3. Von einer Lunchbox inspiriert

Iwata:

Der zweite Jump-Titel 10 war praktisch die Weiterentwicklung des ersten Titels. Also muss die Arbeit hieran wohl noch schwieriger gewesen sein. 10 Jump Ultimate Stars war ein Kampfspiel, das im November 2006 ausschließlich in Japan für den Nintendo DS veröffentlicht wurde. Es war die Fortsetzung von Jump Super Stars.

Yamagami:

Ja, es war anderthalb Mal so groß, und wir mussten es in zwei Drittel der Zeit fertigstellen.

Iwata:

Und als Sie damit fertig waren, machten Sie sich an die Arbeit für das Spiel, über das wir heute sprechen wollen. Können Sie bitte zunächst erklären, was für eine Art Spiel Pandora’s Tower ist?

Yamagami:

Um es kurz zu machen: Die Geliebte des Helden, Helena , leidet unter einem Fluch und verwandelt sich zusehends in eine Bestie. Um diesem Fluch zu entrinnen, muss sich unser Held in eine Reihe gefährlicher Türme begeben und dort verschiedenen Bösewichtern die Stirn bieten. Anschließend muss er in regelmäßigen Abständen mit „Meisterfleisch“ zu Helena zurückkehren, um so das Fortschreiten des Fluchs aufzuhalten. Doch Helena hasst dieses „Meisterfleisch“. Also versucht man als Spieler, ihr dieses nur möglichst selten zu bringen. Wartet man jedoch zu lange, dann schreitet ihre Verwandlung zu sehr voran und lässt sie immer scheußlicher aussehen. Während Ihres Spiels müssen Sie also genau abwägen, wann es an der Zeit ist, sich die Türme anzusehen und wann Sie besser zu Helena zurückkehren sollten.

Iwata Asks
Hoga:

Während der Entwicklungsarbeit haben wir das oft mit einer Ehefrau verglichen, die zu Hause bleibt, während ihr Ehemann zur Arbeit geht. Kommt der Ehemann zu spät nach Hause, wird die Ehefrau böse. Also tut der Mann sein Bestes, um früh nach Hause zu kommen. Auf der anderen Seite kann der Mann durch Überstunden abends aber mehr Geld verdienen. Das ist also sein Dilemma … Und hierin besteht das Wesen des Spiels. Das hat mir Ms. Yamakura so schon ganz am Anfang erklärt. (lacht)

Yamakura:

Ich dachte nur, so wäre es vielleicht ein bisschen leichter verständlich. Das war alles. (lacht)

Nakano:

Bei Nintendo gab es Leute, die genau das gleiche sagten.

Yamagami:

Das Gameplay wird wirklich in hohem Maße von diesem Szenario bestimmt, da der Spieler den Zeitpunkt, wann er nach Hause zurückkehrt, frei wählen kann. Sie können also insofern die Regeln selbst bestimmen, als dass Sie festlegen, wie lange Sie sich für die Türme Zeit nehmen, bevor Sie wieder zu Ihrer Heldin zurückkehren. Dabei bestimmen Sie, wie weit Sie sich vorwagen. Auch der Aufbau des Spiels wird zu einem amüsanten Element. Hier kann man nicht einfach systematisch vorgehen und sagen: „Ach, die Zeit ist fast abgelaufen. Da eile ich lieber schnell zurück!“ Hier ist alles ganz genau austariert. Und meines Erachtens ist dies etwas, das das Spiel einzigartig macht.

Iwata:

Wie nahm dieses Projekt seinen Anfang? Was führte dazu, dass Ganbarion ein Spiel entwickelte, das nicht auf einer bestehenden Geschichte basierte? Das war doch eine ganz neue Herausforderung für Ganbarion.

Yamagami:

Kurz nachdem die Entwicklungsarbeiten zu dem letzten Jump-Titel zu Ende gegangen waren, fragte ich Ms. Yamakura einfach: „Möchten Sie gern einmal an einem Original-Titel arbeiten?“ Und da sagte sie sofort: „Ja, das möchte ich.“ Und dann fügte sie hinzu, Ganbarion hätte da schon eine Idee. Ihr schwebte da etwas vor, das sie mir präsentieren wollte.

Iwata:

An irgendeinem Punkt hegten Sie dann also den Wunsch, ein Originalspiel zu machen.

