sondern dass dieser bereits auf der Konsole vorinstalliert ist.

Watanabe:

Das stimmt. Bei einem “Frage Mr. Takeda nach seinen Gefühlen-Meeting” sagte er, die Funktion müsse in die Konsole integriert sein, weil diese nicht funktionierte, wenn nicht jeder sie hätte.

Iwata:

Nun das Ganze funktioniert folgendermaßen: Sobald Sie die Wii U kaufen und mit dieser ins Internet gehen, lädt sie automatisch Wii U Chat aus dem Internet herunter.

Watanabe:

Das stimmt.

Iwata:

Ich glaube, Bildtelefone haben sich in der Vergangenheit nicht so stark verbreitet, weil die Leute immer fürchteten, sie müssten vor der Verwendung das Wohnzimmer aufräumen und dieses präsentabler machen. Aber da man ja selbst die Kamera in Händen hält, kann man diese in jede beliebige Richtung lenken. Das Feature ist so ausgelegt, dass man nichts zeigen muss, was man nicht will. Darüber hinaus hat die Möglichkeit, den Empfänger auf einen großen Fernsehbildschirm zu projizieren, ein interessantes Gleichgewicht geschaffen.

Iwata Asks
Tamiya:

Das stimmt. Weil die Kamera mit der Hand gehalten wird, zeigt sie den Halter in extremer Nahaufnahme. Das ist interessant, wenn beispielsweise andere Familienmitglieder vorbeischauen und von Zeit zu Zeit auf dem Bildschirm erscheinen.

Iwata:

Wenn Sie das GamePad auf einem Wii U GamePad-Aufsteller platzieren, können Sie chatten, ohne dabei das GamePad festzuhalten. Ich hoffe, dass die Leute damit nicht nur Gespräche zu zweit führen, sondern die Funktion auch als Gruppe nutzen.

Tamiya:

Ja, ganz genau. Ich hoffe, dass die Konsole nicht nur praktisch für Familien, sondern auch für solche Leute ist, die nur wenig rauskommen - wie zum Beispiel Mütter, die sich um ihre kleinen Kinder kümmern. Diese Konsole bietet so viele Verwendungsmöglichkeiten, wenn zwei Wohnzimmer über die Wii U Chat-Funktion miteinander verbunden werden.

Iwata:

Es gibt so viele verschiedene Situationen, in den man diese verwenden kann. Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass sich unsere Bemühungen, dieses Feature als Standardfunktion einzubauen, wirklich gelohnt haben. Vielen Dank, dass Sie heute hier waren.

Watanabe und Tamiya:

Wir haben zu danken.