1. Der Einfluss von Super Mario 64

Iwata:

Vielen Dank, dass Sie heute bei mir sind.

Nomura:

Vielen Dank für Ihre Einladung.

Iwata:

Heute treffen wir uns zum ersten Mal in dieser Form. Ist es nicht so, Mr. Nomura?

Nomura:

Ja, das stimmt.

Iwata:

Nun, wenngleich es in der Vergangenheit keinen Anlass für ein solches Treffen gab, wollte ich doch schon seit längerer Zeit mit Ihnen sprechen.

Nomura:

Ach, wirklich?

Iwata:

Nun, ich möchte das Interview gern mit THEATRHYTHM FINAL FANTASY1 beginnen. Kürzlich hatte ich die Gelegenheit, mit Mr. Hazama2, dem Produzenten des Spiels, zu sprechen. Dabei konnte ich richtig spüren, dass Sie sein Mentor waren, Mr. Nomura.

Nomura:

Oh ja, wir sind gute Freunde. 1THEATRHYTHM FINAL FANTASY ist ein Rhythmus-Action-Spiel, das im Sommer 2012 in Europa erscheint. 2Ichiro Hazama arbeitet für Square Enix. Er ist der Produzent von THEATRHYTHM FINAL FANTASY.

Iwata:

Ich hatte den Eindruck, für Mr. Hazama sind Sie jemand, der ihn durch den kreativen Prozess führt. Was für ein Gefühl hatten Sie, als er Ihnen von seiner Idee für THEATRHYTHM erzählte?

Nomura:

Nun ... Ich dachte, dass Entwickler normalerweise gar nicht auf solche Ideen kommen.

Iwata:

Ah, ich verstehe. Sie meinen, dass die Leute, die Spiele erstellen, normalerweise nicht auf solche Ideen kommen?

Nomura:

Ja, weil die meisten Menschen die Spiele normalerweise von einer ganz anderen Perspektive aus angehen. Andererseits begann Mr. Hazama ungefähr mit der folgenden Idee: „Ich möchte ein Spiel mit bestehenden Grafiken erstellen.“ Ich fand das Konzept wirklich interessant und ermutigte ihn, weiterzumachen.

Iwata:

Mr. Hazama muss Ihre Äußerungen wohl als große Unterstützung empfunden haben. Ich erinnere mich sogar daran, dass er etwas in der folgenden Art sagte: „Schöpfer sind ganz großartige Menschen. Sie gehen ihren eigenen Weg. Und wenngleich dieser manchmal dunkel und steinig ist, sind sie doch stets überzeugt, ihr Ziel zu erreichen. Ich habe noch einen langen Weg vor mir, bevor ich es ihnen gleichtun kann, und doch empfinde ich großen Respekt und Bewunderung für diese Leute.” Das fand ich sehr interessant.

Nomura:

Ich finde es immer interessant, mich mit jemandem zu unterhalten, der einen Charakterzug oder eine Qualität an sich hat, die mir selbst fehlt. Als ich mich mit Mr. Hazama unterhielt, spürte ich, dass er etwas hatte, das mir fehlte.

Iwata:

Nun, ich glaube, dass der gute Ruf von THEATRHYTHM zum Großteil auf seine Demoversion3 zurückzuführen ist. Aber haben Sie nicht selbst den Vorschlag für diese Demoversion gemacht, Mr. Nomura? Ich habe mich gefragt, ob Sie uns wohl etwas darüber erzählen könnten. 3“Demoversion” bezieht sich auf die Demo von THEATRHYTHM, die in Japan über den Nintendo eShop heruntergeladen werden kann.

Nomura:

Nun, es gibt ja eine Reihe von Videospiel-Events, die jährlich stattfinden. Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, die Reaktionen der Leute auf die Titel zu beobachten, die bei diesen Events vorgestellt werden. Die Schlange der Leute, die die erste Probeversion von THEATRHYTHM ausprobieren wollten, war unglaublich lang. Viele Leute schrieben in Blogs und Twitter Dinge wie: „Das hat solchen Spaß gemacht“ und „Ich habe mich immer wieder angestellt“. Vom ersten Tag an fand diese Version also eine sehr gute Resonanz. Außerdem wurde mir bewusst, dass die Leute durch das Ausprobieren einen immer besseren Eindruck von diesem Spiel erhielten.

