3. Das Bewegen der „Tofu-kuns“ in Last Story

Iwata:

Mr. Sakaguchi, vor 23 Jahren, haben Sie Final Fantasy gemacht. Seitdem hat sich Hardware rasant entwickelt, aber Sie erstellen auch weiterhin Spiele. Wie wird sich Ihr aktuelles Spiel, The Last Story, in diesen Prozess der dramatischen Änderungen in der Welt der Spieleentwicklung einfügen?

Sakaguchi:

Ich habe tatsächlich im Zuge der Hardware-Entwicklung die unterschiedlichsten Dinge gemacht. Ich kann mich erinnern, dass ich z. B. beim Erscheinen von Jurassic Park15 völlig überrascht war und dachte: „Solche Bilder können doch gar nicht angezeigt werden ...?“. Die computer-generierten Grafiken, die da produziert worden waren, waren so wunderschön! Und weil ich schon immer neugierig auf Neues war, habe ich mich da dann wirklich reingehängt. Von diesem Moment an hat sich auch der Stil von Final Fantasy allmählich geändert. 15 Jurassic Park ist eine Verfilmung eines Science-Fiction-Romans von Michael Crichton, bei der Stephen Spielberg Regie führte. Der Film kam 1993 in die Kinos.

Iwata:

Sie haben sich also entschlossen, die schönen CGs für sich zu nutzen?

Sakaguchi:

Genau. Nachdem ich Square verlassen hatte, habe ich eine Pause eingelegt und zwei Spiele gemacht, aber auch diese hatten einen ähnlichen Stil. Wie zu erwarten, war die Geschichte die Grundlage, und dazu gab es wunderschöne CG-Filmsequenzen, die wir mit einer RPG-Struktur verschmolzen. Und seitdem gingen unsere Spiele in diese Richtung. Für The Last Story wollte ich diese Methode aber einmal „zurücksetzen“.

Iwata:

Sie wollten eine Methode „zurücksetzen“, die Sie 23 Jahre verwendet hatten? Warum das?

Sakaguchi:

Ich fand, dass ich an einem Punkt angelangt war, der gar nicht mehr meiner Vorstellung entsprach. Um wieder an den Ausgangspunkt zurückzukehren, beschloss ich, The Last Story zu machen – direkt von der Forschungs- und Designphase an.

Iwata:

Für dieses Spiel haben Sie, wie es scheint, eine ganze Weile lang ausführlich experimentiert.

Sakaguchi:

Ja, stimmt. Am Anfang waren da zwei bewegliche Objekte, mit denen man spielen konnte – wie rote und blaue Tofuklumpen. Wir haben Sie die „Tofu-kuns“ genannt. (lacht)

Iwata:

„Tofu-kun“? (lacht)

Sakaguchi:

Bis jetzt habe ich immer versucht, Spielsysteme zu wählen, die der Geschichte entsprachen. Wenn dabei aber ein Spiel herauskommt, das keinen Spaß macht, dann macht das Ganze ja auch keinen Sinn. Daher begann ich dieses Mal damit, jeden Aspekt des Spiels, beginnend mit den Kernelementen, noch einmal genau unter die Lupe zu nehmen.

Iwata:

Die Entwicklung des Spiels begann vor zweieinhalb Jahren, und Sie haben unaufhörlich darüber nachgedacht, was den Spaßfaktor eines Spiels ausmacht, oder?

Iwata Asks
Sakaguchi:

Ja, obwohl es dadurch wirklich schwierig wurde, eine Geschichte zu entwickeln. Das Endprodukt hat daher keine wirklich dichte Geschichte und keine filmische Produktion. Aber wenn ich ein Element nennen müsste, dass in diesem Spiel wirklich stark ist, würde ich sagen, es ist das Gameplay. Natürlich gibt es auch eine zugrunde liegende Geschichte, die dem Spiel Flair verleiht, und somit ... Na ja, was soll ich sagen ...? Um es bildlich auszudrücken: Es ist sozusagen keine ordentlich gerollte Sushi-Rolle, sondern eher eine, die mit dem Zahnstocher zusammengehalten wird.

Iwata:

Die Geschichte zieht sich also nicht kontinuierlich durch das Spiel, sondern wurde nur an wichtigen Punkten – sozusagen wie ein Zahnstocher – eingesetzt; ist es das, was Sie meinen?

