2. "Ein Gott ist erschienen!"

Iwata:

Also, obwohl das vorherige Spiel Awakening viele gute Bewertungen erhalten hat, gab es anscheinend einige Leute, die mit der Handlung unzufrieden waren.

Higuchi:

Ja, stimmt. Die Spielelemente und die Grafik erhielten sehr gute Bewertungen, aber einige Leute haben angemerkt, dass sie in Bezug auf die Handlung mehr erwartet haben.

Maeda:

Bei Awakening haben wir gute Rückmeldungen von Spielern erhalten, die die Spielreihe vorher noch nicht kannten, weil wir mit der Handlung eine neue Richtung eingeschlagen haben. Aber die Spieler, die schon andere Spiele aus der Reihe gespielt hatten, waren eher enttäuscht von der Geschichte, weil sie eine komplexere und tiefergehende Handlung erwartet haben.

Higuchi:

Wir haben alle Meinungen ernst genommen, und wollten die Handlung des neuen Spiels so gestalten, dass sie allen Leuten gefallen würde. Aber dann haben wir uns entschlossen, gleich drei Geschichten daraus zu machen.

Iwata:

Sie wollten also nicht nur die Qualität der Handlung verbessern, sondern haben sich vorgenommen, drei Geschichten daraus zu machen. Das ist ja ziemlich viel Arbeit.

Higuchi:

Ja, richtig. Es ist schon schwierig genug, drei verschiedene Videospiele zu entwickeln, aber es wäre absolut unmöglich gewesen, intern drei Geschichten dazu zu schreiben. Also fingen wir an darüber nachzudenken, ob wir die Geschichte bei jemand anders in Auftrag geben könnten. Wir haben uns in der Spielebranche umgesehen, aber haben niemanden gefunden, der uns geeignet erschien. Also haben wir uns gefragt, ob wir außerhalb der Spielebranche jemand finden könnten, der schon in anderen Bereichen gute Geschichten geschrieben hat, wie z. B. im Print-Bereich oder für Filme. Und dann sagte Mr. Maeda plötzlich: "Wie wäre es denn mit Mr. Shin Kibayashi?"

Maeda:

Stimmt. Ich sagte den Mitarbeitern: "Es gibt da einen Autor namens Shin Kibayashi", und darauf hat erstmal niemand reagiert.

Iwata:

Sie konnten diesem Namen also nicht direkt bestimmte Arbeiten zuordnen.

Maeda:

Genau.

Iwata:

Aber ich glaube kaum, dass in Japan viele Leute erwachsen geworden sind, ohne mal auf eine Geschichte von Mr. Kibayashi gestoßen zu sein.

Maeda:

Stimmt. Einige Leute sagten: "Mr. Kibayashi ... Sie meinen Captain Kibayashi aus MMR22? Den gibt es wirklich?" (lacht)22. MMR: MMR Mystery Magazine Chousa Han. Eine japanische Manga-Reihe, die von 1990 bis 1999 unregelmäßig im Weekly Shonen Magazine veröffentlicht wurde. In diesem Manga spielte das MMR die Hauptrolle - auch bekannt als Magazine Mystery Chousa Han - eine Gruppe von Redakteuren des Weekly Shonen Magazine, die zusammen übernatürliche Fälle gelöst haben. Die Mitglieder des MMR waren echten Redakteuren nachempfunden, und ihr Anführer Kibayashi basierte auf Shin Kibayashi. Die Figur Kibayashi hatte einen IQ von 170, beherrschte drei Sprachen, und hat alle übernatürlichen Phänomene mit dem Untergang der Menschheit und den Prophezeiungen des Nostradamus in Verbindung gebracht.

Kibayashi:

Ich war tatsächlich die Vorlage für diese Figur. (lacht)

Iwata Asks
Alle:

(lachen)

Maeda:

Außerdem hat Mr. Kibayashi auch so viele Pseudonyme, die er bei verschiedenen Projekten verwendet hat. Kindaichi Case Files hat er z. B. unter dem Namen Seimaru Amagi geschrieben.

Higuchi:

Mr. Maeda hat also einige von Mr. Kibayashis Arbeiten erwähnt, und da haben sich alle zurückgelehnt und gesagt: "W-was sagen Sie da!?"23 (lacht)23. "W-was sagen Sie da!?": Ein häufig wiederkehrender Spruch aus MMR Magazine Mystery Chosa Han.

Maeda:

(flüstert) So ist es. (lacht)

Higuchi:

Alle waren sehr überrascht und sagten: "Der ist doch total berühmt!" Aber der Director Mr. Maeda war fest entschlossen mit Mr. Kibayashi zusammenzuarbeiten. Ich wollte ihn dabei unterstützen, aber es gab etwas, das mir dabei ziemliche Sorgen bereitet hat ...

Iwata:

Und zwar?

Higuchi:

Ich hatte keine Ahnung, wie ich mit Mr. Kibayashi in Kontakt treten sollte.

Iwata:

Er ist ja nicht wirklich in der Spielebranche, und war auch mit Episodengeschichten beschäftigt; Sie dachten also, dass es nicht so einfach sein würde, ihn zu erreichen.

Higuchi:

Also habe ich viele Leute gefragt, wie ich Mr. Kibayashi erreichen könnte, aber ich habe einfach keine Möglichkeit gefunden. Ich wusste schon nicht mehr weiter, aber dann sprach mich Mr. Kozaki an, der bei diesem Projekt die Illustrationen erstellt hat ...