Iwata:

Also waren Sie der Meinung, dass es den Leuten gefiel, das Spiel selbst auszuprobieren?

Nomura:

Das stimmt. Aus diesem Grunde habe ich die Demoversion vorgeschlagen.

Iwata:

Beobachten Sie oft, wie die Menschen auf Spiele reagieren, Mr. Nomura?

Nomura:

Ja, das tue ich. Ich sehe mir auf jeden Fall an, wie diese das Spiel selbst ausprobieren. Aber ich beobachte auch gern ihre Reaktionen auf Werbevideos. Dies ist eine Möglichkeit, nachzuvollziehen, welche Teile des Spiels beim Publikum gut ankommen. Daher fing ich an, bei jeder sich mir bietenden Gelegenheit solche Beobachtungen anzustellen.

Iwata:

Zwischen den Reaktionen, die man gern bei Spielern hervorrufen möchte, und denen, die diese tatsächlich haben, wird es immer Abweichungen geben. Diese Abweichungen müssen beinahe täglich korrigiert werden. Mr. Nomura, ist das für Sie und Ihr Team schon gängige Praxis geworden?

Nomura:

Ja, ich achte immer darauf, wie das Publikum reagiert, wenn die von uns entwickelten Spiele der Öffentlichkeit präsentiert werden, so dass ich die Reaktionen unmittelbar beobachten kann. Das habe ich auch schon eine ganze Weile lang so praktiziert. Außerdem habe ich die wichtigsten Mitarbeiter des Teams dazu angehalten, die Reaktionen in der gleichen Art und Weise zu beobachten.

Iwata:

Es hat den Anschein, als hätten Sie dies für sich selbst herausgefunden, ohne dass Ihnen das irgendjemand beigebracht hätte. Künstler gehen nicht immer den Weg, den Leuten genau das zu bieten, wonach diese verlangen. Manche enttäuschen dabei ganz bewusst die Erwartungen der Leute und richten sich gegen den Mainstream. Gleichzeitig beobachten diese aber sorgfältig, wie die Leute auf ihre Anregungen reagieren, und versuchen, während sie an dem Projekt arbeiten, ihre Sichtweise mit den Reaktionen des Publikums in Einklang zu bringen.

Nomura:

Das stimmt.

Iwata:

Diese Unterhaltung offenbart mir eine Seite von Ihnen, die ich bisher noch gar nicht kannte, Mr. Nomura. Meine Mentalität ist der Ihren sehr ähnlich. Daher stößt Ihre Vorgehensweise bei mir auf große Zustimmung.

Nomura:

Oh, ich verstehe! (lacht)

Iwata:

Nun lassen Sie uns aber über Kingdom Hearts4 sprechen. Im Laufe der letzen 10 Jahre hat sich das Spiel wirklich zu einer gigantischen Geschichte entwickelt. Aber eigentlich war dies doch der erste Titel, bei dem Sie die Leitung übernommen haben, nicht wahr? 4Kingdom Hearts ist eine Action-RPG-Serie, die von Tetsuya Nomura erschaffen wurde. Das erste Spiel der Serie erschien (in Japan) im März 2002. Es ist für die Verwendung von Motiven und Inhalten aus der Welt von Disney bekannt.

Nomura:

Ja, das stimmt.

Iwata:

Dabei leben die Charaktere aus der Kingdom Hearts-Serie in der gleichen Welt wie die von Disney entworfenen Charaktere. Und Disney ist wohl eine der strengsten Firmen, wenn es um die Verwendung ihrer Charaktere geht. Ich erinnere mich an eine ähnliche Erfahrung, als wir Smash Brothers5 machten, und daran, wie schwierig das damals war. Daher interessiert es mich, wie diese Zusammenarbeit zustande kam und wie Sie solche Schwierigkeiten meisterten. 5Smash Brothers bezieht sich auf Super Smash Bros., eine Action-Kampfspiel-Serie. Der erste Titel der Serie wurde (in Japan) im Januar 1999 für das Nintendo 64-System veröffentlicht.