Yamakura:

Ja, das stimmt. Unsere Firma hatte bisher Spiele auf der Grundlage bestehender Franchisen entwickelt. Da wollte ich mich auch gern mal der Herausforderung stellen, etwas im Original zu produzieren. Es war schon immer mein Wunsch, etwas für Jungs zu machen – ungefähr für das Alter ab der weiterführenden Schule bis hin zu Zwanzigjährigen. Deshalb habe ich eine Frau die zentrale Rolle im Spiel übernehmen lassen. Ich wollte etwas ausprobieren, das sich verändert, eine Verwandlung durchmacht. Und so beschloss ich, diese Frau einer Verwandlung zu unterziehen.

Iwata Asks
Iwata:

Ich verstehe.

Yamakura:

Genauer gesagt wollte ich dabei etwa den Prozess beschreiben, dass etwas zunächst unrein und anschließend wieder geläutert wird. Ich entschied mich für das Bild einer Frau, die rein gewesen war, aber dann irgendwie verdorben und anschließend wieder geläutert wurde. Das war das erste Element meiner Geschichte. Dann zerbrach ich mir einen Monat lang den Kopf, um mir einige Möglichkeiten einfallen zu lassen, wie ihre Reinheit wiederhergestellt werden konnte. Dann ergab es sich einfach, dass ich gerade mit Hoga in einem Hochgeschwindigkeitszug saß, als er plötzlich sagte: „Wissen Sie, die Lunchboxes von ekiben (Lunchpakete, die ausschließlich auf Bahnhöfen verkauft werden) sind im Moment wieder richtig gefragt …’ (klatscht in die Hände) Und da kam es mir plötzlich in den Sinn: „Lassen Sie uns die Geschichte so weiterspinnen, dass man die Heldin zwingt, etwas Bestimmtes zu essen!’ (lacht)

Iwata:

Ah … Dann haben Sie sich also durch eine Bemerkung über Lunchpakete zu dieser Idee inspirieren lassen? (lacht)

Yamakura:

Ja, das stimmt. Das Essen gehört doch für jeden zum Alltag dazu. Also war ich mir sicher, dass die Spieler darauf ansprechen würden. Anschließend dachte ich darüber nach, was wir ihr zu essen geben könnten. Und da kam mir in den Sinn, dass hier etwas wirklich Widerliches die Schönheit der Heldin unterstreichen würde.

Iwata:

Sie wollten damit also einen Kontrast schaffen.

Yamakura:

Richtig. Daher entschloss ich mich an dieser Stelle zu etwas Groteskem.

Iwata:

Im Spiel gibt es doch ein Gesetz, welches das Essen von Fleisch verbietet, nicht wahr? Welche Idee steckte dahinter?

Yamakura:

Zu dieser Zeit hörte man manchmal solche Ausdrücke wie „fleischfressende Mädchen“ und „pflanzenfressende Jungs“. Das war ein Grund. Meinem Empfinden nach findet es ein Junge im wirklichen Leben wohl wenig attraktiv, wenn vor ihm ein Mädchen Essen förmlich verschlingt. Ich wollte dieses Bild einbauen, in dem ein Mädchen eher zögerlich etwas isst. Deshalb siedelte ich das Spiel in einer Welt an, in der es verboten war, Fleisch zu essen. Anmerkung der Redaktion: ‘Fleischfressend’ und ‘pflanzenfressend” sind die direkten deutschen Übersetzungen zweier japanischer Modeworte, die zur Zeit des Interviews wiederholt von der japanischen Boulevardpresse verwendet wurden. Diese bezogen sich auf Mädchen, die aktiv auf Jungs zugehen und Jungs, die sich passiv von Mädchen ansprechen lassen.

Iwata:

Ich verstehe. Dann entsprangen Ihre Ideen also einer gewissen Zweckmäßigkeit. Das ist sehr interessant. Dies ist ein höchst wirksamer Ansatz für das Spieldesign.

Iwata Asks
Yamakura:

Das denke ich auch. Sie wissen doch, dass Mario größer wird, wenn er einen Pilz isst. Im Bild sieht es so aus, als hätten der Pilz und Mario sich gerade überschnitten und Mario wäre dadurch größer geworden. Der Spieler denkt jedoch, dass Mario den Pilz wirklich gegessen hat. Dieses instinktive Verständnis für das, was passiert, ist nichts, was man erklären muss. Daher dachte ich, dass die Spieler durch die Handlung des Essens verstehen würden, worauf wir hinauswollten. Bei den Action-Elementen des Spiels haben wir beispielsweise eine Kette eingebaut. Ich war davon überzeugt, dass die Haut des Mädchens und die Kette im Auge des Spielers einen schönen Kontrast bilden würden. Und durch die Wiederholung dieses Vorgangs ist schließlich die Spielstruktur entstanden.