2. Kampf der Megafans

Iwata:

Ist dann irgendetwas geschehen, das in Ihnen den Wunsch geweckt hat, Videospiele nicht nur zu spielen, sondern auch zu entwickeln?

Kamiya:

Wie viele andere auch habe ich es zunächst einfach genossen zu spielen, und ich habe nie darüber nachgedacht, dass es Leute geben musste, die diese Spiele herstellen.

Iwata:

Verstehe.

Kamiya:

Dann wurde im Family Computer Magazine9 jedoch ein Interview zwischen Shigeru Miyamoto-san und dem Xevious-Entwickler10 Masanobu Endo-san gedruckt. Dadurch habe ich zum ersten Mal von Spielentwicklern gehört.9. Family Computer Magazine: Eine japanische Zeitschrift rund um den Famicom. Sie wurde zwischen 1985 und 1996 von Tokumashoten Intermedia Inc. herausgebracht.10. Xevious: Ein Shoot'em up, das 1983 von Namco Limited (heute Namco Bandai Games Inc.) als Arcade-Spiel veröffentlicht wurde. Es gab Versionen für verschiedene Konsolen, unter anderem für das NES.

Iwata:

Ich glaube, das war in etwa der Zeitpunkt, als sich die Spielentwicklung als Beruf etabliert hat. In der Anfangsphase wurden Videospiele ja von Technikern hergestellt. Haben Sie da zum ersten Mal darüber nachgedacht, zukünftig Spiele zu entwickeln?

Kamiya:

Ja. Deswegen habe ich ab der Mittelstufe in Schulaufsätzen immer geschrieben, dass ich mal Spielentwickler werden wolle. Ich glaube aber, ich hatte damals noch keine Ahnung, wie ich das bewerkstelligen sollte. (lacht)

Iwata:

Sie wussten, dass Sie Spiele entwickeln wollten, doch weil das Internet noch nicht existierte, hatten Sie keine Möglichkeit, Ihren Berufswunsch zu recherchieren. Und es gab auch noch keine Vorbilder.

Kamiya:

Wissen Sie, ich glaube, ich habe nie speziell darauf hingearbeitet, Spielentwickler zu werden. In der Oberstufe habe ich mir beispielsweise einen NEC PC-880111 gekauft, um programmieren zu lernen, doch dann habe ich den ganzen Tag nur Videospiele gespielt.11. NEC PC-8801: Ein 8-Bit-PC der Nippon Electric Company, der 1981 in Japan auf den Markt kam.

Iwata:

Verstehe. (lacht)

Kamiya:

Ich habe mich ein wenig mit BASIC12 befasst, doch es liegt mir nicht, mich hartnäckig auf eine Sache zu konzentrieren, also dachte ich, das ist nichts für mich, und habe gleich wieder aufgegeben. Statt also eifrig auf mein Ziel hinzuarbeiten … das klingt so uninspirierend. Soll ich das überhaupt erwähnen?12. BASIC: Eine Standard-Programmiersprache.

Iwata:

Ja, bitte fahren Sie fort. (lacht) Sie haben jedenfalls viele Videospiele gespielt!

Kamiya:

Stimmt. Sie haben mich stets begleitet. Mein ganzes Leben hat sich um Videospiele gedreht. Während der Mittel- und der Oberstufe war ich komplett in der Welt der Videospiele versunken und habe mit meinen Freunden über nichts anderes gesprochen.

Iwata:

Diese Freunde waren Teil dessen, was Sie heute ausmacht.

Kamiya:

Das stimmt zweifelsohne.

Iwata:

Als ich in der Oberstufe war, gab es keine PCs, also habe ich Spiele für programmierbare Taschenrechner geschrieben13. Einer meiner Klassenkameraden hat sie mir abgekauft.13. Programmierbarer Taschenrechner: Ein Taschenrechner, der programmiert werden konnte, um komplexe Berechnungen automatisch auszuführen. Die Geräte waren sehr einfach und hatten ein Display, in dem nur eine einzige Zeile alphanumerischer Zeichen dargestellt werden konnte. Der Taschenrechner von Herrn Iwata konnte nur Zahlen anzeigen.

Kamiya:

Verstehe.

Iwata:

Ich glaube, das war, als hätten sich die Partner eines Comedy-Duos gefunden. Wenn ich etwas programmiert hatte, hat er reagiert. So fand ich meinen ersten Kunden, und das hat in mir die Begeisterung geweckt, etwas herzustellen. Ich denke oft, dass ich ohne diese Erfahrung vielleicht nie Videospiele entwickelt hätte. Es war wichtig, jemanden zu haben, mit dem man über Videospiele reden konnte, selbst wenn er sonst andere Interessen hatte.

Iwata Asks
Kamiya:

Ja. In der Oberstufe waren wir mehr oder weniger zu dritt. Einer der Jungs hieß Nagasawa. Er war ein SEGA-Fan und hatte ein SEGA Master System14.14. SEGA Master System: Eine Spielkonsole, die 1985 von Sega Enterprises Ltd. (heute SEGA Corporation) in Japan auf den Markt kam. In Europa kam sie 1987 in die Geschäfte.

Iwata:

A-ha. (lacht)

Kamiya:

Ich hatte auch ein Master System, doch ich war bereits ein Famicom-Anhänger, also haben wir jeden Tag über Videospiele debattiert. Das war ein Kampf der Megafans. Der eine behauptete, der Famicon sei in einem Aspekt unschlagbar, der andere behauptete sofort, das SEGA Master System sei besser.

