5. Wie rührt man die Spieler zu Tränen?

Iwata:

Sie beide sind inzwischen seit vielen Jahren an der Erstellung von Spielen beteiligt. Was glauben Sie, welche Auswirkungen Sie mit Spielen auf die Emotionen von Menschen haben können? Was meinen Sie, Mr. Sakamoto?

Sakamoto:

Wie ich schon in meiner Rede auf der GDC23 sagte, gibt es bestimmte Elemente, die gegeben sein müssen, wenn ich die Herzen der Spieler berühren will: Zunächst einmal muss man die entsprechende Stimmung schaffen. Und dann muss man sicherstellen, dass alle Vorausahnungen auf die Handlungen straff gehandhabt werden und dass das Timing stimmt. Das andere erforderliche Element ist ... äh ... was war das noch mal ...? 23 GDC steht für die Game Developers’ Conference. Dieses ist die weltgrößte Konferenz für Spieleentwickler, die alljährlich in den USA stattfindet. Mr. Sakamotos Vortrag auf der GDC wird in Teil 6 vorgestellt.

Iwata:

„Kontrast“, oder?

Sakamoto:

Ah, ja, genau. (lacht) Wenn diese Techniken im Fluss der Geschichte gut gesteuert werden, können die Spieler überrascht oder erschreckt werden; Sie können lachen oder zu Tränen gerührt werden.

Iwata:

Mr. Sakamoto, Sie glauben, dass die Tränen, das Gelächter und die Schocks der Spieler alle auf einer Ebene existieren, und Sie loten diesen Bereich beim Erstellen von Spielen gerne genauer aus, nicht wahr?

Sakamoto:

Ja, genau. Wenn Menschen bewegt sind, wenn sie lachen, Angst haben oder wütend sind, werden ihre Emotionen von bestimmten Stimuli gesteuert. Im Wesen ist die Logik also für jedermann gleich: Es gibt den Aufbau und wenn dann das Timing perfekt ist, wird die Emotion auf das Maximum verstärkt. In diesem Hinblick funktioniert Lustiges und Beängstigendes auf dieselbe Weise.

Iwata:

Deshalb haben Sie also auf der GDC gesagt, dass Ihr breites Spektrum kreativer Bestrebungen samt und sonders auf dieselbe Wurzel zurückgeht?

Sakamoto:

Genau. Und – was ich auf der GDC, glaube ich, nicht erwähnt hatte – ich halte auch den „Klang der Worte“ für eines der Elemente, das von extremer Bedeutung ist.

Iwata Asks
Sakaguchi:

Oh ja, allerdings.

Sakamoto:

Ich war schon immer regelrecht besessen von Worten. Ich habe mich sogar um das gesamte Skript für Other M gekümmert – so wichtig ist mir der „Klang der Worte“.

Iwata:

Das ist mir schon beim Klang von Produktnamen aufgefallen. Sobald Mr. Sakamoto glaubt, auf das Richtige gestoßen zu sein, insistiert er gnadenlos, auch wenn er keine theoretische Erklärung dafür geben kann.

Sakaguchi:

Das liegt daran, dass man den Klang nicht so einfach in Worte fassen kann. Klang ist keine Frage der Theorie, oder?

Sakamoto:

Es gibt Momente, bei denen selbst der kleinste Fehler beim Timing alles verderben kann. Aber überraschenderweise bemerken die Leute, die an dem Spiel arbeiten, diese Dinge gar nicht immer. Daher muss man bei den entsprechenden Anpassungen extrem gründlich vorgehen. Deshalb musste ich unbedingt direkt an der Entwicklung von Other M beteiligt sein.

Iwata:

Deshalb sind Sie also bei Ihrem Aufenthalt in dem anderen Unternehmen herumgegangen und haben gefragt, wer als Letzter geht? (lacht)

Sakamoto:

Ja. (lacht) Wie Sie sich ja vorstellen können, musste ich oft bis spät nachts arbeiten, um die Arbeit für den nächsten Tag vorzubereiten, an dem meine Ideen dann umgesetzt werden sollten. Andernfalls hätte die Entwicklung nicht effizient ablaufen können. Es macht ja keinen Sinn, z. B. eine Anspielung einzubauen, die von den Spielern nicht bemerkt wird. Es ist schon öfter vorgekommen, dass wir uns wahnsinnig angestrengt hatten, Szenen zu erstellen, die den Spielern wirklich ans Herz hätten gehen sollen. Und dann musste ich sagen: „Irgendwie passt das jetzt nicht. Das ist nicht die richtige Atmosphäre für diese Sache.“ In der Regel waren das wirklich subtile Kleinigkeiten, aber wenn man nicht alles bis ins Detail kontrolliert, einschließlich der Musik, kann man meiner Meinung nach auch nichts erschaffen, das die Emotionen der Spieler im Spielfluss wirklich berührt.

