3. Und auch Sport!

Iwata:

Das ist doch schon eigenartig? Es ist nur schwer vorstellbar, dass da ein Zusammenhang zwischen Kreativität und Kurzzeitgedächtnis bestehen soll.

Kawashima:

Ja, selbst für uns ist das nur schwer vorstellbar. Mir ist bekannt, dass das Kurzzeitgedächtnis die Grundlage für anspruchsvollere Hirnfunktionen bildet und durch seine Stärkung vielfältige Funktionen gesteigert werden. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass die Kreativität doch noch anderswo liegt.

Iwata:

Da haben Sie so Ihre eigene These, was diesen Zusammenhang anbelangt, Dr. Kawashima?

Kawashima:

Früher habe ich mal Forschungsarbeiten am Gehirn durchgeführt, die sich mit der Frage beschäftigten, was Kreativität eigentlich ist. Dazu zeigte ich Studenten das Bild einer Katze und das Bild einer Leiter und bat sie, diese Bilder miteinander zu kombinieren. Zum Nachdenken über diese Frage verwendeten die Studenten tatsächlich die Areale des präfrontalen Cortex. Mit anderen Worten war die „Kreativität“, die wir messen konnten im Grunde dasselbe wie das Kurzzeitgedächtnis. Oder aber es besteht zumindest die Möglichkeit, dass diese beide auf die gleichen Areale des Gehirns zugreifen Während diese beide Dinge in psychologischer Hinsicht also weit voneinander entfernt scheinen mögen, stelle ich die weitere Hypothese auf, dass diese im Gehirn entweder gleich oder aber sich sehr ähnlich sind.

Iwata:

Ich verstehe. Wenn ich also danach frage, warum das Trainieren des Kurzzeitgedächtnisses die Kreativität fördert, könnte ich genauso danach fragen, warum sich das Üben der drei Grundfertigkeiten – lesen, schreiben, rechnen –positiv auf die anspruchsvolleren Hirnfunktionen auswirkt?

Kawashima:

Ja. Jetzt, wo ich das so gesagt habe…das Areal des Gehirns, das für das Kurzzeitgedächtnis zuständig ist, soll ziemlich begrenzt sein. Daher weiß ich nicht, warum auch die Kapazität in den anderen Arealen zunehmen sollte. Um dies näher zu erforschen, haben wir ein Experiment unter Verwendung der MRI-Technologie durchgeführt, um ein Phänomen im Gehirn von Ratten zu analysieren: Demzufolge soll die Kapazität des Hirnareals, welches für die Bewegung zuständig ist, zunehmen, wenn die Ratte motorischem Lernen unterzogen wird.

Iwata:

Und konnten Sie bei Vergleichsversuchen mit einer ausreichenden Anzahl an Ratten einen deutlichen Unterschied feststellen?

Kawashima:

Ja. Wir haben auch bestätigt, dass die Anzahl der Synapsen in den Gehirnen der trainierten Ratten zunahm. Außerdem erfahren wir gerade, dass sich auch die Art und Weise, auf die der genetische Schalter umgelegt werden, verändert. Das bringt mich zur der Annahme, dass das Training das Genexpressionsmuster in bestimmten Arealen verändern und dies mit einer Zunahme an Hirnvolumen einhergehen könnte. Mein Traum ist, die Ratten könnten in naher Zukunft Gehirn-Jogging spielen.

Iwata:

Sie wünschen sich also, dass Ratten Gehirn-Jogging spielen?!

Kawashima:

Ja. Aber natürlich können diese keinen Nintendo DS bedienen! (lacht) Ich möchte die Ratten einem Training unterziehen, bei dem ihr Gehirn zum Einsatz kommt. Wenn ich das tun könnte, würde ich vielleicht die gleichen Phänomene wie beim Menschen beobachten, nämlich Veränderungen, die sich in weiten Arealen der Hirnregionen vollziehen. Wenn ich die Genexpressionsmuster von verwendeten Teilen des Gehirns mit solchen Genexpressionsmuster von Teilen des Gehirns vergleiche, die nicht verwendet werden aber dennoch noch eine Größenzunahme aufzeigen, kämen vielleicht noch viel mehr Geheimnisse ans Licht.

