4. Die Story im Herzen des Spiels

Iwata:

Bei The Last Story gibt es einen einzigen zentralen Handlungsstrang, an dem sich die Spieler orientieren, um das Ziel zu erreichen. Gleichzeitig haben Sie aber auch Möglichkeiten vorgesehen, das Spiel immer wieder anders zu spielen. Ich denke, Sie können zu Recht behaupten, dass jeder das Spiel nach seiner eigenen Façon spielen kann. Mr. Sakaguchi, mussten Sie so vorgehen, um die Spieler für das zu gewinnen, was Sie vorhatten?

Sakaguchi:

Ja, das kann man so sagen. Ich wollte die Spieler mit einem komplexen Angebot konfrontieren. So als hätte man diese in eine Kiste voller Spielzeug geworfen, aus dem sie wählen konnten. Gleichzeitig muss man aber im Herzen des Spiels eine solide Story bieten.

Iwata:

Damit sagen Sie, dass Sie an einen Verzicht auf diese zentrale Komponente eines klassischen RPG, nämlich die Geschichte, gar nicht denken konnten. Bis jetzt haben die RPGs immer versucht, die Menge an Inhalten nach Abschluss des Spiels zu erhöhen. Damit sollte gewährleistet werden, dass die Spieler das Spiel immer wieder spielen. Aber bei diesem Titel haben Sie etwas ganz anderes versucht. Mein Eindruck ist, dass Sie dem Spieler in diesem Spiel grenzenlose Freiheit gewähren, andererseits aber auch dafür sorgen, dass der Spieler das Spiel erneut spielen möchte. Und das erreichen Sie dadurch, dass Sie den Spieler weitere Möglichkeiten in Betracht ziehen lassen, wie er das Spiel angehen könnte.

Sakaguchi:

Ja, ich würde sagen, das stimmt. Da gibt es Spiele, die haben gar keine großartige, allumfassende Story. Hier kann der Spieler lediglich nach eigenem Belieben eine Stadt erkunden. Aber ich denke, dieser Ansatz ist nicht ganz richtig. Man braucht immer noch dieses zentrale Element eines klassischen RPGs – nämlich die Story.

Iwata:

Nun, es gibt ja die unterschiedlichsten Spieler. Auf der einen Seite gibt es da die proaktiven Spieler, die sich ihre eigenen Ziele setzen und so in das Spiel einsteigen, und auf der anderen Seite die passiveren Spieler, die lieber Ziele vorgegeben bekommen. Haben Sie das Gefühl, dass das Spiel wirklich für diese verschiedenen Arten von Spielern geeignet ist?

Sakaguchi:

Ich denke schon. Und ich bin auch überzeugt, dass man am Anfang unbedingt eine großformatige Story braucht, um den Spielern die besonderen Regeln der Spielwelt einzuschärfen und ihnen Gelegenheit zu geben, sich mit der Steuerung vertraut zu machen. Ich finde, in den Genuss der feineren Details des Spielsystems und des Online-Modus kann man auch noch kommen, wenn man ganz und gar in die Spielwelt eingetaucht ist. Um hier eine Parallele zu ziehen, würde ich es mit dem Kauen von Kaugummi vergleichen: Man kaut weiter darauf herum und schmeckt plötzlich den Hauch einer zweiten Geschmacksrichtung. Und dieses zu erreichen, hatte ich mir zum Ziel gesetzt.

Iwata Asks
Iwata:

Mr. Matsumoto, würden Sie sagen, dass Sie von Anfang an mit Mr. Sakaguchi auf einer Wellenlänge waren?

Matsumoto:

Ja, das war ich. Das begann damit, dass ich bemerkte, dass selbst jemand wie Mr. Sakaguchi willens war, seine bis zu diesem Tag angewandte Vorgehensweise zu überdenken. Das inspirierte mich, mir genau anzusehen, was ich bis zu diesem Punkt erschaffen hatte, und mir genau zu überlegen, was für ein Spiel wir den Leuten bieten wollten. In dieser Hinsicht fingen wir wieder ganz von vorn an.

Iwata:

Erstellt ein Spieledesigner seine Spiele immer nach einer gewissen Methode, dann werden die Spieler bestimmte Erwartungen haben. Auf der anderen Seite gibt es Spieler, die die Spiele jahrelang gespielt haben, und wieder solche, die das Spiel zum ersten Mal spielen. Es ist unglaublich schwierig, beide dieser Gruppen zufriedenzustellen.