Sakaguchi:

Ja, genau das meine ich. Das Spiel „basiert“ nicht auf der Gesichte, sondern die Geschichte wurde eher in das Spiel selbst eingefügt. Somit habe ich zum ersten Mal seit Ewigkeiten - genaugenommen seit FFVII16, also seit 13 Jahren – den Spielsystemen Priorität eingeräumt. Da die Frage damals war, wie man 3D in ein Spiel inkorporieren könnte, waren die Systeme auch für dieses Spiel meine Priorität. 16 FFVII = Final Fantasy VII, ein RPG, das im Januar 1997 in Japan erschien.Davor, beim Erstellen des ursprünglichen FFI, habe ich mir viele RPGs für den PC aus dieser Zeit angesehen und abgewogen, welche Elemente dieser Spiele verwendet und wie sie auf dem NES umgesetzt werden könnten. Dazu mussten wir ganz schön herumprobieren. Aber wenn ich es mir jetzt überlege, habe ich im Zeitraum von 23 Jahren nur dreimal zu allererst so über die Spielsysteme nachgedacht.

Iwata:

The Last Story war also das dritte Mal?

Sakaguchi:

Ja. Ich habe endlich das dritte Mal erreicht! (lacht) Diesmal wollte ich die Sache wirklich mit Leib und Seele angehen und etwas erschaffen, mit dem ich zufrieden sein kann; daher habe ich den Mario Club17 um Hilfe gebeten. 17 Mario Club Co., Ltd. führt Fehlersuchen, Tests usw. für in Entwicklung befindliche Nintendo-Software aus.

Iwata:

Diese „Iwata fragt“-Sitzung ist auch tatsächlich nur deshalb möglich, weil Sie sich derzeit mit dem Mario Club in Klausur befinden. Warum fanden Sie, dass Sie vier Tage mit dem Mario Club verbringen sollten?

Sakaguchi:

Ich hatte den Club darum gebeten, weil, wie Sie sich vorstellen können, ein Spiel immer auch von Leuten gespielt werden muss, die es zuvor nicht kannten. Wenn man jemanden beobachtet, der das Spiel zum ersten Mal spielt, versteht man erst wirklich, welche Teile die Spieler begeistern, zufriedenstellen und so weiter. Natürlich könnte man sie auch bitten, ihre Gedanken aufzuschreiben, aber das ist dann ein bisschen ... na ja ...

Iwata:

Man muss das schon selbst sehen, oder?

Sakaguchi:

Ja, genau. Es ist immer problematisch, Leute zu bitten, ihre Gedanken oder Eindrücke niederzuschreiben. Dann schreiben sie vielleicht nur nette Dinge. Außerdem unterscheiden sich die Dinge, die den Spielern wirklich gefallen haben, möglicherweise von den Eindrücken, die sie notieren.

Iwata:

Wenn da steht „dieser Teil war gut“, heißt das nicht unbedingt, dass er dem Spieler wirklich gefallen hat; außerdem vergessen Leute eventuell Teile, in denen das Spiel sie überlistet hat, nicht wahr?

Sakaguchi:

Genau. Wenn man ihnen aber von hinten beim Spielen zusieht, bekommt man einen wirklich guten Eindruck von ihren Empfindungen. Natürlich hätten wir auch einfach eine Gruppe von Testern in Tokio versammeln können, aber ganz egal wie wir das angegangen wären – es hätte sich immer um Leute gehandelt, die meine früheren Spiele kennen. Dagegen hatte ich gehört, dass es im Mario Club zwar Leute gibt, die mit den Spielen vertraut sind, aber in der Regel eher neuere Nintendo-Spiele spielen. Daher wollte ich ihre Reaktionen beobachten und hielt es für eine gute Idee, den Mario Club persönlich aufzusuchen.

Iwata Asks
Iwata:

Ein kleines Vögelchen hat mir erzählt, dass Mr. Sakaguchi sich im Zuge dieses Vorhabens vier ganze Tage mit dem Mario Club „verbarrikadieren“ wollte. Ich war wirklich überrascht, das zu hören, aber gleichzeitig wurde mir dadurch klar, wie groß ihr Enthusiasmus wirklich ist, Mr. Sakaguchi.

