3. Über 10.000 eMails

Iwata:

In Ordnung. Ich denke, jetzt ist es Zeit, dass sich auch unsere zwei Gäste von Nintendo vorstellen.

Morisawa:

Ich bin Morisawa von der 'Production Group No.1' des Software Planning & Development Departments. Ich habe als Art Director an "Metroid: Other M" gearbeitet. Dabei war ich verantwortlich für die Gestaltung der Charaktere und der Level im Spiel, außerdem habe ich das Konzeptdesign für das Aussehen der gesamten Spielwelt geleitet. Ich habe vorher bereits an anderen Spielen in der Metroid-Reihe gearbeitet, z. B. an Fusion 12, bei dem ich für die Hintergründe verantwortlich war, und Zero Mission, wo ich ebenfalls die Rolle des Künstlerischen Leiters übernommen habe. Dieses Projekt war meine erste Erfahrung mit einem Spiel für eine Heimkonsole, es gab also viele Dinge, mit denen ich nicht vertraut war. Daher bin ich mit der Einstellung an das Projekt gegangen, dass ich praktisch als Heimkonsolen-Lehrling für Team NINJA arbeiten würde. 12 "Metroid Fusion" ist ein Action-Spiel für den Game Boy Advance, das im Februar 2003 in Japan und im November 2002 in Europa veröffentlicht wurde. Es ist das vierte Spiel der Reihe.

Iwata Asks
Hosokawa:

Ich bin Hosokawa von der 'Production Group No.1' des Software Planning & Development Departments. Bei diesem Projekt habe ich als Director gearbeitet. Ich war schon in der Vergangenheit für Spieldesign verantwortlich, also Level-Design und so weiter, z. B. bei Fusion und Zero Mission. Diesmal war ich bei der Entwicklung aber mit anderen Themen beschäftigt, z. B. wie viel 2D-Feeling wir den Spielern in einer 3D-Welt vermitteln sollten, oder wie man ein 'NES-Spiel mit modernster Technologie' umsetzen könnte, wenn die Wii-Fernbedienung seitlich gehalten wird. Das Spiel hatte von Anfang an auch eine sehr starke Handlung, deshalb...

Iwata Asks
Iwata:

Das liegt daran, dass das Projekt als Geschichte in Mr. Sakamotos Kopf angefangen hat, lange bevor überhaupt etwas produziert worden ist, nicht wahr?

Hosokawa:

Genau. Meine Aufgabe war also, die Handlung zusammenzuhalten, die Veränderungen an Team NINJA weiterzugeben und dafür zu sorgen, dass alles Sinn macht und zusammen passt. Mr. Sakamoto war anfangs noch nicht sehr präzise mit seinen Vorstellungen.

Iwata:

Ja, so wirkt er manchmal auf Außenstehende, nicht wahr? Mr. Sakamoto hat dann zwar eine klare Vorstellung davon, was er möchte, aber er drückt sich einfach nicht sehr präzise aus. Er kann seine Vorstellung am Anfang noch nicht so eindeutig kommunizieren, dass andere Leute sie auch sofort verstehen. Er hat aber wirklich ein sehr spezielles Bild im Kopf; wenn man ihm also etwas zeigt, das davon auch nur geringfügig abweicht, kann er ganz eindeutig sagen: "Nein, das passt nicht richtig."

Hosokawa:

Das stimmt. Mein Auftrag war, eine Möglichkeit zu finden, den Leuten bei Team NINJA und Taiyo Kikaku diese Dinge zu vermitteln.

Iwata:

Zu Ihren Aufgaben gehörte auch die Zusammenarbeit mit Team NINJA, einem externen Team, das schon viel erreicht und auch einige Meilensteine entwickelt hat. Außerdem haben Sie ja Nintendo repräsentiert. Wie ging es Ihnen mit diesem Auftrag?

