5. Von fast schon fotografischer Schönheit

Iwata:

Mr. Sakaguchi, Sie haben Spiele für eine ganze Reihe unterschiedlicher Plattformen entwickelt. Ich möchte Sie jetzt ganz unverblümt fragen, was für ein Gefühl Sie dabei hatten, ein Spiel für die Wii zu machen?

Sakaguchi:

Nun, jetzt ... Darf ich ganz ehrlich sein?

Iwata:

Ja, bitte seien Sie ganz offen.

Sakaguchi:

Okay. Als ich an Hardware-Plattformen mit HD-Anzeigen11 arbeitete, die eine höhere Auflösung als die Wii hatten, legte ich großen Wert auf den Workflow und die „Pipeline“12. Dies wird standardmäßig in der Filmindustrie so gemacht – um sicherzustellen, dass die Arbeits-Pipeline auch funktioniert und so eine höhere Bildqualität zu gewährleisten. Aber dieses Mal bei der Wii fing ich mit der Erstellung des Prototyps an und analysierte diesen anschließend. Das heißt, dass ich hier eine vollkommen andere Methode als für die Hardware verwendete, an der ich bis jetzt gearbeitet hatte. 11HD steht für ‘Hochauflösung’ und bedeutet eine höhere Auflösung als bei Fernsehübertragungen in analoger SD (‘Standardauflösung’). 12Hier wird der Begriff ‘Pipeline’ für ein System verwendet, in das Daten, die z. B. für Grafiken und Animationen verwendet werden, leicht während des Entwicklungsprozesses in die Software eingegeben werden können.

Iwata:

Würden Sie also sagen, dass Sie, da Sie ein Spiel für die Wii entwickelten, viele Abenteuer und Experimente in Angriff genommen haben und das Spiel so viel umfangreicher gestalten konnten?

Sakaguchi:

Das war eines der Ergebnisse. Wenn ich ehrlich bin, denke ich, dass HD-Bilder, die sich mittlerweile in der Fernsehindustrie etabliert haben, für meinen Geschmack bei Videospielen immer noch über das Ziel hinausschießen. Entwickler neigen dazu, all ihre Energie auf den Erhalt von Grafiken von hoher Qualität zu lenken.

Iwata:

Wenngleich es notwendig sein wird, diese grafischen Möglichkeit in der Zukunft voll auszuschöpfen, können diese doch auch zum Zeitfresser für den Entwickler werden, so dass andere Aspekte des Spiels am Ende vernachlässigt werden.

Sakaguchi:

Ja, da bin ich Ihrer Meinung. Aber es widerstrebte mir, bei den Grafiken eine geringe Qualität zu akzeptieren, nur weil wir an der Wii arbeiteten, die keine HD-Grafik hat. Ich bin überzeugt davon, dass sich das, was wir geschaffen haben, letzten Endes gegen andere Hardware behaupten wird. So haben wir zum Beispiel erfolgreich die Beschaffenheit von Felsen und Wasser umgesetzt. Der zweite wichtige Bereich ist die Bewegung.

Iwata:

Ah ja, tatsächlich. Normalerweise wirkt die Bewegung irgendwie unnatürlich, wenn die Bewegungen, das Modell und die Auflösung nicht mehr oder weniger auf einer Höhe sind. Hat eines dieser drei Elemente eine höhere Qualität als die anderen, wird es wahrscheinlich herausstechen. Bei diesem Titel sind die drei Elemente aber perfekt aufeinander abgestimmt. Daran sieht man, wie viel Energie Sie investiert haben müssen, um das zu erreichen.

Sakaguchi:

Das stimmt. Die richtige Balance zu finden, ist das Allerwichtigste. Ist eines der Elemente von zu hoher Qualität, dann muss man es ein wenig abschwächen, und wenn ein Element einfach nicht richtig wirkt, dann muss man seine Wirkung verstärken.

Iwata Asks
Iwata:

Haben Sie diese Entscheidungen allein getroffen?

