4. Das Ausgangsmaterial bestmöglich ausschöpfen

Iwata:

Haben Sie Ihre Pläne für Pandora’s Tower mit irgendjemandem besprochen?

Yamakura:

Ich besprach sie mit den Mitarbeitern, die am vorläufigen Charakter-Design arbeiteten. Sie arbeiteten eigentlich am Design für einen anderen Plan, den Hoga aufgestellt hatte. Also fragte ich sie im Vertrauen: „Können Sie darüber Stillschweigen bewahren?“ (lacht)

Iwata:

Also gab es da gleichzeitig zwei Pläne?

Yamagami:

Ganbarion kam und präsentierte etwas, das wir für einen Plan für das Spiel hielten. Darauf sagte Ms. Yamakura, sie hätte noch ein anderes Angebot. Sie holte ein Whiteboard heraus und erklärte uns, das Motiv sei die wahre Liebe.

Iwata:

Ich bin mir sicher, Mr. Yamagami spitzte die Ohren, als er Sie das sagen hörte.

Yamagami:

Das stimmt! Als wir alle Details des Designs erfahren hatten, war ich so verblüfft, dass ich mich selbst fragen hörte: „Sind Sie selbst auf diese Idee gekommen, Ms. Yamakura?’

Iwata:

War Mr. Nakano da auch dabei?

Nakano:

Ja, das war ich. Ich sah mir den Plan an, den wir von Ms. Yamakura bekommen hatten, und sowohl Mr. Yamagami als auch ich waren sehr davon angetan und sagten nur: „Wow!“

Yamagami:

Als ich dann eine Präsentation vor Mr. Iwata zu diesem Thema hielt, sagten Sie: „Was passiert eigentlich genau in dem Spiel?“ (lacht) Ich sagte, das stünde noch in den Sternen. Darauf entgegneten Sie: „Wenn Sie so an das Projekt herangehen, wird das ziemlich harte Arbeit werden.“

Nakano:

Ich erinnere mich noch deutlich daran.

Iwata:

Ich bin mir sicher, dass Sie zum heutigen Zeitpunkt genau nachvollziehen können, was ich damals damit meinte, Mr. Nakano.

Nakano:

Ja, das kann ich tatsächlich! (lacht) Wir hatten zwar eine klare Vorstellung von der Spielewelt, aber diese umzusetzen, war gar nicht so einfach. Die Struktur, die wir aufgestellt hatten, war die gleiche wie für die Jump-Spiele. Daran erinnerte ich mich, als wir anfingen. Ich hoffte, das irgendwie hinzukriegen, wenn Ganbarion und ich an einem Strang zögen.

Iwata Asks
Iwata:

Normalerweise fängt ein Projekt nicht so an. Bei der großen Mehrheit der Spiele, die hier von unserem internen Entwicklungsteam bei Nintendo erstellt werden, wird zuerst das Spiel und anschließend erst die Story festgelegt. Meistens gerät man in Schwierigkeiten, wenn man am Anfang noch keine ausgewogene Idee für das Herzstück des Spiels hat. Daher gehen wir normalerweise nicht in dieser Reihenfolge vor.

Irie:

Ich verstehe.

Iwata:

Aber Ganbarion konnte mehr als ein Beispiel für unvernünftige Forderungen nennen, die wir ihnen bei den beiden Jump-Spielen gestellt hatten. Außerdem wollten wir ihnen die Gelegenheit zu einer neuen Herausforderung geben. Und Mr. Nakano arbeitete gut mit Ganbarion zusammen. Daher dachte ich damals: „Wagen wir uns also mit diesem Titel auf unerforschtes Gebiet vor!“

Nakano:

Wie wir vorhin besprochen haben, waren die einzigen Punkte, die wir bis dahin festgelegt hatten, dass man der Heldin Fleisch zu essen geben würde, um ihre Verwandlung herbeizuführen, und dass es ein Zeitlimit geben würde, während dessen man zwischen den einzelnen Stufen hin- und herwechseln konnte. Rückblickend denke ich, waren wir doch ein wenig zu optimistisch, als wir dachten. „Wenn wir uns der Sache jetzt einfach annehmen, werden sich die Dinge schon irgendwie finden.“ (lacht)

Iwata:

Sie brauchten dafür sehr viel mehr Zeit als geplant, nicht wahr? Welcher war der nächste Schritt bei diesem Prozess?

Yamagami:

Nun, nachdem was Sie uns sagten, sorgten wir dafür, dass das Gameplay weiterhin funktionierte. Wir beschlossen, dass der Held eine Kette verwenden sollte, und begannen mit der Arbeit an einem Prototyp für dieses Action-Element des Spiels.

Nakano:

Außerdem hatten Sie es uns zur Aufgabe gemacht, das Spiel so vielen Leute wie möglich zugänglich zu machen. Darum gaben wir unser Bestes, das Spiel so zu gestalten, dass man es mit einer einzigen Wii-Fernbedienung spielen konnte

Iwata:

Wie kamen Sie damit voran?

