1. Eine 23-jährige Verbindung

 

(Anm. d. Red.: Dieses Interview wurde ursprünglich am 26. August 2010 veröffentlicht)

Iwata:

Ich frage mich, ob Leute, die unser Foto oben auf dieser Seite sehen, sich wohl wundern, was das für ein „zusammengewürfelter Haufen“ ist?! Heute haben sich Mr. Sakamoto und Mr. Sakaguchi zu mir gesellt, zwischen denen eine eigenartige Verbindung besteht und die zudem zufällig beide im Begriff stehen, die Entwicklung eines Spiels für Wii abzuschließen. Außerdem gehören Mr. Sakaguchi, Mr. Sakamoto und ich alle derselben Generation an; heute führen wir also einmal ein Gespräch unter Altersgenossen. (lacht) Ich weiß zwar noch nicht, wie sich dieses Gespräch entwickeln wird, aber ich möchte Ihnen beiden herzlich für Ihr Kommen danken.

Sakamoto & Sakaguchi:

Vielen Dank.

Iwata:

Wie es scheint, wissen die meisten Leute „da draußen“ dies nicht, aber Sie beide kamen zum ersten Mal vor über zwanzig Jahren miteinander in Kontakt, als Sie an einem bestimmten Spiel arbeiteten, nicht wahr? Ich würde unsere Sitzung gerne mit einem Gespräch über eben dieses Spiel beginnen; könnten Sie uns etwas darüber erzählen, Mr. Sakamoto?

Sakamoto:

Natürlich. Das war ein Abenteuerspiel namens Nakayama Miho no Tokimeki High School1, das unter Verwendung des Telefons gespielt wurde ... 1 Nakayama Miho no Tokimeki High School ist ein auf Textbefehlen beruhendes Abenteuerspiel, das im Dezember 1987 für das Family Computer Disk System in Japan erschien.(Ein Mitarbeiter legt ein Exemplar des Spiels und eine Broschüre zu dem Spiel auf den Tisch)

Iwata Asks
Sakaguchi:

Ach, du liebe Zeit! Das gibt es ja gar nicht!

Alle:

(Gelächter)

Sakaguchi:

Das versetzt mich zurück in die Vergangenheit ...

Sakamoto:

Ja, ich kriege auch gerade einen Anflug von Nostalgie.

Sakaguchi:

Kann ich eins davon haben?

Iwata & Sakamoto:

(Gelächter)

Iwata:

Bei diesem Spiel tätigte der Spieler Telefonanrufe, nicht wahr?

Sakamoto:

Ja, stimmt. Es war ein textbasiertes Abenteuerspiel, und bei der Geschichte ging es darum, dass der Charakter des Spielers

Video: in diejenige Schule kam, auf die auch Miho Nakayama ging – Miho Nakayama war ein großer Star, trat dort aber inkognito auf ...

(Anm. d. Red.: Dieses Interview wurde ursprünglich am 26.
in diejenige Schule kam, auf die auch Miho Nakayama ging – Miho Nakayama war ein großer Star, trat dort aber inkognito auf ... (lacht) Der Spieler lernt sie dann kennen, sie werden enge Freunde und so weiter ... Darum ging es in dem Spiel.

Iwata Asks
Iwata:

In welcher Funktion waren Sie damals an dem Projekt beteiligt, Mr. Sakamoto?

Sakamoto:

Zunächst hieß es bei Square2, dass Pläne für ein Abenteuerspiel gemacht werden sollten, bei dem das Telefon verwendet werden würde. Damals war überhaupt keine Rede davon, dass Miho Nakayama in diesem Spiel vorkommen würde. Es sollte einfach nur das Telefon als Spielmechanismus eingebunden werden. Ich war zufällig zu der Besprechung eingeladen und bekam die Diskussion mit. 2 Square = derzeit Square Enix. Abgesehen von Nakayama Miho no Tokimeki High School arbeitete das Unternehmen auch bei der Entwicklung von Titeln wie Super Mario RPG: Legend of the Seven Stars, das 1996 in Japan für das SNES in Japan erschien und in Europa zum ersten Mal 2008 für die Virtual Console auf Wii veröffentlicht wurde, mit Nintendo zusammen.