Iwata Asks
Iwata:

Ja. Übrigens haben Sie Nintendo doch vor genau drei Jahren gebeten, zu Experimentzwecken neue Trainingssoftware für Sie für den Nintendo DS zu erstellen. Bitte erzählen Sie uns doch Näheres davon, was Sie mit der Software angestellt haben, die das Gehirn-Jogging-Team für Sie erstellt hat.

Kawashima:

Gern. Ich habe einen engen Freund an der Sendai-Universität, einer Sportuniversität, die Athleten hervorgebracht hat, die an den olympischen Winterspielen teilgenommen haben. Einen anderen Professor dieser Uni berieten wir zur Leistungssteigerung beim Skeletonfahren.

Iwata:

Ich verstehe.

Kawashima:

Nach den olympischen Regeln für Skeleton dürfen Athleten, die nicht dem Gastgeberland angehören, die Rennstrecke vor den olympischen Spielen nur wenige Male ausprobieren. Das bedeutet, dass sie sich die ganze Rennstrecke im Voraus einprägen müssen. Könnten Sie Ihr Kurzzeitgedächtnis also kapazitätssteigernd trainieren, könnten Sie sich die Strecke richtig gut einprägen und wüssten stets, was ihnen bevorsteht. Im Ergebnis könnten sie außerdem ihre tatsächliche sportliche Leistung steigern.

Iwata:

Das ist sehr interessant. Ich könnte mir vorstellen, dass die meisten Leute sich fragen, was Gehirn-Jogging wohl mit Sport zu tun hat. Doch beim Sport geht es ja immer darum, in Bruchteil von Sekunden Entscheidungen zu treffen. Skeleton zum Beispiel ist in vielerlei Hinsicht das ultimative Gedächtnisspiel, weil man sich die Rennstrecke perfekt einprägen muss.

Iwata Asks
Kawashima:

Ja, das stimmt.

Iwata:

Der Mensch ist jedoch nicht dazu in der Lage, genau dem idealen Routenverlauf zu folgen. Und kommt ein Athlet dann doch von der Ideallinie ab, so muss er innerhalb von Bruchteilen von Sekunden Entscheidungen darüber treffen, wie die Route über die nächsten zwei oder drei Runden korrigiert werden kann. Sie vertraten dabei die Hypothese, dass man durch eine Stärkung der Hirnfunktionen die Leistung steigern könne. Und in der Tat verbesserte sich die Leistung einer Athletin so rasant, dass sie für die Olympiamannschaft ausgewählt wurde! Ich war ziemlich überrascht, als ich davon erfuhr.

Kawashima:

Ja. Bei allen Athleten, die ihr Kurzzeitgedächtnis trainiert hatten, war eine Verbesserung der Fähigkeiten zu beobachten, nicht nur bei der Athletin, die für die Olympiamannschaft ausgewählt wurde. Nochmals die Route zu berechnen, nachdem man einen Fehler gemacht hat, beschreibt exakt die Funktionsweise, nach der das Kurzzeitgedächtnis arbeitet. Durch eine Kapazitätserweiterung des Kurzzeitgedächtnisses können Fehler korrigiert werden. Ich hatte das zwar schon immer erwartet, aber ehrlich gesagt, überraschte mich dann doch, wie wirkungsvoll diese Methode war. Ich bin davon überzeugt, dass sich dieser Effekt noch deutlicher bei Mannschaftssportarten äußert…

Iwata:

Wenn es also irgendwo ein Fußball- oder Volleyballteam gibt, das seine Leistung gern verbessern möchte, dann sollte es sich mit Ihnen unterhalten!

Kawashima:

Ich hätte mir gewünscht, das gesamte japanische Team wäre zu mir gekommen. Dann hätten wir dem Team schon geholfen und bei dieser Olympiade hat man überall japanische Flaggen gesehen! Leider war das japanische Team bei der letzten Olympiade nicht so erfolgreich. Sonst wäre ich gern zum Gehirn-Jogging-Botschafter bei den Olympischen Spielen geworden! (lacht)

Iwata und Kawashima:

(lachen)