Sakaguchi:

Einige dieser Entscheidungen habe ich selbst getroffen. Und natürlich brachten auch die 3D-Art-Direktoren wie Mr. Fujisaka ihre Meinungen ein. Oft tranken wir dabei etwas, sprachen dabei über die dem Spiel zugrundeliegende Theorie und legten fest, in welche Richtung sich die Dinge entwickeln sollten. Die Leute neigen dazu, ein falsches Bild von mir zu gewinnen, wenn ich nicht sicherstelle, dass alle auf der gleichen Wellenlänge sind.

Iwata:

In welcher Beziehung, meinen Sie, werden Sie missverstanden?

Sakaguchi:

Oft denken die Leute, dass ich nur an schönen ruhigen Bildern interessiert bin. Weil unser Team aber auch aus Mitarbeitern bestand, die noch nie mit mir zusammengearbeitet hatten, suchte ich das Gespräch mit ihnen, um sicherzustellen, dass wir alle auf der gleichen Wellenlänge waren.

Iwata:

Wie teilen Sie die Arbeit zwischen den Bereichen auf, die Sie selbst erledigen, und denen, die Sie anderen Teammitgliedern überlassen?

Sakaguchi:

Im Prinzip versuche ich, anderen so viel wie möglich anzuvertrauen, weil dabei oft gute Ideen herauskommen, mit denen man gar nicht gerechnet hatte. Natürlich gebe ich Kommentare ab und mache Vorschläge. Aber insbesondere die jüngeren Mitarbeiter neigen dazu, vorzupreschen und Dinge auf eigene Faust zu erledigen, ohne dass ich davon etwas weiß. (lacht) Dabei können verblüffende Ergebnisse herauskommen. Mein Ziel ist es, diese Prozesse erfolgreich zu steuern. Dann kann ich die Verantwortung anderen übergeben, die dann damit zurechtkommen müssen.

Iwata:

Was meinen Sie genau mit der Steuerung der Prozesse?

Sakaguchi:

Damit bezeichne ich zum Beispiel mein Verständnis dafür, dass, wenn ich einem bestimmten Teammitglied Dinge auf eine bestimmte Art und Weise erkläre und ich dieses in eine bestimmte Situation bringe, ich dann genau weiß, welche Stärken die jeweilige Person zur Ausführung der Aufgabe einsetzt. Steuert man das nicht erfolgreich, gerät man in alle möglichen Schwierigkeiten. Dann kommen Sie in Situationen, in denen Sie die Dinge schneller selbst wieder in Ordnung bringen. Tritt dieser Fall ein, dann verliert das eigentliche Spiel an ‘Power’. Man braucht in der Tat die Ideen und die Energie von verschiedenen Leuten, sonst wird das Spiel nicht gut.

Iwata:

Worauf kommt es Ihnen an, wenn Sie all diese grundverschiedenen Ideen zusammentragen und sich all die gleichgerichteten Energien zunutze machen?

Sakaguchi:

Wenngleich das sehr zeitaufwendig ist, versuche ich einen Austausch zwischen mir und dem Team zu erreichen und eine Art Kanal zwischen uns aufzubauen. Ich ziehe mich langsam hier und da zurück, bis ich diesen Kanal zwischen dem Team und mir aufgebaut habe. Auf diese Weise gewährleiste ich, dass wir bei der Entwicklung des Spiels alle auf einer Wellenlänge sind.

Iwata:

Sie haben alle die gleiche Denkweise.

Sakaguchi:

Ja, das stimmt. Ich stelle mir das bildlich so vor, dass der Kanal, der mich mit dem Team verbindet, auch unsere Vorgehensweise bei der Spielentwicklung bestimmt, ohne dabei jeden hinter mir herziehen zu müssen. Verändert sich die Denkweise des Teams, dann verändert sich auch der Kanal, und auch das Spiel wird sich verändern. Das Spiel wird dann in positiver Hinsicht einer Stoffumwandlung unterzogen. Daher denke ich, dass wir es der Aufstellung des Teams zu verdanken haben, dass The Last Story so geworden ist, wie es heute ist.

Iwata:

Mr. Fujisaka, wie haben Sie als Designer die Arbeit an der Wii empfunden?