Iwata:

Sie meinen Yusuke Kozaki24.24. Yusuke Kozaki: Neben seiner Arbeit als Manga-Zeichner ist er auch in vielen anderen Bereichen tätig, wie z. B. als Illustrator und Charakterdesigner für Videospiele und Anime. Er wurde Manga-Zeichner, nachdem er 1997 beim Monthly Newcomer Manga Award (Monatlicher Nachwuchs-Manga-Preis) des japanischen Young Magazines (Kodansha) einen Anerkennungspreis erhalten hatte. Er war bei Fire Emblem Awakening verantwortlich für das Charakterdesign, und hat auch bei Fire Emblem Fates wieder die Rolle des Charakterdesigners übernommen. Er hat auch am Iwata fragt: Fire Emblem: Awakening - Interview teilgenommen.

Higuchi:

Genau. Ich habe mich mit Mr. Kozaki getroffen, und ich sagte: "Ich möchte gern mit einem sehr bekannten Autor Kontakt aufnehmen, aber ich finde keine Kontaktmöglichkeit." Und darauf sagte Mr. Kozaki: "Meinen Sie damit Mr. Kibayashi?"

Iwata:

Er wusste direkt, wer gemeint war. (lacht)

Higuchi:

Ja, stimmt. Ich war etwas geschockt, weil er sofort richtig gelegen hat. Und dann sagte Mr. Kozaki: "Vielleicht kann ich Mr. Kibayashi über meinen Herausgeber erreichen."

Kibayashi:

Mr. Kozaki und ich haben tatsächlich mit demselben Herausgeber gearbeitet.

Iwata:

Ah, ich verstehe.

Higuchi:

Das war ein Geschenk des Himmels. Also habe ich Mr. Kozaki sofort darum gebeten, uns in Kontakt zu bringen. Er sagte: "Mr. Kibayashi ist sehr beschäftigt; die Chancen liegen also bestimmt bei 90%, dass er direkt ablehnt."

Maeda:

Wir hatten also nur eine Chance von 10%.

Higuchi:

Und im Dezember 2012 konnten wir uns dann mit ihm treffen.

Maeda:

Wir haben uns in einem Familienrestaurant getroffen. (lacht)

Kibayashi:

Wir haben uns während der Arbeitszeit getroffen. Ich hatte an dem Tag eine Besprechung mit meinen Verlegern in deren Bürogebäude, also haben wir uns vor der Besprechung in einem Restaurant in der Nähe getroffen.

Higuchi:

Mr. Maeda und ich saßen dann schon mit schlotternden Knien im Restaurant ...

Kibayashi:

Sie waren wirklich ziemlich nervös. (lacht)

Higuchi und Maeda:

Ja. (lacht)

Kibayashi:

Dann hat mir Mr. Maeda erstmal das Angebot erklärt, und seine Hände haben richtig gezittert, als er mir die Unterlagen dazu gereicht hat. Ich hab mich schon gefragt: "Ist alles in Ordnung mit dem?" (lacht)

Alle:

(lachen)

Yokota:

Mr. Maeda schreibt ja selber auch Konzepte, deshalb war er besonders aufgeregt.

Maeda:

Mr. Kibayashi ist fast wie ein Gott für mich. Deshalb dachte ich: "Ich sitze direkt vor meinem göttlichen Idol!" (lacht)

Iwata Asks
Iwata:

Das muss ja fast so gewesen sein, als ob er in Gegenwart eines höheren Wesens war. In dem Moment hat Mr. Maeda sicher gedacht: "Mir ist ein Gott erschienen!!!" 25 (lacht)25. Mir ist ein Gott erschienen: "Ein Gott ist erschienen." Dieser Kommentar wird in Japan oft in Foren oder in den Kommentaren zu Videos verwendet, wenn man über Benutzer spricht, die herausragende (oder göttliche) Fähigkeiten in bestimmten Bereichen haben.

Alle:

(lachen)

Kibayashi:

Und vorher hatte Mr. Maeda noch gesagt, dass es nur eine Chance von 10% geben würde.

Maeda:

Ja.

Kibayashi:

Zu der Zeit war ich mir eigentlich hundertprozentig sicher, dass ich den Job ablehnen würde.

Iwata:

Warum haben Sie sich dann überhaupt mit ihnen getroffen?

Kibayashi:

Also, mein Herausgeber hatte ja die Verbindung zwischen uns hergestellt, und ich wollte ihn auf keinen Fall in ein schlechtes Licht rücken. Zu diesem Zeitpunkt habe ich an vier oder fünf Episodengeschichten gearbeitet, und steckte auch schon in den Vorbereitungen für viele andere Projekte. Aber als ich meinem Herausgeber sagte: "Ich kann mich gern mit ihnen treffen, aber bei meiner aktuellen Auslastung werde ich den Job unmöglich annehmen können", antwortete er: "Das macht nichts, treffen Sie sich bitte einfach mal mit ihnen." Also habe ich das Treffen vereinbart. Und dann waren sie so nervös ...

Iwata:

Ja. (lacht)

Kibayashi:

Als ich sie gefragt habe: "Wie sind Sie darauf gekommen, mir diesen Job anzubieten?", war ich ziemlich überrascht, dass Mr. Maeda die meisten meiner Arbeiten gesehen oder gelesen hatte.

Iwata:

Es gibt viele Leute, die einen Teil Ihrer Arbeiten kennen, Mr. Kibayashi, aber es gibt bestimmt nicht viele, die fast alle Ihrer Arbeiten gelesen oder gesehen haben.

Kibayashi:

Das stimmt. Deshalb dachte ich dann auch, dass dieses Treffen doch sehr wichtig sein könnte. Ich dachte: "Ich kann eh nichts antworten, bis ich mal eins ihrer Spiele gespielt habe", also sagte ich ihnen, dass ich mich erst entscheiden würde, nachdem ich mich mit ihren Spielen beschäftigt hätte. Dann habe ich zwei Ausgaben von Awakening erhalten, aber da hatte ich natürlich immer noch vor, Ihnen abzusagen. (lacht)