4. Spiele im Sakaguchi-Haushalt

Iwata:

Die zweite Hälfte der Entwicklung war anscheinend eine sehr erfreuliche Erfahrung, Mr. Sakamoto, aber am Anfang des Entwicklungsprozesses haben Sie sich ganz schön gewunden, als es darum ging, die Geschichte zu erstellen, oder? (lacht)

Sakamoto:

Oh, ja! (lacht) Das war wirklich ein Kampf.

Iwata:

Ich habe den ganzen Prozess beobachtet – wie Sie sich den Kopf zerbrochen haben und es Ihnen nicht gelang, die Geschichte erst einmal in Ihrem Kopf zu ordnen.

Sakamoto:

Das ist beim Schreiben von Geschichten immer so – wenn man eine kreative Phase hat, schreibt man mühelos alles herunter. Aber wenn man zufällig gerade eine Blockade hat, kann man gar nichts schreiben. Dann kommt nicht ein einziges Wort aus der Feder. Dabei spielt wahrscheinlich auch die Tatsache eine Rolle, dass ich kein professioneller Prosaschriftsteller bin. Bei diesem Projekt konnte ich wirklich gar nichts schreiben. Das ganze Material war so weit fertig, aber dann bekam ich Zweifel, ob z. B. bestimmte Teile auch ordnungsgemäß und logisch zusammenhingen oder ob manche Dinge nicht ein wenig seltsam waren, und dann hatte ich das Gefühl, rundum komplett versagt zu haben ...

Sakaguchi:

Oh ja, dieses Gefühl kenne ich gut.

Sakamoto:

Vielleicht übertreibe ich ja ein bisschen, aber einmal hatte ich wirklich das Gefühl, zum Neurotiker zu werden.

Iwata:

Das ist vielleicht wirklich übertrieben, aber es war offensichtlich, dass Sie sich ernsthafte Sorgen machten. (lacht)

Sakamoto:

Alles, was ich geschrieben hatte, sah plötzlich irgendwie verkehrt aus oder wirkte wie ein einziger, riesiger Fehler.

Iwata Asks
Sakaguchi:

So was kommt vor, da haben Sie recht. Wenn Hinweise auf den Verlauf der Handlung und die Geheimnisse der Geschichte durcheinandergeraten, sieht der allgemeine Aufriss plötzlich ganz anders aus als geplant. Man hat das Gefühl, dass alles verzerrt ist.

Sakamoto:

Genau. Aber wenn man sich dann wieder beruhigt, betrachtet man das Ganze noch mal und stellt fest, dass das nicht wirklich der Fall ist.

Sakaguchi:

Manchmal merkt man dann, dass es überraschenderweise ganz gut ist, nicht wahr? Aber natürlich gibt es auch oft Probleme – z. B. dass ein bestimmter Handlungsstrang zu stark hervortritt.

Sakamoto:

Ja, genau, das kann passieren. Aber ich muss schon sagen, so schlimm wie bei diesem Projekt war es sonst noch nie!

Iwata:

Aber nachdem Sie sich aus diesem Dilemma befreit hatten, Mr. Sakamoto, haben Sie sich verstärkt mit Details der Entwicklung befasst und schließlich so ziemlich an allem und jedem mitgearbeitet, einschließlich minutiösen Zeitanpassungen und Ähnlichem. Bei „Metroid: Other M“ wollten Sie Teile, die für Spielvergnügen sorgen sollten, nahtlos mit Teilen, welche die Handlung darstellen, verschmelzen. Welchen gedanklichen Prozess haben Sie dabei verfolgt, Mr. Sakamoto, und welches war der Ausgangspunkt für Ihre Überlegungen?

Sakamoto:

Als wir Super Metroid19 gemacht haben, haben wir ein bisschen Geschichte in die Produktion aufgenommen und ganz am Ende, als Samus quasi erledigt ist, die Szene eingefügt, wo der Baby-Metroid zu ihrer Rettung kommt. Es gab ziemlich viele Unstimmigkeiten zwischen den Mitarbeitern, als ich diese Entscheidung traf, da einige sich fragten, ob wir dem Spieler hierdurch nicht gänzlich die Kontrolle nähmen. 19 Super Metroid ist ein Actionspiel, das in Japan im März 1994 für das SNES erschien und im Juli 1994 in Europa. Es war das dritte Spiel der Serie.

Iwata:

Manche fragten also Dinge wie: „Es ist ein Spiel; ist es da wirklich okay, wenn der Spieler es nicht steuern kann?“, meinen Sie das?