Iwata:

Ein echter Kampf der Megafans! (lacht)

Kamiya:

Ja. Und dann ging die Debatte mit Computern weiter. Ich hatte ein NEC PC-8801, doch er war Verfechter von MSX15.15. MSX: Bezeichnung eines Standards für PCs mit 8 und 16 Bit, die 1983 von Microsoft und der ASCII Corporation in Japan vorgestellt wurden. Auf MSX aufbauende PCs wurden von verschiedenen Herstellern herausgebracht.

Iwata:

Na klar! (lacht)

Kamiya:

Jeder fand sein System am besten, daher war der Kampf auch so unerbittlich. Keiner hat nachgegeben. Später habe ich ihn dann aber trotzdem besucht, und wir haben einträchtig zusammen gespielt.

Iwata:

Dadurch erhält man hinsichtlich Videospielen eine breitere Perspektive.

Kamiya:

Und dann hat sich Takagi … also das war der andere Kumpel.

Iwata:

A-ha. (lacht)

Kamiya:

Takagi hatte immer einen Teilzeitjob, weswegen er für einen Jungen in der Oberstufe relativ viel Geld besaß. Jedenfalls hat er sich mehrere Systeme gekauft.

Iwata:

Er hat konsumiert wie ein Erwachsener, obwohl er noch zur Schule ging.

Kamiya:

Ja. Durch seine Kohle stand er auf einer völlig anderen Ebene als wir. Er hat einfach nur amüsiert dagestanden, während Nagasawa und ich über Famicom und Master System gestritten haben.

Iwata:

(lacht) Sie waren wirklich ein interessanter Haufen!

Kamiya:

Anfangs hatte Takagi einen Sharp X116, daher drehte sich der Kampf immer um den NEC PC-8801, MSX und den Sharp X1. Dann hat sich Takagi jedoch einen X6800017 gekauft.16. Sharp X1: Ein 8-Bit-PC von Sharp, der 1982 von Sharp vorgestellt wurde. Man konnte ihn an den Fernseher anschließen. In Japan trug er auch den Spitznamen „Pasokonterebi“, eine Abkürzung für „Computerfernsehen“.17. Sharp X68000: Ein 16-Bit-PC von Sharp, der 1987 von Sharp vorgestellt wurde. Er war für seine verglichen mit anderen Heimcomputern damals außergewöhnliche Grafik bekannt und galt unter engagierten Spielern als Favorit.

Iwata:

Er hat sich einen Sharp X68000 gekauft, obwohl er noch zur Schule ging?!

Kamiya:

Ja. Das hat uns beiden anderen die Sprache verschlagen.

Iwata:

Kann ich mir vorstellen! (lacht) Wenn es darum ging, Videospiele auf einem PC zu spielen, war dieses Gerät den anderen deutlich überlegen.

Kamiya:

Ich habe mir damals Software gekauft und ihn dann besucht und gebeten, die Programme auszuführen. Ich tendierte zu Arcade-Spielen, doch Takagi hat lieber Spiele für die Konsole gekauft, obwohl er einen Sharp X68000 besaß.

Iwata:

Viele Arcade-Spiele waren aber auch für den Sharp X68000 erhältlich.

Kamiya:

Stimmt. Im Lieferumfang des Sharp X68000 war Gradius18 enthalten, also habe ich ihn gefragt, warum er keine Arcade-Spiele spielt. Tja, und so habe ich meine Zeit in der Oberstufe verbracht.18. Gradius: Ein Arcade-Shoot'em up, das 1985 von der Konami Corporation auf den Markt kam. Später gab es Versionen für diverse andere Plattformen. Um die Funktionen des Computers anzupreisen, war dem Sharp X68000 eine Version des Spiels beigelegt, das dem Original in technischer Hinsicht fast genau entsprach.

Iwata:

Sie haben sich in der Oberstufe wirklich enorm für Videospiele interessiert.

Kamiya:

Ja. Um ehrlich zu sein, habe ich in der Mittelstufe so wenig für die Schule getan, dass ich durch die Aufnahmeprüfung für die Oberstufe gerasselt bin. Ich ging auf eine Übergangsschule, und es war genau in dem Jahr, als ich am meisten gespielt habe. Sowohl die Mittel- als auch die Oberschule befanden sich außerhalb der Stadt, doch die Übergangsschule lag direkt gegenüber dem Bahnhof. Auf dem Weg zur Schule habe ich also jeden Tag in der Spielhalle vorbeigeschaut.

Iwata:

A-ha! (lacht)

Kamiya:

Ob zu Hause oder nicht, die Möglichkeit, Videospiele zu spielen, ergab sich jeden Tag. Videospiele waren wirklich ein fester Bestandteil meines Lebens.

Iwata Asks
Iwata Asks
Iwata Asks
Kamiya:

Ja. Erst wenn ich vor Panik buchstäblich mit den Zähnen klappere und mir bereits Horrorszenarien ausmale, kann ich wirklich klar über die einzelnen Aspekte nachdenken.

Iwata:

(lacht)

Inaba:

(Wendet sich zu Kamiya) Vielleicht sollte ich Ihnen die Zähne ziehen lassen?

Alle:

(lachen)

Kamiya:

Ich war wirklich nicht damit zufrieden, wie die Dinge letztes Jahr bei der E3 standen. Es machte einfach noch keinen Spaß. Wir hatten schöne Grafiken, und die zahlreichen Charaktere machten das Ganze irgendwie einzigartig, aber das Wichtigste fehlte noch – nämlich das eigentliche Gameplay.