Irie:

Hoga arbeitete zu dieser Zeit an einem anderen Projekt. Daher übernahm ich die Entwicklung eines Prototyps, der sich mit einer einzigen Wii-Fernbedienung steuern ließ. Bei der Entwicklung der Vollversion des Spiels übergab ich diese Aufgabe dann an Hoga. Weil Hoga und Nakano beide so begeisterte Fans von Action-Spielen sind, kommen sie auf alle möglichen Ideen. Und als wir an der Umsetzung all dieser Ideen arbeiteten, wurde das Ziel, das Spiel mithilfe einer einzigen Wii-Fernbedienung zu steuern, immer unhaltbarer.

Iwata Asks
Iwata:

Dann erwies sich der Versuch, das Spiel mithilfe einer einzigen Wii-Fernbedienung zu steuern, also mehr als Hindernis denn als irgendetwas anderes.

Irie:

Das ist richtig. Daraufhin veränderten wir unseren Ansatz, bekamen durch Mario Galaxy11 einige Anregungen und überarbeiteten das Spiel dahingehend, dass es mit einer Wii-Fernbedienung in Verbindung mit einem Nunchuk gesteuert werden konnte. 11 Super Mario Galaxy ist ein 3D-Platformer, der im November 2007 für die Wii veröffentlicht wurde.

Nakano:

Vielen Spielern hatte bei Super Mario Galaxy die Kombination aus Wii-Fernbedienung und Nunchuk gefallen. Wir fanden, dass diese Art der Steuerung besser zum Spiel passte. Die Entscheidung wurde also zu einem richtigen Wendepunkt.

Iwata:

Welche Action wollten Sie mit der Erstellung eines Spiels ermöglichen, bei dem man mithilfe der Wii-Fernbedienung und des Nunchuk eine Kette schwingt?

Hoga:

Nun, wir dachten wir sollten bei einem Actionspiel die Zeigerfunktion einsetzen, um so die Möglichkeiten der Wii-Fernbedienung auszuschöpfen. Dadurch erhielte die Wii-Fernbedienung eine einzigartige Funktion und könnte sich so mehr abheben.

Iwata:

Funktionierte die Kombination aus Kette und Zeiger gut zusammen?

Hoga:

Ja, das tat sie. Doch, als wir das erste Mal auf die Idee mit der Kette kamen, haben wir über die Zeigerfunktion gar nicht nachgedacht. (lacht)

Iwata:

Das erinnert mich daran, dass wir überhaupt erst auf die Idee mit der Kette kamen, weil wir dachten, diese würde einen so schönen Kontrast zur Haut unserer Heldin bilden. Ich denke, man kann sogar so weit gehen und sagen, dass dieses Spiel am Anfang gar kein richtiges Herzstück hatte.

Yamakura:

Unsere Arbeit bestand dann darin, für das Funktionieren des Spiels zu sorgen.

Iwata:

Betrachtet man die Entwicklung mal aus einem anderen Blickwinkel, dann entspricht die Art und Weise, nach der Sie dieses Spiel entwickelt haben – ohne dass es von Anfang an ein grundlegendes Gameplay-Element gab – doch Ihrer Vorgehensweise bei Titeln wie One Piece. Auch hier waren Ihnen am Anfang nur die allgemeinen Rahmenbedingungen vorgegeben. In dieser Hinsicht ist dieses Spiel genauso strukturiert wie Spiele, die zum Beispiel auf Manga basieren.

Hoga:

Genau. Deshalb kam mir alles auch recht einfach und natürlich vor. Als die Entwicklung ins Laufen kam, hatte ich das Gefühl, wir würden, aufbauend auf der Pandora’s Tower-Franchise, ein Spiel entwickeln.

Iwata:

Ich verstehe. Also haben Sie es unter Anwendung Ihrer altbewährten Methoden erstellt.

Hoga:

Richtig. Zuerst freuten wir uns richtig, unseren ersten Original-Titel zu erstellen, weil wir so Aspekte der Story und der Spielwelt nach den Erfordernissen des Spiels verändern konnten. Aber das Szenarium und die Spielwelt gehören nicht gerade zu meinen persönlichen Stärken, so dass die Möglichkeit, diese verändern zu können, nicht gut ausging … Zu manchen Zeiten der Entwicklung kamen wir gerade wegen solcher Veränderungen vom Kurs ab. Also beschloss ich, Spiele so zu entwickeln, dass das Ausgangsmaterial bestmöglich ausgeschöpft wird.

Iwata Asks
Iwata:

Manchmal entwickeln sich die Dinge in die falsche Richtung, gerade weil die Entwickler die Möglichkeit haben, diese beliebig verändern zu können. Verglichen damit kann ein festgelegtes Szenarium dem Spiel eine zusammenhängende Struktur geben. Dann erhält man gar keine Elemente, die sich nicht im Einklang mit dem allgemeinen Ton des Spiels befinden.

Hoga:

Das denke ich auch. Als mir das bewusst geworden war, fiel es mir anschließend viel leichter, die Dinge in die richtige Richtung zu lenken.