Sakamoto:

Ja. Sie sagten etwa: „Das geht doch nicht – die Spieler werden darüber sicher wütend sein“, aber ich bin das Risiko eingegangen und habe es trotzdem versucht, und die Reaktionen waren ziemlich positiv. Da hatte ich das Gefühl, dass ich vielleicht einer Sache auf der Spur bin ...

Iwata:

Die von Ihnen erwähnte Szene wird auch in den Eröffnungssequenzen des jüngsten Titels als Filmclip gezeigt. Als Sie diese Szene ursprünglich erstellten, Mr. Sakamoto, waren Sie der Meinung, dass selbst Actionspiele eine Geschichte erzählen können, nicht wahr?

Iwata Asks
Sakamoto:

Ja, genau. Allerdings gab es dann eine Lücke in der Metroid-Serie. Als ich dann neun Jahre später an der Entwicklung von Metroid Fusion beteiligt war, dachte ich mir: „Machen wir doch mal einen Titel, der ein größeres erzählerisches Element, mehr Geschichte aufweist.“ Auch das lief damals erfreulich gut, wenn ich das mal so sagen darf ...

Iwata:

Sie hatten das Gefühl, wieder auf einer Fährte zu sein, oder?

Sakamoto:

Ja. Ich hatte den Eindruck, dass wir etwas mit einer reifen, man könnte vielleicht sagen ernsthaften, Handlung geschaffen hatten, das aber zudem ein echtes Metroid-Actionspiel war. Folglich dachte ich, dass dies ein guter Ansatz für die Zukunft wäre. Andererseits hatte ich das Gefühl, dass wir mit den Beschränkungen des seitwärts scrollenden 2D-Stils von Metroid in einer Sackgasse gelandet waren, und habe mich gefragt, ob Actionspiele wirklich noch weitergeführt werden können.

Iwata:

Sie haben sich gefragt, ob Actionspiele eine Geschichte mittragen und sich noch weiter entwickeln können?

Sakamoto:

Genau. Mir schien, dass im Laufe der Zeit eine vermehrte Nachfrage nach Bequemlichkeit und Anwenderfreundlichkeit in Spielen aufkam. Von Spielern kamen vermehrt Kommentare wie: „Ich mag keine schwierigen Spiele. Ich will nicht ständig den "Game over"-Bildschirm sehen.“ Das heißt ja nicht, dass wir einfach wahllos mehr Speicherstellen einfügen, oder dem Spieler, nachdem er Schaden genommen hat, genug Energie zuführen, um über den Schaden hinwegzukommen. Wenn wir das getan hätten, hätten die Spieler sich sicher gefragt, wozu sie die Herausforderung überhaupt erst bewältigen mussten.

Iwata:

Die Spieler hätten an reine Berechnung geglaubt! (lacht)

Sakamoto:

Genau. Deshalb habe ich ständig überlegt, was wir mit „Metroid“ anstellen könnten. Bis ich dann das jüngste Spiel, „Metroid: Other M“ im Schoß hatte. Zuerst wollte ich eventuell versuchen, „Metroid“ ganz neu als Actionspiel aufzubauen, ohne mich durch irgendwelche vorgegebenen Regeln zu binden. Ich beschloss, ein 3D-Spiel zu erstellen, das mit nur einer Wii-Fernbedienung gesteuert werden kann und dessen Spielweise sich anfühlt wie ein 2D-Spiel. Diese Idee entstand aus meinem Eindruck, dass komplizierte Spiele nicht wirklich gewünscht waren. Ich dachte, dass solch einfache Steuerungen es ermöglichen würden, eine Geschichte zu spinnen – wie beim Auswählen von Befehlen in textbasierten Abenteuerspielen. Daher glaubte ich, dass es mir gelingen könnte, ein Actionspiel zu erschaffen, das einem textbasierten Abenteuer ähnelte, wenn die filmischen Sequenzen gut verbunden wären. Halb im Scherz habe ich zu den Mitarbeitern Dinge gesagt wie: „Wir machen jetzt Metroid Tantei Club (Metroid-Detektivclub)!“

Iwata:

Ach – Metroid Tantei Club? (lacht)

Sakamoto:

Ja! (lacht)

Iwata:

Wenn man sich mal die Software-Titel ansieht, an denen Sie mitgearbeitet haben, Mr. Sakamoto, muss man schon sagen, dass diese sowohl einzigartig als auch – wie soll ich sagen? – stilistisch alle ganz anders sind. Ich meine – wenn Sie sogar derartige Scherze machen können!