Nomura:

Oft wird erzählt, dass diese Zusammenarbeit damit begann, dass wir uns im gleichen Gebäude begegneten ... Aber die Entwicklungsgeschichte des gemeinsamen Spiels mit Disney geht sogar noch weiter zurück. Aus irgendeinem Grund befand ich mich eines Tages im gleichen Raum mit Mr. Hashimoto6 und Mr. Sakaguchi7 ... 6Shinji Hashimoto ist ein Mitglied der Führungsebene bei Square Enix Holdings. Er war der Produzent vieler Titel, einschließlich Final Fantasy VII, die auf die Square-Ära zurückgehen. 7Hironobu Sakaguchi ist der Schöpfer der Final Fantasy-Serie. 2001 gründete er seine eigene Entwicklungsfirma Mistwalker Studios.

Iwata:

Sie waren alle drei zufällig zur gleichen Zeit da?

Nomura:

Das stimmt. Ich war aus einem ganz anderen Grund dorthin beordert worden. Aber als ich dort ankam, unterhielten sich Mr. Hashimoto und Mr. Sakaguchi gerade über ein Meeting mit Disney. Sie tauschten sich ungefähr so aus: „Micky Maus wäre schön gewesen, aber wir dürfen ihn leider nicht verwenden.” In diesem Moment meldete ich mich einfach und sagte: „Da möchte ich auch mitmachen.“ Und so nahm alles seinen Anfang. Aber zu diesem Zeitpunkt dachte ich nicht darüber nach, ein Spiel zu machen, in dem Micky Maus eine Rolle spielen würde ...

Beide:

(lachen)

Nomura:

Wie dem auch sei, am Ende gelangten beide zu dem Schluss, dass sie Tetsu eine Chance geben würden.

Iwata:

Aber warum haben Sie sich überhaupt gemeldet? Was hat Sie daran interessiert?

Nomura:

Nun, gerade als ich an FFVII8 arbeitete, wurde Mario 649 veröffentlicht. Die vollständig dreidimensionalen Räume und die Freiheit, mit der man sich in diesen bewegen konnte, haben mich sehr beeindruckt. Als ich meinen Kollegen sagte, ich wolle auch so ein Spiel erstellen, erwiderten sie, Mario wäre doch schon weltberühmt. Es sei vollkommen unmöglich, mit einem brandneuen Charakter ganz von vorn zu beginnen. 8FFVII bezieht sich auf Final Fantasy VII, das (in Japan) im Januar 1997 veröffentlicht wurde. Hierbei handelt es sich um den siebten Titel der Serie. 9Mario 64 bezieht sich auf Super Mario 64, ein Action-Spiel für das Nintendo 64-System, das (in Japan) im Juni 1996 veröffentlicht wurde.

Iwata:

Sie hätten nicht gedacht, dass Sie mit Mario konkurrieren könnten?

Nomura:

Ganz genau. Irgendjemand sagte sogar, die einzige Möglichkeit bestünde darin, mit Charakteren zu arbeiten, die genauso bekannt wie die von Disney seien. Das setzte sich bei mir im Kopf fest. Und als ich dann hörte, wir könnten mit Disney-Charakteren arbeiten, ergriff ich die Gelegenheit beim Schopf!

Iwata:

Also meldeten Sie sich freiwillig für dieses Projekt, weil Mario 64 Sie so sehr beeindruckt und Ihr Kollege erwähnt hatte, Sie könnten ein solches Spiel nur mit Disney-Charakteren entwickeln. An diese Worte erinnerten Sie sich, und der Rest ist Geschichte!

Nomura:

Ja, das stimmt! (lacht)

Iwata:

Ja, ja. Das Schicksal geht oft seltsame Wege, nicht wahr?

 

Dieses Interview wurde ursprünglich am 3. April 2012 auf der japanischen Nintendo-Webseite veröffentlicht. Es enthält Videos aus der japanischen Spielversion. In Deutschland wird dieses Spiel auf Deutsch erscheinen.