3. Der Traum vom Leben als Spieleersteller

Iwata:

Mr. Inaba, danke, dass Sie sich so lange geduldet haben. Wie sah Ihr erster Kontakt mit Videospielen aus?

Inaba:

Ich habe ein anderes Alter als Mr. Minami, aber auch ich bin über die Spielhallen dazugekommen – z. B. mit „Space Invaders“, „Galaxian“7 und „Heiankyo Alien“8.7. Galaxian: Ein Shooter-Spiel, das 1979 in die Spielhallen kam.8. Heiankyo Alien: Ein Action-Spiel, dass 1979 für den PC erschien. Nachfolgende Versionen wurden für die Spielhallen, für das Nintendo Game Boy-System und das Super NES veröffentlicht.

Iwata:

As „Space Invaders“ herauskam, müssten Sie in der Grundschule gewesen sein, wenn ich das richtig einschätze, oder?

Inaba:

Stimmt, aber ich weiß nicht mehr genau, in welcher Klasse. Wenn man damals in einen großen Supermarkt oder ein Thermalbad ging, gab es da „Space Invaders“. Das waren die einzigen Orte, an denen ich die Möglichkeit hatte, zu spielen.

Iwata:

Ah ja, Grundschulkinder können wahrscheinlich nicht mal eben in eine Spielhalle marschieren.

Inaba:

Ich weiß noch, dass ich damals dachte: „Videospiele machen Spaß, aber ich habe ja kaum Gelegenheit, sie zu spielen!“

Iwata Asks
Iwata:

Sie konnten nur bei ganz speziellen Gelegenheiten spielen.

Inaba:

Genau. Und irgendwann war ich richtig gut. Ich konnte ewig „Galaxian“ spielen! (lacht)

Iwata:

Sie haben eine andere Art von Intensität in Ihre seltenen Spielgelegenheiten eingebracht.

Inaba:

Es war unglaublich, wie sehr man sich konzentrieren musste – und wie verzweifelt man war, wenn man es verbockte! (lacht) Allerdings brachte ich meine frühen Schuljahre nicht ausschließlich mit Arcade-Spielen zu. Bis zur Mittelstufe hatte ich auch den PC für mich entdeckt. Eines Tages rief ein Freund mich an und sagte, er hätte etwas voll Cooles. Also bin ich rübergegangen und stand einem PC-60019 gegenüber.9. PC-6001: Ein 8-Bit-PC, der 1981 in Japan von NEC herausgebracht wurde.

Iwata:

Das ist das, was als „Hobby-Computer“ bezeichnet wurde.

Inaba:

Genau. Man konnte ein Spielmodul einschieben und Spiele spielen, die sonst nur in den Spielhallen verfügbar waren. Ich war total begeistert. Natürlich konnten sich die Grafiken in keiner Weise mit der Arcade-Version messen, aber damals war gerade „Portopia Renzoku Satsujin Jiken“10 erschienen und das war genau die Art von Spiel, für die ich mich begeisterte. Und in einem Elektronikladen in der Nachbarschaft stand ein PC in der Auslage; dort konnte ich ein bisschen programmieren und damit herumspielen.10. Portopia Renzoku Satsujin Jiken: Ein Abenteuerspiel, dass Enix (nunmehr Square Enix) in Japan 1983 für PC und im November 1985 für das NES-System herausbrachte.

Iwata:

Sie haben einen Computer in einem Elektroladen programmiert?

Inaba:

In der Tat! (lacht) Der Laden war an eine Buchhandlung angeschlossen. Ich habe dann immer so getan, als würde ich mich nur umsehen, und habe ein Buch mit einem Quellprogramm zu dem Computer herübergetragen. Da habe ich dann vor mich hingetippt. Das haben damals viele Leute gemacht. Aber wenn dann mal wieder die Festplatte bereinigt wurde, war alles weg. Ich habe also zwei Stunden lang gearbeitet und dann …

Iwata:

Sie haben zwei Stunden programmiert und zehn Minuten gespielt! (lacht)

Inaba:

Genau.