Iwata:

Seit wie vielen Jahren waren Sie damals bei dem Unternehmen beschäftigt Mr. Sakamoto?

Sakamoto:

So ungefähr ... sieben Jahre vielleicht?

Iwata:

In welchem Jahr erschien das Spiel noch mal? (wirft einen Blick in die Broschüre) 1987. Das war dann also etwa ihr fünftes Jahr im Unternehmen.

Sakamoto:

Mein fünftes Jahr ... Ah, ja, stimmt.

Iwata:

Wir sind beide 1982 ins Arbeitsleben eingestiegen, Mr. Sakamoto. Bei Ihnen war es 1983, nicht wahr, Mr. Sakaguchi?

Sakaguchi:

Ja, genau.

Iwata:

Diese Software wurde also vor 23 Jahren entwickelt ...

Sakaguchi:

Du liebe Zeit, ist das wirklich schon so lange her ...?

Sakamoto:

Damals, in meinem fünften Jahr im Unternehmen, begann ich mich für Abenteuerspiele zu interessieren. Daher war ich sehr gespannt und sagte meinem Vorgesetzten, dass das nach einer Menge Spaß aussähe und dass ich das gerne machen würde. Allerdings sagte ich auch, dass wir, falls wir das Spiel wirklich machen würden, keinen Charakter dafür erstellen, sondern einen Promi verwenden und das Ganze zu einer Art Festival gestalten sollten.

Iwata:

Hatten Sie damals ein besonderes Interesse an Promis, Mr. Sakamoto?

Sakamoto:

Nein, nein, durchaus nicht. (lacht) Aber ich dachte, ein bisschen Glamour würde für mehr Aufmerksamkeit sorgen, daher begann ich, die Werbetrommel für diese Idee zu rühren.

Iwata:

Wann trafen Sie zum ersten Mal mit Mr. Sakaguchi zusammen?

Sakamoto:

Das war eine ganze Weile, nachdem die Entwicklung begonnen hatte.

Sakaguchi:

Ja, stimmt. Es wurde beschlossen, dass wir Nintendo besuchen sollten, wenn wir die letzten Stadien der Entwicklung erreicht hätten ... Wie lange war ich damals in Kioto ...?

Sakamoto:

Eine ganze Weile, oder?

Sakaguchi:

Ich muss um die zwei Wochen aus dem Koffer gelebt haben. Damals war ich in diesem Hotel am Bahnhof von Kioto untergebracht.

Iwata:

Ah! Da bin ich auch schon oft abgestiegen – allerdings ist das inzwischen schon eine ganze Weile her. (lacht) Jedes Mal, wenn ein Software-Titel fertiggestellt wurde, habe ich mich in Kioto verkrochen. Übrigens hat Mr. Sakamoto die Pixelgrafiken erstellt, als wir damals Balloon Fight3 gemacht haben. 3 Balloon Fight ist ein Actionspiel, das seinen ersten Auftritt 1984 in den japanischen Spielearkaden hatte und 1995, ebenfalls in Japan, für das NES veröffentlicht wurde.

Sakaguchi:

Ach, tatsächlich?

Iwata:

Ich habe ihn immer getroffen, wenn ich korrigierte Bilddaten abgeholt habe oder Ähnliches.

Sakaguchi:

Ach so. Ich war zunächst in einem Ryokan (Hotel japanischer Art) abgestiegen. Da wir kein Hotel finden konnten, wurden wir an dieses ungeheuer edle Ryokan verwiesen. Ich war total begeistert und freute mich schon auf einen längeren Aufenthalt. Aber am nächsten Tag wurden wir in das reguläre Hotel am Bahnhof gebracht. Ein echter Abstieg! (lacht)

Iwata Asks
Iwata:

Haha! (lacht)

Sakamoto:

Während wir an dem Projekt Tokimeki High School arbeiteten, produzierte Mr. Sakaguchi Final Fantasy4. 4 Final Fantasy ist ein RPG, das im Dezember 1987 in Japan für das NES veröffentlicht wurde. Es war das erste Spiel der Serie.

