5. Sekunden-Veränderungen

Iwata:

Was fanden Sie als leitender Programmierer denn schwierig, Mr. Aramaki?

Aramaki:

Alles Mögliche. Aber wie Sie sich vorstellen können, mussten wir viel herumprobieren, um die Steuerung des Spiels nur mit der Wii-Fernbedienung umzusetzen. Immer wenn ein neuer Mitarbeiter zum Projekt kam, hörten wir die Frage: "Warum benutzen wir denn das Nunchuk nicht?" Es gibt auf einer einzelnen Wii-Fernbedienung natürlich nur ein paar Knöpfe, deshalb hatten wir viele, viele Knopfbelegungs-Meetings, in denen es darum ging, wie Samus' verschiedene Bewegungen kontrolliert werden sollten.

Iwata:

Sie hatten Knopfbelegungs-Meetings?

Aramaki:

Ja, hatten wir. Und das Ergebnis dieser Meetings war, dass wir das Spiel so umsetzen konnten, dass es für jeden einfach zu spielen ist, weil man verschiedenste Bewegungen auch mit den wenigen Knöpfen ausführen kann. Außerdem haben viele Programmierer an dem Projekt gearbeitet, und alle wollten das Spiel noch besser machen, deshalb hatten wir schnell jede Menge neue Ideen. Keiner hat einfach nur nach Anweisung programmiert. Sie haben alle auch verschiedene Dinge auf eigene Faust entwickelt, um das Spiel noch besser und unterhaltsamer zu machen.

Iwata Asks
Iwata:

Das waren zwar alles Programmierer, aber sie haben trotzdem eigene Ideen entwickelt und wirklich versucht, sie umzusetzen?

Aramaki:

Genau. Ich glaube, sie haben es aber ein wenig übertrieben, und deshalb hatte ich das Gefühl, dass wir zu viele Ideen hatten. Wir mussten bei diesem Projekt ja viel ausprobieren und experimentieren, um herauszufinden, wie man diese Ideen erfassen und in das Spiel integrieren konnte.

Iwata:

Das war bestimmt schwierig, weil Sie ja nicht einfach alles ablehnen konnten, was mit gutem Willen entwickelt worden war.

Aramaki:

Stimmt. Aber die Kapazität der Wii-Discs war auch ein Problem. Erst dachte ich, dass wir alles locker auf einer Dual-Layer-Wii-Disc unterkriegen würden. Aber dann kam einfach immer mehr dazu...

Iwata:

Und es wurden ja auch immer mehr Videosequenzen.

Aramaki:

Auf jeden Fall! (lacht) Alle haben nach Lust und Laune Sachen hinzugefügt, bis die Disc am Ende randvoll war. Am Ende haben wir den freien Speicherplatz auf der Disc in Videolängen umgerechnet und gesagt: "Wir haben nur noch für ein paar Sekunden Platz auf der Disc." Das hat sogar mich überrascht.

Iwata:

Als man mir gesagt hat, dass das Spiel nur knapp auf eine Dual-Layer-Disc passt, hielt ich das erstmal für einen Scherz! (lacht)

Saito:

Am Ende war es wirklich sehr knapp. Als ich sagte: "Wir haben nur noch Platz für ein paar Minuten Videosequenzen", zählte Mr. Sakamoto tatsächlich die Sekunden bei den Videosequenzen mit, die er selber geschnitten hat. Er sagte dann Sachen wie: "Ich habe hier wieder zwei Sekunden eingespart, das müsste also passen, oder?" (lacht)

Iwata:

Ha ha! (lacht)

Aramaki:

Am Schluss haben wir wirklich sekundengenaue Änderungen gemacht.

Saito:

Aber dann haben wir doch noch alles untergebracht.

Aramaki:

Ich war sehr froh darüber, dass alles Platz hatte.

Iwata:

Mr. Sakamoto war also anscheinend so besessen von diesem Projekt, dass er sich wirklich mit jeder Sekunde genau beschäftigt hat. Es macht bei einem Projekt, das 18 Monate oder zwei Jahre läuft, schon einen Riesenunterschied für das Endergebnis, wenn man etwas Beharrlichkeit an den Tag legt. Wenn man aber insgesamt zu beharrlich ist, wird das Projekt niemals fertig. Es kommt also auf das richtige Verhältnis an.

Morisawa:

Das Gefühl hatte ich auch. Da ich ja für die visuellen Spezifikationen dieses Metroid-Spiels verantwortlich war...

Iwata:

Mr. Morisawa, Sie haben doch die Dokumente angefertigt, in denen der Look von Metroid beschrieben wurde, und sie an Team NINJA und Mr. Kitaura, Mr. Nagasawa und die anderen Verantwortlichen für die Videosequenzen weitergegeben, nicht wahr?

Morisawa:

Richtig. Ich habe eine Riesenmenge Dokumente angefertigt. Der Stapel war so dick wie mehrere Telefonbücher.

ia_metroid_vol_2_content_30.jpg

ia_metroid_vol_2_content_31.jpg

Der Grund dafür war, dass man mir so viele Fragen gestellt hat. "Aus welchem Material besteht Samus' Kleidung? Baumwolle?","Sind die Knöpfe an der Kleidung versilbert?", "Wie groß sollte diese Fläche sein?" und so weiter.

Iwata:

Wahrscheinlich weil das Material der Kleidung ja auch in den Videosequenzen gerendert werden musste. War es hauptsächlich Ihre Verantwortung, solche Fragen zu beantworten, Mr. Morisawa? Konnten Sie diese Entscheidungen treffen, ohne Mr. Sakamoto zu fragen?

