1. Das schlimmstmögliche Happy End

Iwata:

Heute sind zwei Mitarbeiter von Tecmo Koei Games bei mir zu Gast – der Producer und der Director, die für die Entwicklungsleitung von „Project Zero 2: Wii Edition“ verantwortlich waren. Vielen Dank, dass Sie heute hier sind. Würden Sie sich zunächst kurz vorstellen?

Kikuchi:

Mein Name ist Keisuke Kikuchi; ich arbeite bei Tecmo Koei Games. Als Producer der „Project Zero“-Serie war ich bei diesem Titel an unterschiedlichen Aspekten der Entwicklung beteiligt, darunter auch an dem Entwurf des ursprünglichen Konzepts und der endgültigen Entscheidung über die Funktionen des Spiels.

Iwata Asks
Iwata:

Sie waren auch hier, um über Iwata fragt: Spirit Camera: Das verfluchte Tagebuch1 zu sprechen; dies ist also das zweite Mal, dass Sie an einem dieser Gespräche teilnehmen, nicht wahr? 1 Spirit Camera: Das verfluchte Tagebuch: Ein Horrorspiel, das auf der „Project Zero“-Serie beruht und im Januar 2012 in Japan für Nintendo 3DS erschien. Das Spiel nutzt Augmented Reality und enthält ein AR-Buch, das verwendet werden kann, um unheimliche Bilder mit den Kameras des Nintendo 3DS zu schießen.

Kikuchi:

Ja genau. Es freut mich, dass ich noch einmal eingeladen wurde.

Shibata:

Mein Name ist Makoto Shibata, ich arbeite ebenfalls für Tecmo Koei Games. Als Director der „Project Zero“-Serie war ich verantwortlich für die Handlung, das Spieldesign und die eigentliche Richtung, die das Projekt genommen hat.

Iwata Asks
Iwata:

Sie waren also von Anfang an an der „Project Zero“-Serie beteiligt?

Shibata:

Ja. Ich habe seit dem ersten Spiel die Rolle des Directors übernommen und die Szenarien entworfen. Zusammen mit Mr. Osawa und Mr. Izuno2 von Nintendo habe ich an der Entwicklung von „Zero: Tsukihami no Kamen“3 gearbeitet. 2 Toru Osawa und Toshiharu Izuno gehören beide zur Abteilung für Softwareplanung & ‑Entwicklung von Nintendo. Nach der Arbeit an „Zero: Tsukihami no Kamen“ arbeiteten sie gemeinsam mit Tecmo Koei an „Project Zero 2: Wii Edition“. 3 „Zero: Tsukihami no Kamen“ erschien im Juli 2008 in Japan für die Wii. Es war das vierte Spiel der „Project Zero“-Horrorserie, die von Tecmo herausgegeben wird, und gleichzeitig der erste gemeinsame Titel von Tecmo Koei Games und Nintendo. Außerhalb von Japan wurde das Spiel nicht veröffentlicht.

Iwata:

Mit diesem Titel haben Sie die Herausforderung angenommen, eine komplette Neugestaltung des zweiten Titels aus der „Project Zero“-Serie, nämlich „Project Zero II: Crimson Butterfly“4, zu erstellen. Könnten Sie mir etwas mehr darüber erzählen, wie es ursprünglich zu diesem Projekt kam? 4 „Project Zero II: Crimson Butterfly“ war der zweite Titel der Serie und wurde ursprünglich im November 2003 von Tecmo in Japan veröffentlicht.

Kikuchi:

Na ja, Sie wissen ja, dass „Zero: Tsukihami no Kamen“ ursprünglich entwickelt wurde, um die Möglichkeiten der Wii-Fernbedienung voll ausschöpfen zu können.

Iwata:

Die Verwendung der Wii-Fernbedienung als Taschenlampe war bereits in dem Konzeptvideo enthalten, das ich 2005 auf der Tokyo Game Show während meines Eröffnungsvortrags zur Enthüllung der Wii-Fernbedienung zeigte.