Iwata:

Aber es hat Ihnen nichts ausgemacht, zwei Stunden in die Programmierung zu investieren, um zehn Minuten spielen zu können.

Inaba:

Nein, gar nicht. Ich war beim Programmieren immer total aufgeregt. Aber dann kam irgendwann der Ladenbesitzer und meinte, es reiche jetzt mal und ich solle das Buch zurückstellen. Dann musste ich also wieder nach Hause gehen. Aber ich ließ mich nicht abschrecken und stand am nächsten Tag wieder auf der Matte. Und immer so weiter.

Iwata:

Es hatte Sie wirklich erwischt.

Inaba:

Oh ja. Aber nach einer Weile ging mir auf, dass das kein Dauerzustand sein konnte. Ich wollte einen eigenen Computer haben. Also habe ich alles auf eine Karte gesetzt und meinen Eltern erklärt, dass ich einen eigenen Computer bräuchte. Sie wollten wissen, was ich damit vorhätte. Und ich wusste genau, wenn ich sagen würde, dass ich Videospiele damit spielen wollte, wären meine Chancen gleich null.

Iwata:

Das glaube ich gerne! (lacht) PCs waren damals ganz schön teuer – wesentlich teurer als Spielkonsolen heute.

Inaba:

Und mein Wunschtraum war ein PC-880111.11. PC-8801: Ein 8-Bit-PC, der 1981 von NEC in Japan herausgebracht wurde.

Iwata:

Ein bisschen viel Geld für einen Grundschüler! (lacht)

Inaba:

Vor dreißig Jahren kostete so ein Ding 228.000 Yen – das war damals etwa so viel, wie man heute für einen leichten Kleinwagen ausgeben würde!

 

(Anm. d. Red.: Ein leichter Kleinwagen oder „keijidousha“ ist eine Art von in Japan erhältlichem kleinem und erschwinglichem Auto.)

Iwata:

Logisch, dass Ihre Eltern nicht sofort zugestimmt haben.

Inaba:

In der Tat. Damals hat sich mein Weg entschieden. Ich bat und bettelte und erklärte, dass ich mit meinem eigenen Computer nicht nur Spiele spielen sondern diese auch erstellen könnte. Das war ungefähr zu der Zeit, als Enix seinen Programmierwettbewerb12 ins Leben rief. Und damals gab es auch die ersten Programmier-Stars – wie z. B. Yuji Horii13 ,Kazuro Morita14 und Koichi Nakamura15.12. Der erste Game Hobby Program Contest von Enix (jetzt Square Enix) fand 1982 statt.13. Yuji Horii: Gewinner des Winning Program Award beim ersten Game Hobby Program Contest. Er ist der Schöpfer der „Dragon Quest“-Serie.14. Kazuro Morita: Gewinner des Most Outstanding Program Award beim ersten Game Hobby Program Contest. Eines seiner Vorzeigewerke ist „Morita Shogi“.15. Koichi Nakamura: Gewinner des Outstanding Program Award beim ersten Game Hobby Program Contest für sein Spiel „Door Door“. Zu seinen bekanntesten Werken gehören die Serien „Torneko no Daiboken“ und „Shiren the Wanderer“.

Iwata:

Ah ja …

Inaba:

All diese Leute habe ich angeführt, um das Entwickeln von Videospielen als unglaublich vielversprechende Berufsmöglichkeit darzustellen. Und ich malte in schillernden Farben aus, dass ich ein erfolgreicher Spielersteller werden könnte, wenn sie mir einen Computer kauften, und dass ich dann meinem Vater eine schicke Wohnung und meiner Mutter einen Diamantring kaufen könnte! (lacht)

Iwata:

(lacht)

Inaba:

Und sie haben mir einen gekauft! Als Kind war ich sicher, dass sie meine Versprechungen bald vergessen würden, aber das schmieren sie mir auch heute noch jedes Mal wieder aufs Brot, wenn wir uns sehen! Der Standardspruch ist: „Und – ist es schon so weit?“ (lacht)