Morisawa:

Das war größtenteils meine Verantwortung, aber es gab einfach Dinge, bei denen Mr. Sakamoto nicht umzustimmen war. Ein Beispiel dafür, das mich wirklich beeindruckt hat, war Samus' Power Suit und wie er die Farbe verändert, wenn man verschiedene Fähigkeiten freischaltet.

Iwata:

Ach ja, dann verändert sich ja das Aussehen.

Morisawa:

Zuerst ist er gelb, dann kommt das typische Orange, und schließlich wird er zum Gravity Suit, in dem Samus lila aussieht. Das ist Nintendos offizielle Spezifikation, also haben wir natürlich damit angefangen, den letzten Power Suit lila zu gestalten. Gegen Ende des Spiels gibt es aber einige sehr dramatische Szenen. Als Mr. Sakamoto eine dieser Videosequenzen gesehen hat, in denen Samus lila aussieht, fragte er: "Warum trägt Samus denn lila?"

Iwata:

Obwohl das schon von Anfang an die Vorgabe war! (lacht)

Morisawa:

Ja! (lacht) Also sagte ich ihm: "Sie trägt den Gravity Suit, deswegen sieht sie lila aus." Seine Antwort war: "Es wirkt aber irgendwie komisch, wenn eine lila Person in so einer ernsthaften Szene auftaucht." Ich sagte ihm dann natürlich: "Aber das ist doch die Spezifikation!" und er antwortete nur: "Nein, nein, das ist einfach zu merkwürdig."

Iwata Asks
Iwata:

Ha ha! (lacht)

Morisawa:

Dann haben wir auch Mr. Kitaura befragt, und er stimmte zu: "Ja, lila sieht merkwürdig aus." Ich dachte nur: "Hm?! Was sollen wir denn jetzt machen?" Diese Vorgaben gab es doch schon von Anfang an, noch vor meiner Zeit, aber sie sagten halt: "Nein, wir wollen unbedingt, dass Samus da in orange auftritt." Ich habe einfach nur gestöhnt und die Hände vors Gesicht geschlagen.

Iwata:

Es hört sich so an, als ob man Ihnen den Boden unter den Füßen weggezogen hätte. (lacht) Wie haben Sie die Situation denn dann gelöst?

Morisawa:

Ich habe erstmal verschiedene Farbmuster vorgeschlagen, die wieder etwas in die lila Richtung gingen, aber darauf konnten sie sich nicht einigen. Sie wollten einfach Orange. Deshalb haben wir uns schließlich dazu entschieden, die Gravity-Fähigkeiten des Anzugs anzuzeigen, indem wir die grünen Lichter an Samus' Brust in lila-pink leuchten lassen, wenn die Gravity-Funktion freigeschaltet ist.

ia_metroid_vol_2_content_32.jpg

ia_metroid_vol_2_content_33.jpg

Iwata:

Sie haben den Anzug also orange gelassen und die Lichter an der Brust in ein lila-pink abgeändert?

Morisawa:

Ja. Wir haben das im Handbuch deutlich erklärt, aber weil ich für die visuellen Spezifikationen von Metroid verantwortlich war, hat es mir nicht so richtig gepasst. Dann habe ich mich später daran erinnert, dass ich ja bisher an Metroid für den Game Boy Advance gearbeitet hatte. Damals kam ein Mitarbeiter zu mir und sagte: "Die Spezifikationen des Vorgängerspiels sehen zwar etwas Bestimmtes vor, aber diesmal sieht es ein wenig anders aus. Ist das in Ordnung?" Zu der Zeit hatte ich die Vorgaben verändert. Da kam mir der Gedanke, dass die Metroid-Spiele wie die Soße in einem traditionsreichen Aal-Restaurant sind...

Iwata:

Soße...? (lacht)

Morisawa:

Ja. Wenn man in ein japanisches Aal-Restaurant geht, hört man: "Unsere Soße ist über 100 Jahre alt." Aber das heißt ja nicht, dass die Soße seit 100 Jahren unberührt in einer Schale aufbewahrt wird. Es wird ständig neue Soße in der Schale zubereitet, deren Geschmack auch angepasst wird, und ich glaube, so verändert sich der Geschmack der Soße im Lauf der Zeit.

Iwata:

Ihre Theorie ist also, dass man Dinge ruhig nach und nach verändern kann, so wie die "100-jährige Soße", und so konnten Sie sich dazu durchringen, Veränderungen am Spiel durchzuführen.

Morisawa:

Ja, ich habe mich dazu durchgerungen... Oder besser gesagt, ich habe es aus einer neuen Perspektive gesehen... (lacht) Ich versuche zwar, die Traditionen zu bewahren, aber ich finde es auch wichtig, dass man neue Dinge entwickeln kann, ohne sich davon ausbremsen zu lassen.

Iwata:

Es ist natürlich richtig, dass Spezifikationen auch immer unveränderlicher werden, je detaillierter sie werden, und manchmal blockiert man sich dadurch selber. Die Entwicklung der Mario-Spiele hat in dieser Hinsicht auch zwei Seiten. Die eine Seite ist sehr offen und die andere ist sehr streng. Wenn wir die Offenheit der Mario-Spiele abgelegt hätten, wären sie nach und nach immer eingleisiger geworden, und wir wären nie bei dem Mario gelandet, den wir heute haben... Trotzdem ist es natürlich immer schwierig, wenn einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird.

Morisawa:

Das stimmt! (lacht)