Kikuchi:

Ja, stimmt. Damals hatten wir uns etwas ausgedacht, das im Hinblick auf das Erkunden der Spielwelt gut zur Oberfläche der „Project Zero“-Serie passt.

Iwata:

Und da Sie sich schon all die Mühe gemacht haben, dieses Konzept zu entwickeln, dachten Sie sich, Sie könnten es genauso gut in einen neuen „Project Zero“-Titel einbauen.

Kikuchi:

Ja, genau! (lacht) Bei der Entwicklung von „Tsukihami no Kamen“ waren viele Ideen auf den Tisch gekommen, aber wir konnten nicht alle im Spiel unterbringen.

Iwata:

Sie hatten also noch einen ganzen Stapel von Ideen auf Lager, die Sie noch nicht nutzen konnten?

Kikuchi:

Genau. Und dann gibt es ja da auch immer noch die Ideen, die einem überhaupt erst in den Sinn kommen, nachdem ein Titel fertiggestellt ist. Das Konzept für dieses Projekt entstand aus der Überzeugung, dass wir dieses neue Steuerungssystem nutzen und einen bereits vorhandenen Titel neu gestalten könnten, um Spielern ein neues Horrorerlebnis zu bescheren, das weit über eine bloße Neuauflage hinausging.

Iwata:

Was hat Sie bewogen, aus den drei „Project Zero“-Titeln, die bis zu diesem Zeitpunkt erschienen waren, gerade „Crimson Butterfly“ auszuwählen?

Iwata Asks
Kikuchi:

Wir haben dieses Spiel gewählt, da sein Ende den Spielern offenbar wirklich im Gedächtnis haften geblieben ist und jede Menge Debatten über seine Vor- und Nachteile ausgelöst hat. Dadurch hat sich dieses spezielle Spiel von den anderen abgehoben, sowohl innerhalb der Serie als auch im Vergleich zu Abenteuerspielen im Allgemeinen.

Iwata:

Es hat also echte Diskussionen unter den Spielern ausgelöst?

Kikuchi:

Allerdings. Eines der von uns erdachten Enden war das schlimmstmögliche Happy End.

Iwata:

Ein glückliches Ende, das aber trotzdem irgendwie schrecklich war?

Kikuchi:

Ja, genau. Aber wir wussten, dass wir mit diesem Ende nicht durchkommen würden, also habe ich Mr. Shibata erklärt, dass wir ein anderes Ende bräuchten. Er hat dann vorgeschlagen, das ultimative „Bad End“ zu verwenden.

Iwata:

(lacht)

Kikuchi:

Trotz mehrerer verschiedener Enden gibt es also kein „ultimatives Happy End“. Das Ende, das wir gewählt haben, scheint wirklich einen nachhaltigen Eindruck bei den Spielern hinterlassen zu haben. Deshalb ist dieses Spiel auch uns besonders im Gedächtnis geblieben.

Iwata:

Na ja, wenn es einem Ende gelingt, alle losen Fäden zu perfekt zu verknüpfen, besteht die Gefahr, dass es quasi am Spieler „abperlt“ und keinen Eindruck hinterlässt.

Shibata:

Stimmt. Wir dachten, dass ein eindruckvolles Ende, das dem Spieler im Gedächtnis bleibt, für ein Horrorspiel angemessener wäre.

Iwata:

Selbst wenn der Spieler all den schrecklichen Szenen und der allumfassenden Atmosphäre der Bedrohung endlich entkommen war, konnte er das Spiel also nicht mit einem Seufzer der Erleichterung abschließen. Und was das angeht, sind Sie der alten Version treu geblieben.

Shibata:

In der Tat. Bei dieser neuen Version haben wir dasselbe Prinzip bewahrt. Wir haben einige neue Enden hinzugefügt, und diesmal gibt es auch ein Happy End. Allerdings ist dieses nicht so einfach und überschaubar, wie es scheint.

Iwata:

Das hört sich so an, als ob Sie die Diskussionen wieder anheizen wollten! (lacht)

Kikuchi:

In gewisser Hinsicht betrachte ich diesen Titel als ein Geschenk für jene, die das Original gespielt haben. Ein Geschenk, das nach neun Jahren geliefert wird. Ich glaube, sie werden es als eine neue Perspektive mit ganz neuem Feeling erleben.

