5. Der Kingdom Hearts-Stil

Iwata:

Ich nehme an, dass Sie, jetzt da die Serie schon so lange läuft, einen typischen “Kingdom Hearts”-Stil etabliert haben.

Nomura:

Hmm. Mal überlegen ...

Iwata:

Vielleicht musste Ihr Team gar nicht darüber diskutieren, weil Sie von Anfang an eine klare Vorstellung davon hatten, wie das Endprodukt aussehen sollte, bevor überhaupt ein Spiel produziert worden war?

Nomura:

Ich glaube, so war es. Wir unterhalten uns eigentlich nicht darüber, ob Spiele dem Kingdom-Hearts-Stil entsprechen oder nicht. Wenn ich sage: „Das ist es, was ich machen möchte“, dann weiß das Team schon, dass es um ein Kingdom Hearts-Spiel geht.

Iwata:

Dann ist Kingdom Hearts, so wie wir es heute kennen, also tatsächlich Ihrem Geist entsprungen?

Nomura:

Ja ... Nun, wenn sie mich danach fragen, was den “Kingdom-Hearts-Stil” eigentlich ausmacht, dann verbinde ich damit vor allem ein Gefühl von Tiefe.

Iwata:

Was meinen Sie mit „Tiefe“?

Nomura:

Ich hoffe, dass die Leute diese Tiefe spüren, wenn Sie in die Welt von Kingdom Hearts eindringen. Ich möchte hier nicht den Eindruck erwecken, dass wir etwas Hauchdünnes und Oberflächliches unter dem Namen Kingdom Hearts vertreiben.

Iwata:

Dann geht es hier also nicht nur darum, die Welt und die Charaktere in das Spiel hineinzupacken?

Nomura:

Nein, darum geht es nicht. Um ehrlich zu sein, denke ich gar nicht so sehr darüber nach ... Worauf es wirklich ankommt, ist die „Kulisse“ des Spiels – und das ist etwas, das man nicht unbedingt von der Oberfläche aus sieht.

Iwata:

Dann haben Sie eine kohärente Vorstellung davon, wie alles funktioniert. Und das Spiel funktioniert nur, wenn diese Vorgaben eingehalten werden. Ob nun alles erwähnt wird, ist irrelevant. Wichtig ist es, zu wissen, wie alles zusammenhängt, und dies zu erklären, ohne sich dabei zu widersprechen.

Nomura:

Das stimmt.

Iwata:

Erzählen Sie mir, auf welche Reaktionen Sie tatsächlich gestoßen sind, als Sie das Spiel der Öffentlichkeit präsentierten, Mr. Nomura?

Nomura:

Als das Spiel zum ersten Mal in Los Angeles24 vorgestellt wurde, saß ich im ersten Stock und sah zu, wie Sie Ihre Präsentation hielten. Als der Titel auf dem Bildschirm hinter Ihnen erschien, konnte ich sehen, wie ein Raunen durch die Menge ging. „Gott sei Dank“, dachte ich da. Ich war wirklich erleichtert. 24Das Spiel wurde erstmalig auf der E3 2010 vorgestellt. E3 ist die Abkürzung von “Electronic Entertainment Expo”, einer Videospiel-Messe, die jährlich in Los Angeles stattfindet.

Iwata:

Ich erinnere mich, wie ich auf der Bühne stand und dabei auch die Reaktion des Publikums beobachtete. Die Leute schienen wirklich begeistert.

Nomura:

Ich dachte wirklich: „Das muss ich jetzt ernst nehmen.“ Seit dieser ersten Ankündigung gab es jedes Mal eine großartige Reaktion auf alle Trailer, die wir herausbrachten. Die Leute zeigen ein wirkliches Interesse an dem Spiel – das hätte ich nicht erwartet. Jedenfalls nicht in dieser starken Form.

Iwata:

Woher kam das?