Iwata:

Derartig subtile Probleme können sich zu echten Killern ausweiten, nicht wahr? Welcher Aspekte sind Sie sich diesbezüglich bewusst, Mr. Sakaguchi?

Sakaguchi:

Ich habe einen Artikel über Mr. Sakamotos Rede auf der GDC gelesen und war ziemlich beeindruckt. Ja, Kontrast ist wirklich ein wichtiger Faktor, habe ich mir gedacht.

Sakamoto:

Kontrast ... Das Wort, das mir heute glatt entfallen war. (lacht)

Sakaguchi:

(lacht) Ich hatte zuvor nicht über das Konzept des Kontrasts nachgedacht, aber er ist wirklich ein wichtiger Faktor.

Iwata Asks
Iwata:

Wenn er klar zutage tritt, kann Kontrast die Emotionen wirklich in Gang bringen, finden Sie nicht?

Sakaguchi:

Doch, ja. Und es gibt Momente oder Orte im Spiel, z. B., wenn man zum ersten Mal das Portal einer Burg öffnet, in denen man denkt: „Es wäre wirklich schön, wenn sich hier eine Geschichte abwickeln würde!“ Besonders bei The Last Story, als ich ja nicht meine übliche Methode anwendete, sondern erst mal die Spielsysteme umsetzte, gab es Momente, in denen ich erst mal nach derartigen Orten suchen musste. Die Geschichte, die ich erzählen wollte, war natürlich schon fertig ...

Iwata:

Sie meinen, Sie mussten darüber nachdenken, wie man die Geschichte in der Spielstruktur unterbringen konnte?

Sakaguchi:

Ja. Ich grübelte darüber nach, wo ich die Geschichte sozusagen „vergraben“ könnte. Deshalb habe ich auch beim Schreiben des Skripts eine neue Methode angewendet. Ich habe versucht, es in „Karteneinheiten“ zu schreiben. Während ich versuchte, diese zu einem Spiel zusammenzusetzen, habe ich permanent darüber nachgedacht, wo auf der Landkarte ich diese jeweilige Episode „vergraben“ könnte. Zwar änderte sich öfter die Reihenfolge, in der ich die verschiedenen Teile verbuddelte, aber manchmal änderte ich dagegen auch den Ablauf der Geschichte. Ich glaube, Spieler hassen es, wenn sie ein Spiel spielen, in dem sich die Geschichte nicht an den von ihnen erwarteten Orten und weiterentwickelt. Man kann sich doch vorstellen, dass die Spieler das Gefühl haben, von einem selbstgefälligen Autor herumgeschoben zu werden, oder?

Iwata:

Wenn man bei einem Spiel, das eine Geschichte erzählt, nur einen Fuß falsch setzt, bekommen Spieler das Gefühl, von einem selbstgefälligen Schreiberling herumgeschubst zu werden und haben vielleicht das Gefühl, dass das Spiel gar nicht zu ihnen passt.

Sakaguchi:

Genau.

Iwata:

Deshalb kann schon ein klitzekleiner Fehler beim Timing totales Chaos verursachen.

Iwata Asks
Sakaguchi:

Ja, so ist das. Insofern ist das Timing wirklich wichtig. Und die Hardware wird ja immer fortschrittlicher; man hat immer mehr Ausdrucksmöglichkeiten und kann selbst die detailliertesten Feinheiten der Charakteremotionen anzeigen. Daher kann ein falsches Timing beim Spieler wirklich übel aufstoßen ... In manchen Fällen bekommen sie das Gefühl, dass ihr Charakter eben nicht wirklich ihr Charakter ist. Daher glaube ich, wie Mr. Sakamoto zuvor schon sagte, dass „Handlungseinblicke“, in denen der Spieler erfährt, was mit Nebencharakteren geschieht usw., sehr wichtig sind.

Iwata:

Verstehe.

Sakaguchi:

Und um noch einmal darauf zurückzukommen, was ich zuvor über das Burgportal sagte: Ich glaube, Spieler wären mehr als enttäuscht, wenn beim Öffnen des Portals nichts geschähe.

Iwata:

Denn wenn sie die Türe öffnen, erwarten sie etwas, nicht wahr?

Sakaguchi:

Ja. Wenn die Türe also mit einem Schlag aufgeht, dumpf dröhnende Musik ertönt und die Meldung „Dies ist Burg XYZ“ erscheint, dann ist auch ein Stück Geschichte fällig. Darüber war ich mir bei diesem Projekt ganz besonders bewusst.