Iwata Asks
Shibata:

Zu diesem neuen Feeling würde ich gerne noch etwas sagen: Man beobachtet die Handlung aus einer Perspektive, als stünde man hinter dem Hauptcharakter. Mithilfe der Wii-Fernbedienung kann man sich umsehen. Somit bietet dieser Titel einen noch frischeren Ansatz, als wir es uns vorgestellt hatten. Vor allem, wenn man bedenkt, dass er dieselbe Umgebung verwendet wie das Original. Selbst für uns, die wir das Spiel erstellt haben, hat es den Eindruck, als bewegten wir uns durch eine völlig andere Welt.

Iwata:

Obwohl Sie das Original alle unzählige Male gespielt haben, macht dieses Spiel aufgrund seines neuen Steuerungssystems einen völlig neuen Eindruck.

Shibata:

Ja, ich finde schon. Selbst wenn man dieselben Aktionen durchführt, wirkt das ganz anders. Man kann das gar nicht richtig in Worte fassen … Denken Sie z. B. einmal an das System von „Tsukihami no Kamen“, wenn man Dinge untersucht5. 5 Das System von „Tsukihami no Kamen“: Wird in verschiedenen Situationen der A-Knopf der Wii-Fernbedienung gedrückt gehalten, beginnt der Charakter des Spielers, seine Umgebung zu erkunden. Mithilfe dieses Systems wird die Handlung vorangetrieben.

Iwata:

Ah ja.

Shibata:

Also, bei diesem Titel haben wir mehr von dieser Art Action eingeschlossen, sodass der Spieler in

Video: Räume spähen, Dinge zur Seite stellen und ganz allgemein dynamisch mit der Welt des Spiels interagieren

Iwata Asks: Project Zero : Wii Edition
Räume spähen, Dinge zur Seite stellen und ganz allgemein dynamisch mit der Welt des Spiels interagieren kann. Selbst wenn man mit dieser Welt vertraut ist, wirkt diese also neu und anders, wenn man sie jetzt erneut aufsucht, sodass man unwillkürlich wieder in ihren Bann gezogen wird.

Kikuchi:

In „Tsukihami no Kamen“ haben wir das als „Touch-System“ bezeichnet. Mit der neuen Version hat es sich aber unserer Meinung nach zu einem „Touch-System Plus“ gewandelt.

Iwata:

Das „Touch-System Plus“? (lacht) Inwiefern ist es denn eine Verbesserung gegenüber dem Originalsystem?

Kikuchi:

Wenn man die Hand ausstreckt, um ein Objekt zu berühren,

Video: wird man manchmal von einer geisterhaften Hand ergriffen

Iwata Asks: Project Zero : Wii Edition
wird man manchmal von einer geisterhaften Hand ergriffen . Wenn man Glück hat, gelingt es einem noch, die Hand schnell wieder zurückzuziehen und zu entkommen. Oder man bekommt einen fürchterlichen Schreck, wenn man ein Objekt aufgehoben hat und sich schon in Sicherheit wähnt. Wir haben unterschiedlichste „Schockstufen“ und Überraschungen eingebaut.

Iwata:

Die Oberfläche in diesem Spiel bringt die Furcht also noch näher an den Spieler heran. Man fragt sich ständig, ob nicht vielleicht irgendwo ein Geist auftaucht.

Kikuchi:

Genau. Solche Szenen finden sich im gesamten Spiel, die Spannung lässt also nie wirklich nach. Und gerade wenn man glaubt, in Sicherheit zu sein, bekommt man unter Umständen einen fürchterlichen Schock. Diese Ungewissheit hält einen auf Trab und lässt das Spiel frisch und neu wirken.




Dieses Interview wurde ursprünglich am 4. April 2012 auf der japanischen Nintendo-Webseite veröffentlicht. Es enthält Videos aus der japanischen Spielversion. In Deutschland wird dieses Spiel auf Deutsch erscheinen.