Sakamoto:

(lacht)

Iwata:

Jeder der sieht, dass dieselbe Person, die „Metroid: Other M“ gemacht hat, auch für Tomodachi Collection20 und die WarioWare21-Series verantwortlich war (gar nicht zu reden von Famicom Tantei Club und Tokimeki High School mit Mr. Sakaguchi vor all diesen Jahren) muss doch völlig verblüfft über Ihre dynamisch-kreative Bandbreite sein! (lacht) 20 Tomodachi Collection ist ein Nintendo DS-Spiel, bei dem mit Charakteren kommuniziert wird, die eigenen Freunden und Bekannten ähneln. Es wurde im Juni 2009 in Japan veröffentlicht. 21 Bei der WarioWare-Spieleserie handelt es sich um Sammlungen diverser Action-Minispiele. Bisher wurde ein Titel der Serie für jedes System veröffentlicht, einschließlich „WarioWare, Inc.: Mega Party Games!“, „WarioWare: Touched!“ und „WarioWare: Smooth Moves“. Das erste Spiel der Serie, „WarioWare, Inc.: Minigame Mania“ wurde im März 2003 in Japan und im Mai 2003 in Europa veröffentlicht. Der Produzent war Mr. Sakamoto.

Sakaguchi:

Seine Bandbreite ist einfach zu gigantisch! (lacht) Sie haben doch auch die Basis für die Miis geschaffen, oder?

Iwata:

Der Grundstein für die Mii-Charaktere wurde gelegt, als Mr. Sakamoto zu mir kam und mir einige wirklich gute Karikaturen zeigte, die er mithilfe der Mii-Struktur angefertigt hatte. Dadurch kam die ganze Sache ins Rollen. Also, ehrlich gesagt, sind Sie damals doch nur zu mir gekommen, weil Sie mit den Karikaturen angeben wollten, oder, Mr. Sakamoto?

Sakamoto:

Natürlich! (sehr entschieden)

Iwata:

(lacht)

Sakaguchi:

Ich dachte, dass Mii-Charaktere ursprünglich für Wii erstellt und dann für Tomodachi Collection verwendet wurden.

Iwata Asks
Iwata:

Nein, es war genau andersherum.

Sakamoto:

Zuerst dachten wir an ein Spiel, das sich um das Thema Wahrsagerei drehte, aber irgendwie nahm das nicht so richtig Form an. Die Mitarbeiter „rächten“ sich dann für diese Sackgasse mit einer Art Bildmontage.

Iwata:

Was, das war ihre Rache für die vergebliche Liebesmüh?

Sakamoto:

Allerdings. (entschieden)

Iwata:

(lacht) Zunächst nannten wir es „Notizbuch zur Wahrsagerei für die erwachsene Frau“. Dieses „Notizbuch zur Wahrsagerei für die erwachsene Frau“ erschien dann später als Tomodachi Collection, aber der Prototyp für dieses Spiel war (Tottoko) Hamtaro Tomodachi Daisakusen Dechu 22, ein anderes Spiel, an dessen Entwicklung Mr. Sakamoto beteiligt war. 22 Tottoko Hamtaro Tomodachi Daisakusen Dechu war eine Freundesuch-Software für den Game Boy Color, der die Infrarot-Verbindung des Handheld unterstützte. Sie erschien in Japan im September 2000

Sakaguchi:

Ahh! Ja, diese Software kenne ich gut. Meine Tochter hat sie häufig verwendet.

Iwata:

Ach, tatsächlich? Die Auswertungen bei der Partnerkompatibilität und geeigneten Berufen sind geradezu unheimlich akkurat, wissen Sie das?

Sakaguchi:

Ja, ich habe es selbst schon oft ausprobiert!

Sakamoto:

(lacht)

Sakaguchi:

Meine Tochter kam oft zu mir und sagte: „Papa, lass mich dir wahrsagen!“ Sogar die Worte, die das Programm verwendete, waren interessant. Das Spiel war in meiner Familie so populär, dass ich mich an manche davon noch genau erinnern kann. Alle – sogar die Großmutter meiner Tochter – ließen sich weissagen.

Sakamoto:

Es freut mich, das zu hören! (lacht)

Sakaguchi:

Meine Tochter war geradezu süchtig nach Tomodachi Collection. Aber ich wusste nicht, dass Hamtaro-Software im Entwicklungshintergrund eine Rolle spielte. Unsere Familie hat also mit Mr. Sakamotos Spielen gespielt, ohne es zu wissen. Na ... das ist doch mal eine Überraschung!

Sakamoto:

Vielen Dank! (lacht)