Iwata:

Was genau wollen Sie mit der Geschichte von The Last Story vermitteln, Mr. Sakaguchi?

Sakaguchi:

Es ist die Art von Geschichte, die viel Zeit zum Erzählen braucht. Es gibt verschiedene Elemente, die ich dem Spieler vermitteln möchte. Dieses Mal habe ich mich aber mehr auf die spielerischen Elemente konzentriert als auf die Geschichte. So wechselt der Spielercharakter auf seinen Reisen z. B. gelegentlich einige belanglose Worte mit anderen Charakteren. Beim Umhergehen hört man möglicherweise jemanden sagen: „Hey, riechst du das denn nicht?“ Durch derartige Dialoge wird der Spieler auf das Vorhandensein von Weggenossen aufmerksam gemacht. In dieser Geschichte wollte ich die Spieler unter anderem auf die starken Beziehungen aufmerksam machen, die zwischen ihnen und den Weggefährten bestehen, die sie, aus welchen Gründen auch immer, begleiten. Vielleicht denkt der Spieler sich: „Die Jungs sind ja großartig!“ oder: „Ich würde alles für meine Kumpels tun.“

Iwata Asks
Iwata:

Was meinen Sie, Mr. Sakamoto?

Sakamoto:

In den früheren Metroid-Spielen habe ich das Thema verfolgt, dass Menschen zwar immer Fehler machen und selbstsüchtig sind, aber letzten Endes doch nicht durch und durch schlecht sind. Und auch das Thema für dieses Spiel war etwas Ähnliches.

Iwata:

Verstehe. Vielen Dank Ihnen beiden. Um dann für heute zum Ende zu kommen, wie wäre es, wenn Sie sich noch einmal kurz gegenseitig loben?

Sakamoto:

Ich glaube, dass Mr. Sakaguchi und ich bei dem Versuch, „Geschichten durch Spiele zu erzählen“, etwas ganz Ähnliches erreichen wollen. Unsere Weltansichten und die Spielgenres, an denen wir arbeiten, unterscheiden sich wohl, und wir setzen verschiedene Perspektiven und Methoden ein, aber dadurch wird das Arbeitsleben erst interessant. Und ich habe ein echtes persönliches Interesse an Mr. Sakaguchis Spielen. Ich freue mich schon darauf, von den diversen Eindrücken und Reaktionen der Leute zu hören, die The Last Story spielen werden – „Das und das war echt gut", und solche Sachen.

Iwata Asks
Sakaguchi:

Mein Spiel kommt erst ein bisschen später heraus, aber „Metroid: Other M“ wird schon sehr bald veröffentlicht, oder?

Sakamoto:

Ja, am 2. September (japanisches Veröffentlichungsdatum).

Sakaguchi:

Nach allem, worüber wir heute gesprochen haben, einschließlich der Geschichte, bin ich wirklich total neugierig darauf, das Spiel zu spielen. Außerdem war ich geradezu schockiert, von Ihrer Verbindung mit dem Hamtaro-Spiel zu erfahren.

Sakamoto:

(lacht)

Sakaguchi:

Als ich den Trailer zu „Metroid: Other M“ gesehen habe, erschien da eine sehr ernst aussehende Frau ... Man sah sie durch das Fenster eines Raumschiffs, wie sie über „ihr Schicksal“ sprach. Es war wirklich sehr ernsthaft, oder?

Iwata:

Oh ja, extrem ernst.

Sakaguchi:

Ich fragte mich: „Wieso macht der Mann, der hinter Tomodachi Collection steht, denn so etwas?!“

Sakamoto:

(lacht)

Sakaguchi:

Wie schon gesagt – meine Familie ist begeistert von Ihren anderen Arten von Spielen, Mr. Sakamoto, daher freue ich mich auch schon auf den nächsten Schritt, den Sie in diese Richtung unternehmen werden.

Sakamoto:

Ah ja, das ist ein anderes meiner Themen ...

Sakaguchi:

Natürlich freue ich mich aber auch schon sehr auf „Metroid: Other M“. Und von jetzt an werde ich definitiv beide Arten von Sakamoto-Spielen spielen!

Iwata:

Unser Gespräch heute begann mit der merkwürdigen Verbindung, die zwischen Ihnen beiden besteht, und obwohl Sie jeder Ihrem eigenen Weg gefolgt sind, habe ich den Eindruck, dass Sie eine ganze Menge gemeinsam haben. Ich danke Ihnen beiden sehr für dieses Gespräch.

Sakaguchi & Sakamoto:

Wir danken Ihnen.