Matsumoto:

Aber meiner Meinung nach ist das RPG das Spielgenre, das beiden Gruppen gerecht wird. RPGs sollten so angelegt sein, dass sie ein breites Publikum ansprechen. Und die Tatsache, dass man lange Zeit auf das Sammeln von Erfahrungen und den Spielfortschritt verwenden kann, macht das Genre ganz besonders einladend. Nachdem ich Blue Dragon gemacht hatte, bedauerte ich, das Spiel nicht spielerfreundlicher gestaltet zu haben. Ich denke, das hängt mit dem Ansprechen eines breiten Publikums zusammen, das Sie gerade erwähnten.

Sakaguchi:

Nun, auch heutzutage gibt es noch viele Spieler, die RPGs nicht ganz bis zum Ende durchspielen würden.

Iwata:

Ja, da haben Sie recht. Das reine Volumen an Medien, das den Spielern heute zur Verfügung steht, hat enorm zugenommen. Ich glaube, das ist der Grund, warum die Entwickler davon überzeugt sind, die Spieler durch eine Vielzahl unterschiedlicher Elemente bei Laune zu halten. Aber stellen Sie sich mal vor, Sie würden tagein, tagaus nur die leckersten Speisen der französischen Küche zu sich nehmen. Irgendwann würden Sie auch dieser überdrüssig. Wenn Sie jetzt analog dazu die Anzahl der Spielelemente erhöhen, dann werden die Spieler dieser schließlich auch überdrüssig. Dann stellt sich die Frage, wie man die Spieler doch noch dazu bringt, das Spiel bis zum Ende zu führen. Man muss sich darüber Gedanken machen, wie man verhindert, dass der Spieler mittendrin die Lust verliert.

Iwata Asks
Sakaguchi:

Ja, das stimmt.

Matsumoto:

Eigentlich finde ich nicht, dass The Last Story an die französische Küche erinnert. Das ist Essen einer ganz neuen Geschmacksrichtung. Das von Mr. Sakaguchi entwickelte Spielsystem und die Story sind wie ganz neue Aromen, die die Spieler in ihren Bann ziehen, und diese dazu bringen, auch andere Gerichte auszuprobieren. Wir möchten den Spieler gern noch bis zum Kaffee, welcher ja den Abschluss des Menüs bildet, bei Laune halten.

Iwata:

Vielleicht strebten Sie nach einem Spiel, bei dem sich die Spieler damit wohlfühlten, wie sich die Dinge entwickelten, während sie doch jederzeit in den Genuss eines neuen Geschmacks kommen konnten.

Sakaguchi:

Richtig. In den Anfangsphasen des Projekts bestand unsere Arbeit ungefähr zu dreißig Prozent in der Entwicklung innovativer Systemelemente. In den mittleren Phasen des Projekts konzentrierten wir uns dann darauf, die Story ansprechend und voller Überraschungen zu halten. Und in den Endphasen des Projekts legten wir den Fokus schließlich darauf, den Spielern den Reiz des Krieges als einen Aspekt des Gameplay zu vermitteln. Wir wollten, dass die Spieler in den Genuss all dieser verschiedenen Geschmäcker kommen. Um ehrlich zu sein, war ich in den Endphasen des Projekts ziemlich angespannt. Mir war bewusst, dass wir am Ende nochmals den Geschmack würden verändern müssen.

Matsumoto:

Das stimmt. Es war wirklich schwierig, sich all diese neuen Geschmacksrichtungen zu überlegen.

Iwata:

Auf welche besonderen Probleme stießen Sie in dieser Hinsicht?

Sakaguchi:

Insbesondere ging es hier um das Verhalten der Gegner. Wir haben das Spiel so angelegt, dass sich die Spieler einen völlig neuen Ansatz überlegen müssen, um in bestimmten Kämpfen den toten Punkt zu überwinden.

Matsumoto:

Mir erschien es wichtig, die Spieler vor neue Herausforderungen zu stellen, damit diese in den späteren Phasen des Spiels den stärkeren Gegnern gewachsen waren. Außerdem wollte ich es ihnen zur Aufgabe machen, diese Gegner mit den Fähigkeiten und Taktiken zu schlagen, die sie beherrschten. Diese Art von Reiz war meiner Meinung nach etwas, das unbedingt aufgenommen werden musste.

Iwata:

Ich denke, die beste Motivation, um Spieler eine schwierige Stelle im Spiel bewältigen zu lassen, ist ein Erfolgserlebnis. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, wie es ist, wenn Sie ein Rätsel von The Legend of Zelda gelöst haben. Ich denke, das ist so ein Gefühl, das den Spieler ermutigt, am Ball zu bleiben.

Sakaguchi:

Man kann aber auch das Gefühl bekommen, allzu mächtig zu werden. Und vielleicht denken die Spieler dann, dass sich die Entwickler hierzu keine Gedanken gemacht haben. Man muss ein paar dieser Elemente einbauen, um bei den Spielern diese Gefühle hervorzurufen! (lacht)

Iwata:

Das ist ein wirklich wunderbares Gefühl.