Hosokawa:

Sie können sich bestimmt vorstellen, dass es mich anfangs ein wenig eingeschüchtert hat. Wie Sie selber gesagt haben, sind Team NINJA ja für einige der beliebtesten Action-Spielreihen bekannt, und als Firma scheinen Sie das absolute Gegenteil von uns zu sein. Deshalb habe ich mich schon gefragt, ob wirklich alles gut gehen würde. Natürlich hatten wir bestimmte Ziele, die wir erreichen wollten, und ich habe befürchtet, dass sie diese Wünsche nicht verstehen könnten, oder dass wir uns nicht gut ergänzen würden, denn im schlimmsten Fall hätte das ja den kompletten Zusammenbruch des Projekts bedeutet. Von daher war ich also wirklich nervös.

Iwata:

Wie lang hat es gedauert, bis diese Sorgen verschwunden sind?

Hosokawa:

Wie schon erwähnt wurde, haben sich alle diese Sorgen komplett zerschlagen, nachdem wir einfach ein paar Mal miteinander gesprochen hatten. Bei Team NINJA ist unsere Meinung von allen sehr positiv aufgenommen worden, und sie haben uns nicht nur aufmerksam zugehört, sondern auch ständig eigene Vorschläge eingebracht. Die Zusammenarbeit war also wirklich sehr einfach.

Iwata:

Als Mr. Sakamoto und sein Team mir direkt am Anfang des Projekts berichtet haben, wie der Austausch zwischen den beiden Firmen lief, hatte ich den Gedanken: "Das Projekt läuft wahrscheinlich deshalb so gut, weil die Verständigung zwischen Team NINJA und dem Metroid-Team so reibungslos funktioniert." Bei diesem Projekt hatte ich das Gefühl, dass besonders die frühen Entwicklungsphasen, bis das Projekt schon voll in Gang gekommen war, sehr glatt gelaufen sind.

Hosokawa:

Natürlich gab es auch verschiedene Diskussionen um Einzelheiten, aber ich hatte auch das Gefühl, dass das Projekt insgesamt ziemlich glatt gelaufen ist.

Iwata:

Obwohl ich schon am Anfang dachte, dass die Verständigung gut war, hatte ich in den letzten Entwicklungsphasen das Gefühl, dass Sie sich besser aufeinander eingespielt hatten als ich es je erwartet hätte. Ich meine, in der zweiten Hälfte der Entwicklung wurden Mr. Sakamoto und Sie schon als richtige Mitglieder von Team NINJA angesehen, nicht wahr? (lacht)

Hosokawa:

Ja, stimmt. (lacht) Ich habe sogar für drei oder vier Monate in Tokio gelebt, so wie Mr. Sakamoto.

Iwata:

Sie kamen gar nicht mehr zurück nach Kyoto! (lacht) Sie waren so lange nicht da. Als ich Mr. Sakamoto dann bei der E313 getroffen habe, war es wie ein Wiedersehen mit einem Freund aus alten Tagen! 13 Die Videospielemesse E3 2010 fand vom 15. bis zum 17. Juni 2010 in Los Angeles statt.

Saito:

Die beiden waren so oft bei uns im Team NINJA-Studio, dass wir schon den Eindruck hatten, sie würden da mehr Zeit verbringen als wir! (lacht)

Iwata:

Jetzt mal zu Ihnen, Mr. Morisawa. Sie haben in der Vergangenheit schon an Metroid-Spielen gearbeitet, aber das waren alles Spiele für den Game Boy Advance. In diesem Projekt gab es 3D-Grafik, mit der Sie ja keine Erfahrung hatten, und Sie mussten sich in ein Team von Leuten integrieren, die damit vertrauter waren als Sie. Unter diesen Voraussetzungen als Art Director zu arbeiten, muss ja ein ziemlicher Druck für Sie gewesen sein. Wie haben Sie das empfunden?