Iwata:

Und dann sagen Sie, dass es mit der Wohnung noch ein bisschen dauern wird? (lacht)

Inaba:

Genau! (lacht) Jedenfalls – sie haben mir also einen Computer gekauft. Zuerst habe ich nur darauf gespielt, aber ich habe auch an der Programmierung herumgepfuscht und z. B. geändert, wie die Gegner sich bewegten. Und ich habe eigene Dinge erstellt. Und dadurch habe ich schließlich darüber nachgedacht, ob das Erstellen von Spielen vielleicht sogar mehr Spaß machen würde als das Spielen selbst.

Iwata:

Ihr Entwicklerherz begann zu erwachen.

Inaba:

Wenn Sie so wollen. Ich dachte, wenn ich das Programmieren erlernen würde, könnte ich wirklich ein Spielersteller werden. Also suchte ich mir eine Schule aus, an der ich das Programmieren erlernen konnte, und begann, über meine berufliche Zukunft nachzudenken.

Iwata:

Aber Sie waren noch in der Grundschule, oder? Das ist ja etwas früh, um über so etwas nachzudenken.

Inaba:

Mein Traum wurde nie erschüttert. Oh, aber einmal, als ich etwa 17 oder 18 war, fragte ich meine Eltern, ob ich nicht in Amerika studieren dürfte, um Musiker zu werden. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass sie meine Hoffnungen zunichte machten und mir erklärten, ich solle nicht albern sein. (lacht)

Iwata Asks
Iwata:

(lacht)

Inaba:

Aber die meiste Zeit wollte ich definitiv in die Spielebranche.

Iwata:

Sie haben aber nicht bei Capcom angefangen, oder?

Inaba:

Nein. Ich bin in der Präfektur Ishikawa geboren und aufgewachsen und die meisten Leute, die ich kannte, haben sich in der Nähe ihres Heimatorts Arbeit gesucht. 1992 habe ich eine Stelle in einem Videospielunternehmen namens Irem bekommen, das örtliche Verbindungen hatte.

Iwata:

Wie war das, als der Traum wahr wurde, den Sie seit Ihren Grundschultagen geträumt hatten? Wie fühlte es sich an, tatsächlich bei einem Entwicklerstudio anzufangen?

Inaba:

Es war einfach super. Programmierer sorgen dafür, dass ein Spiel überhaupt läuft.

Iwata:

Damals spürten Programmierer noch, dass sie die Kontrolle über alles hatten, was letztlich in den Händen der Spieler landete.

Inaba:

Stimmt. Ich fühlte mich wie ein Zauberer. Es war sagenhaft. Bei diesem Unternehmen blieb ich etwa drei Jahre lang, aber ich hatte nie das Gefühl, harte Arbeit zu verrichten. Ich ging damals gegen sieben Uhr morgens zur Arbeit, ging gegen Mitternacht ein Curry oder eine Rindfleischsuppe essen, arbeitete dann bis zwei oder drei Uhr morgens, nahm einen späten Imbiss zu mir, ging nach Hause und am nächsten Morgen wieder um sieben zur Arbeit. Das hat viel Spaß gemacht.

Iwata:

Und Sie hatten nie den Eindruck, dass das hart war.

Inaba:

Nie. Die Zeit verging wie im Flug, während ich darüber grübelte, warum irgendetwas nicht funktionierte oder warum die erfahreneren Kollegen das konnten, aber ich nicht.

Iwata:

Bei solchen Sachen vergeht die Zeit in der Tat wie im Fluge.

Inaba:

Ja. Und ich habe mich tierisch gefreut, dass ich dafür auch noch bezahlt wurde. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, war die Bezahlung nicht eben berauschend, aber ich hatte ja damals gar keine Zeit, Geld auszugeben. Ich habe etwas gemacht, was mir Spaß machte, wurde dafür bezahlt und war einfach glücklich, dabei zu sein!