Nomura:

Zu dieser Zeit wurde gerade ein wirklich großartiges Line-up angekündigt. Und ich glaube nicht, dass dieser Titel da so besonders herausragend war. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass das Publikum ein wirkliches Interesse daran hatte. Auch die Reaktion auf die Bundle-Version25 war wirklich sehr gut. 25„Bundle” bezieht sich auf die Version von KINGDOM HEARTS 3D [Dream Drop Distance], die in Japan im Paket zusammen mit einem Nintendo 3DS-System vertrieben wird. Das in dem Paket enthaltene System hat die Farbe Kosmos-Schwarz, wobei die Vorder- und Rückseite mit einem Originalmuster verziert sind, das Bilder aus dem Spiel, wie zum Beispiel Micky Maus und das Kronensymbol, enthält.

Iwata:

Sicher, das Bundle wurde sehr gut angenommen.

Nomura:

Ja. Wenngleich ich davon überzeugt bin, dass wir mit diesem Spiel erreichen konnten die Fans zu begeistern, waren die Reaktionen darauf in der Realität noch besser, als ich erwartet hatte.

Iwata:

Wenn man eine Serie über einen so langen Zeitraum hinweg entwickelt, gelangt man irgendwann an einen Punkt, an dem man im Konflikt steht, die Erwartungen der Fans zu erfüllen oder neue Spieler zu begeistern. Was können Sie dazu sagen?

Nomura:

Darüber mache ich mir viele Gedanken ... Meiner Meinung nach ist das etwas, dem man sich schließlich stellen muss. Wir sind stets bemüht, den einleitenden Teil jedes Spiels für Neulinge zugänglich zu machen. So lassen wir zum Beispiel die Hauptfigur in die Welt eintreten und fragen: „Was ist das für ein Ort?“ Und damit sitzt diese dann im gleichen Boot wie der Spieler.

Iwata:

Dann gehen Sie also immer von einer Situation aus, bei der der Spieler völlig unwissend ist?

Nomura:

Ja. Wir geben den Spielern, die noch gar nichts über das Spiel wissen, einige Informationen zu den Charakteren und der Spielumgebung, die wir für hilfreich erachten. Dennoch ist es für Spieler, die mit der Serie vollkommen vertraut sind, schwierig nachzuvollziehen, wo neue Spieler unsicher sind.

Iwata:

Und die Fans der Serie empfinden die an die Neulinge gerichteten Erklärungen vielleicht als ein bisschen zu ausführlich.

Nomura:

Werden sowohl Neulinge als auch erfahrene Spieler vor ein Rätsel gestellt, dann fürchten die Unerfahrenen, dass ihnen zur Lösung des Rätsels wichtige Vorkenntnisse fehlen. Sie befürchten, das Rätsel nicht lösen zu können, weil sie die vorhergehenden Titel der Serie nicht gespielt haben. Wenngleich wir diese schwierige Frage nie abschließend lösen werden, haben wir in dieses Spiel ein System integriert, mit Hilfe dessen sich die Spieler die gesamte bisherige Handlung aneignen können.

Iwata:

Und Sie sind sicherlich davon überzeugt, dass man nicht die vorherigen Spiele der Serie gespielt haben muss, um seinen Spaß an diesem Spiel zu haben.

Nomura:

Ich hoffe, das ist nicht der Fall. Wir haben diesen Titel so konzipiert, dass er alle Informationen enthält, die Sie für das Spiel brauchen. Vielleicht noch mehr, als in den vorhergehenden Titeln enthalten ist. (lacht) Dennoch haben wir unser Konzept, „sich einfach nur den Controller zu schnappen und sich damit durch die Welt zu bewegen – selbst wenn es keinen konkreten Spielauftrag gibt – und so Spaß zu haben“, nicht außer Acht gelassen. Man muss also nicht jedes kleine Detail kennen, um an diesem Spiel seine Freude zu haben.

Iwata:

Diese Serie ist aber erst entstanden, als Sie Gefallen daran gefunden hatten, bei Mario 64 vor dem Schloss herumzuspringen, und eine Spielwelt erschaffen wollten, in der es den Spielern allein schon Spaß macht, einfach so herumzulaufen.

Nomura:

Ja, das stimmt.