Iwata Asks
Morisawa:

Da haben Sie schon Recht, ich habe mich wirklich unter Druck gesetzt gefühlt. Ich weiß natürlich, wie die Welt der Metroid-Reihe gestaltet ist, aber ich hatte davor nie mit 3D-Technologie gearbeitet - schon gar nicht bei einem Projekt, an dem auch noch 100 Leute beteiligt waren. Bei Team NINJA ist so etwas einfach selbstverständlich.

Iwata:

Sie haben also bisher in Projekt-Teams von 10, 15 oder 20 Leuten gearbeitet, aber nie in einem Team mit 50 oder 100 Mitarbeitern.

Morisawa:

Irgendwann kam Mr. Sakamoto einfach zu mir und sagte: "Wir überlassen das Design von Metroid Ihnen." Aber zum Design gehört einfach alles, von den 3D-Modellen bis zum Motion Capturing. Ich wusste nicht, wie ich diese Bereiche bei meiner Arbeit angehen sollte, und weil ich selber noch keine Erfahrung damit hatte, war ich wirklich ratlos... Aber wir erfuhren ungefähr einen Monat im Voraus, wann wir die erste Besprechung mit Team NINJA haben würden...

Iwata:

Sie hatten also noch etwas Zeit für Ihre Vorbereitung?

Morisawa:

Richtig. Aber zu der Zeit wusste ich noch nicht, was ich überhaupt vorbereiten sollte. Ich war wirklich beunruhigt und konnte nachts oft nicht mehr richtig schlafen.

Iwata:

Noch jemand, der auf einmal Schlafstörungen hatte! (lacht)

Alle:

(lachen)

Morisawa:

Ich entschied mich dazu, erstmal einige Dokumente zusammenzustellen, die meine bereits angefertigten Bilder, eine Beschreibung des Aussehens der Welt von Other M und solche Sachen enthielten. Die Dokumente habe ich dann Team NINJA gezeigt, um ihre Meinung dazu zu hören. Ich war etwas besorgt, dass sie sagen könnten: "Was soll das denn alles?" oder negativ reagieren würden, aber die Mitglieder von Team NINJA sagten, dass sie es sofort erfasst hatten. Außerdem sagten sie: "Wir probieren einfach mal, Teile davon umzusetzen." Dann machte ich mir sofort wieder Gedanken, weil ich mich fragte, was man nur mit den Papieren und Dokumenten überhaupt anfangen sollte. Aber bald darauf war schon ein bewegliches Modell von Samus fertiggestellt.

Iwata:

Hat es gleich nach Samus ausgesehen?

Morisawa:

Ja, hat es. Ich hatte nur ein paar Dokumente weitergegeben, und trotzdem war unsere Vorstellung schon in der ersten Phase zum Leben erweckt worden. Ich erinnere mich, dass alle wirklich überrascht waren und sagten: "Wow! Das ist ja umwerfend!"

Iwata:

Wie haben Sie das geschafft, Mr. Saito?

Saito:

Also, eigentlich bin ich erst einige Monate nach Beginn zum Projekt gekommen. Ich war also an der Umsetzung der ersten Sachen gar nicht beteiligt. Ich kann mir aber vorstellen, wie es gelaufen ist. Man kann davon ausgehen, dass unsere Designer - Mr. Hayashi und andere - jede Menge Dinge ausprobieren mussten. Aber natürlich waren alle schon lange mit den Metroid-Spielen vertraut und die meisten waren richtige Fans der Reihe, deshalb war es trotzdem sehr interessant für sie. Wir freuten uns darüber, ein Metroid-Spiel für diese Generation zu entwickeln, und dachten: "Wir wollen, dass das richtig gut wird! Legen wir los!" Ich glaube, deshalb konnten wir Nintendos Vorstellung umsetzen, nachdem wir Mr. Morisawas Hinweise noch einmal durchdachten und aus unserer eigenen Perspektive betrachteten.