Sakaguchi:

Ich stand hinter den Spielern und machte mir Notizen. Am ersten Tag fanden die Spieler die ganze Situation noch ungewohnt. Selbst, als ich sie fragte, ob sie irgendwelche Bitten, Fragen oder Anforderungen hätten, blieben alle stumm wie Fische. Aber am vierten Tag – heute – hatten sich alle daran gewöhnt und da es außerdem der letzte Tag ist, haben sich plötzlich alle ganz frei geäußert. Jetzt habe ich den Eindruck, dass ich wohl möglichst schnell verschwinden sollte, sonst werde ich am Ende noch beleidigt ... Man kann ja nur ein gewisses Maß ertragen ...

Iwata:

Haha! (lacht)

Sakaguchi:

Vier Tage waren vermutlich genau der richtige Zeitraum. Und es hat sich wirklich gelohnt.

Iwata:

Die Spieler haben ihre Meinung gesagt, was Sie zwar manchmal gekränkt hat, aber es gab auch viele Aspekte, die Sie wirklich zu schätzen wussten, nicht wahr?

Sakaguchi:

Während ich bei Square war, habe ich ähnliche Aktionen durchgeführt; einige der Tester von damals begannen dann überraschenderweise, in Bereichen wie der Planung zu arbeiten.

Iwata:

Es gibt tatsächlich zahllose Fälle, in denen die Meinung von Testern zu einer erheblichen Verbesserung eines Spiels geführt hat. Tester können nämlich ganz krass auf Dinge hinweisen, die man als Spieleentwickler unter Umständen gar nicht bemerkt. Und dann gibt es noch Aspekte, die man überhaupt zum ersten Mal bemerkt, wenn man ihre Reaktionen beim Spielen beobachtet. Verschiedene Leute machen unterschiedlichste Vorschläge und der Regisseur muss dann entscheiden, welche Ideen umgesetzt werden. Auch in dieser Hinsicht – aus der Perspektive des Regisseurs – sind Sie seit langer Zeit zum ersten Mal wieder an der eigentlichen Entwicklung des Spiels beteiligt, Mr. Sakaguchi.

Sakaguchi:

Ja, es ist wirklich schon eine Weile her ... Allerdings bedeutet das auch, dass ich meine Familie schon seit einigen Monaten nicht mehr gesehen habe.

Iwata:

Sie dagegen, Mr. Sakamoto, verbringen viel Zeit „unter Verschluss“ in Tokio, nicht wahr?

Sakamoto:

Ja. (lacht)

Iwata:

Mr. Sakamoto und ich halten regelmäßig Besprechungen ab, bei denen er über den Fortschritt von Projekten berichtet. Im Frühjahr gab es dann allerdings eine Phase, in der wir uns nicht so häufig gesehen haben. Wir haben uns dann erst wieder in den USA in der Ausstellungshalle der E318 getroffen. 18 E3 2010 ist eine Messe für Computerspiele, die vom 15.-17. Juni 2010 in Los Angeles stattfand.

Sakamoto:

Ja, da habe ich Sie mit den Worten „na, ist ja schon ein Weilchen her!“ begrüßt. (lacht) Ich hatte im Frühjahr drei oder vier ganze Monate in den TECMO-Entwicklungsbüros verbracht.

Iwata Asks
Sakaguchi:

Ach, tatsächlich?

Iwata:

Anscheinend gehörte es dabei auch zu Mr. Sakamotos täglicher Routine, so gegen Mitternacht durch die Büros zu marschieren, um herauszufinden, wer den Laden denn heute als Letzter verlassen würde. (lacht)

Sakaguchi:

Man muss sich an die Entwicklungsumgebung anpassen, nicht wahr?

Sakamoto:

Na ja, man kann ja nicht alleine in den Büros eines anderen Unternehmens zurückbleiben, wenn sonst niemand mehr da ist.

Iwata:

Aber Sie haben erzählt, dass manchmal jemand bis zum nächsten Morgen im Büro blieb und Sie sich dann dachten: „Prima, dann kann ich ja eine Spätschicht einlegen!“ Sie klangen richtig begeistert, als Sie mir das erzählt haben.

Sakaguchi:

Ja, so richtig an der Praxis beteiligt zu sein macht einfach Spaß, oder? (lacht)

Iwata:

Sie gingen also völlig in Ihrem jüngsten Projekt auf, Mr. Sakamoto?

Sakamoto:

Ja, sowohl Mr. Sakaguchi als auch ich hatten auf ganz ähnliche Weise die Möglichkeit, uns mit Leib uns Seele einem Projekt zu widmen und zum ersten Mal seit Langem wieder richtig darin einzutauchen. (lacht)