Iwata:

Ah, das war also ungefähr zur selben Zeit wie Final Fantasy?

Sakaguchi:

Genau. Tokimeki High School wurde von einem anderen Team entwickelt, aber da ich zur rechten Zeit frei war, wurde ich schließlich auch daran beteiligt.

Iwata:

Was war ihr erster Eindruck, als Sie Mr. Sakamoto getroffen haben? Er ändert sein Aussehen oft recht dramatisch – hat er damals anders ausgesehen? (lacht)

Sakaguchi:

Nein, ich glaube, die Frisur war damals genauso, oder?

Sakamoto:

Oje, das weiß ich doch jetzt nicht mehr ... oder doch – ja, die sah ungefähr so aus wie jetzt, stimmt. (lacht)

Iwata & Sakaguchi:

(Gelächter)

Sakaguchi:

Als Mr. Sakamoto zum ersten Mal auftauchte, war ich mir sicher, dass er garantiert nicht zu Nintendo gehörte und fragte mich: „Wer ist denn das bloß?“ (lacht)

Iwata:

„Warum trägt er die Nintendo-Uniform?“ – so was in der Richtung?

Sakaguchi:

Genau. Wir hatten einen Raum von Nintendo geliehen und wussten alle, dass wir das Spiel jetzt allmählich fertig stellen mussten – am besten gleich hier und jetzt. Daher waren wir alle leicht panisch und ziemlich nervös. Dann kommt er da ganz locker und lässig rein und wirft ein „Hallo zusammen; wie läuft’s?“ in die Runde. (lacht) Als ich begann, mich mit ihm zu unterhalten, war er ganz entspannt und locker. Ich fühlte mich richtig von ihm angezogen und dachte dann irgendwann: „Äh – seit wann sind wir denn so gute Freunde?“

Sakamoto:

Ich neige dazu, etwas überfreundlich zu sein. (lacht)

Iwata & Sakaguchi:

(Gelächter)

Iwata:

Also, Mr. Sakaguchi, Sie haben dann die Entwicklung von Final Fantasy abgeschlossen und sind wieder zu dem Projekt Tokimeki High School gestoßen?

Iwata Asks
Sakaguchi:

Ja. Mehrere Leute aus dem Team waren an dem Projekt beteiligt, für ungefähr drei Monate, glaube ich. Am Ende fuhren etwa 10 Teammitglieder zusammen nach Kioto, wo wir ca. zwei Wochen in einem Hotel blieben. Und irgendwie ist es uns gelungen, die Entwicklung abzuschließen. Wir dachten alle: „Wunderbar – das ist erledigt!“ und gingen in die Bar, um anzustoßen. Während wir dort waren, rief dann allerdings jemand an und sagte: „Das Motorrad am Ende des Spiels fliegt durch die Luft.“

Iwata:

Ein fliegendes Motorrad? (lacht)

Sakamoto:

Ja! Es flog wirklich! (lacht)

Sakaguchi:

Als wir diese Nachricht erhielten, dachten wir alle: „Nie im Leben kann ein Bug so gut aussehen!“ und: „Da hat sich doch jemand einen Jux erlaubt ...“ Wir gingen also zurück ins Büro ... und fanden tatsächlich ein fliegendes Motorrad vor.

Iwata:

Haha! (lacht)

Sakamoto:

Ich hatte mich schon beim Entwicklerteam bedankt und mich verabschiedet, aber als ich mir das Ende ansah, flog da wirklich ein Motorrad durch den Himmel. Es sah so gut aus, dass ich mich fragte, ob da nicht Absicht dahintersteckte. (lacht)

Iwata:

Klingt wie der perfekte Bug! (lacht)

Sakaguchi:

Es war wirklich ein wunderschöner Bug. (lacht) Ich sehe das Ganze immer noch vor mir.