Iwata:

Diesen Eindruck habe ich persönlich auch vom fertigen Produkt. Ich hatte bei diesem Spiel nie das Gefühl, dass zwei völlig verschiedene Dinge in eine gemeinsame Form gepresst worden wären.

Saito:

Der größte Faktor dabei war wohl, dass das Grundkonzept des Spiels sehr deutlich festgelegt war. Als ich Mr. Morisawa getroffen habe und er mit das Konzept erklärte, bin ich direkt eingetaucht. Die wichtigen Dinge waren alle bedacht und eingeplant - wie leben die Wesen in diesen Umgebungen, wie haben sie sich entwickelt, wie funktioniert das Ökosystem - solche Sachen.

Iwata:

Ich verstehe.

Saito:

Und weil das Grundkonzept so klar war, waren alle Besprechungen im Team inhaltlich fundiert. Es hieß nicht einfach: "Das sieht nicht gut aus" oder "Die Farbe ist nicht schön", sondern man hat sich wirklich darum bemüht, zu durchdenken, aus welchem Grund bestimmte Dinge geändert werden sollten oder warum sie nicht funktionierten. Wir verließen uns nicht einfach nur auf den äußeren Eindruck.

Iwata:

Wird das bei Team NINJA sonst auch so gemacht, dass man die Elemente so detailliert durchdenkt?

Saito:

Ich denke, wir versuchen schon immer, die Dinge leicht nachvollziehbar zu machen und betrachten bei unserer Gestaltung nicht nur einen Aspekt, sondern auch, wie alles andere damit zusammenhängt.

Iwata:

Also, bei diesem Projekt muss ja vor allem die Gestaltung der Grafik besonders viel Energie erfordert haben; da haben sehr viele Leute ihre Kreativität hineingesteckt. Wie konnten Sie denn bei so einem Prozess ein konsistentes Design umsetzen?

Nagasawa:

Also, ich denke, die gute Kommunikation zwischen uns war natürlich sehr wichtig. Die Mail-Verteilerliste zeigt das ganz gut. Ich habe mir angesehen, wie viele eMails im Rahmen dieses Projekts verschickt worden sind, und es waren über zehntausend.

Iwata:

Zehn...tausend?

Nagasawa:

Das ist aber noch nicht einmal die Gesamtsumme für das Projekt. Über zehntausend eMails wurden von den Mitarbeitern im Zusammenhang mit der Videoproduktion verschickt, an der ich auch beteiligt war. Das bedeutet, dass jeden Tag mindestens ein Dutzend eMails geschrieben wurden. Es fand also ständig irgendein Austausch zwischen uns Mitarbeitern statt.

Iwata:

Können Sie uns dazu ein Beispiel geben?

Nagasawa:

Wir haben z. B. Entwürfe für Videosequenzen verschickt und dann häufig Anmerkungen von Mr. Saito dazu erhalten: "Mr. Nagasawa, da stimmt etwas nicht. Das passt nicht zu Samus."

Iwata:

Mr. Saito hat Sie also darauf hingewiesen, dass manche Dinge nicht zu Samus passten. Dabei ist er doch bei Team NINJA! (lacht)

Nagasawa:

Na ja, es war natürlich nicht nur Mr. Saito. Mr. Morisawa wies uns ebenfalls auf Unstimmigkeiten hin, aber auch Mr. Sakamoto und Mr. Kitaura. (lacht)

Iwata Asks
Iwata:

(lacht) Es haben also Mitarbeiter aus den verschiedensten Bereichen die Anmerkung gemacht, dass etwas nicht passt. Und Sie haben die Videosequenzen dann immer entsprechend abgeändert, oder, Mr. Nagasawa?

Nagasawa:

Richtig. Das fand aber nicht immer nur über eMail statt, sondern wir haben das auch persönlich besprochen. Die Konsistenz des endgültigen Designs und die Übereinstimmung mit den verschiedenen Vorstellungen ist meiner Meinung nach das Ergebnis dieser intensiven Kommunikation.