Fujisaka:

Nun, als Designer wünschte ich mir zunächst schon eine höhere Auflösung für meine Arbeit. Im Laufe des Projekts kam ich dann aber zu dem Schluss, dass die Dinge, so wie sie waren, auch kein größeres Problem darstellten.

Sakaguchi:

Am Ende erreichten Sie doch eine Grafik von höherer Qualität, als Sie gedacht hatten.

Fujisaka:

Ja, das stimmt.

Iwata Asks
Sakaguchi:

Ich finde, die Grafiken sind von solcher Schönheit, die fast schon fotografisch ist. Anstelle klarer, scharfer Bildqualität gibt es Schatten im Hintergrund und leicht verschwommene Elemente, die die Grafiken wie Fotografien erscheinen lassen. Diese perfekte Balance konnten wir meiner Meinung nach nur deshalb finden, weil das Spiel für die Wii entwickelt wurde.

Iwata:

Also sind Sie davon überzeugt, die perfekte Balance gefunden zu haben.

Sakaguchi:

Ja, das bin ich. Außerdem war es einfach, für die Wii zu programmieren. Bei der Umsetzung konnten wir bis ins kleinste Detail gehen. Wenn Sie zum Beispiel unter einer Brücke hindurchgehen, dann baden Sie im Sonnenlicht. Und wenn Sie aus einem dunklen Bereich heraustreten und unter der Brücke durchgehen, dann erscheint alles um Sie herum ganz strahlend, aber auch ganz weich. Genau wie beim menschlichen Auge, das sich ganz automatisch an Dunkelheit und Helligkeit anpasst.

Iwata:

Sehr interessant.

Sakaguchi:

Daher ist es schön, unter einer Brücke hindurch zu gehen. Es ist uns gelungen, alle möglichen Nuancen wie diese in das Spiel einzubauen.

Fujisaka:

Ja, das ist richtig.

Sakaguchi:

Mir missfiel die Idee, mich einschränken zu müssen, nur weil wir mit der Wii-Konsole arbeiteten. (lacht) Das für die 2D-Seite zuständige Team hat wirklich im Hintergrund geschuftet und hier so viel Arbeit hineingesteckt.

Fujisaka:

Auch die 3D-Art-Direktoren haben wirklich alles gegeben.

Sakaguchi:

Deshalb ist die Qualität der Grafiken - verglichen mit den Grafiken und Auflösungen anderer Plattformen - in keinster Weise unterlegen.

Iwata:

Also haben Sie sich gegen die Tatsache gesträubt, dass das Spiel für die Wii war, und das Problem dadurch gelöst, dass Sie keinerlei Mühen gescheut haben.

Sakaguchi:

Das stimmt.

Iwata:

Ich möchte Sie jetzt noch etwas zur Entwicklung eines RPG fragen. Wenngleich dieses Genre seine großen Fans hat, gibt es doch Leute, die meinen, dass den Spielern viel Vorwissen abverlangt wird, selbst wenn das Spiel Neuland für sie ist. Diesen Spielern erscheinen die RPGs daher irgendwie unerreichbar. Ich denke aber, dass The Last Story durch das neue System, auf dem es verwendet wird, gleichermaßen RPG-Fans und Spielneulingen zugänglich ist.

Sakaguchi:

Das stimmt. Ich finde, die sich bei RPGs entfaltenden Fantasien ermöglichen wirklich ansprechende Spielumgebungen. So kam beispielsweise „Der Herr der Ringe“13 zu einer Zeit heraus, als das Science-Fiction-Genre dominierte. Damals wurde mir bewusst, wie sehr mir diese Welt gefiel und wie vertraut sie mir war. Wie kann ich das ausdrücken? Ich denke, eine ursprüngliche Welt der Götter, eine Welt voller Mythen, die die Grundlage der menschlichen Zivilisation bildet, wird die Leute ganz natürlich in ihren Bann ziehen, wenn sie erfolgreich in einem RPG umgesetzt wird. 13Die Film-Trilogie „Der Herr der Ringe“, die auf den Romanen von J. R. R. Tolkien basiert, wurde zwischen 2001 und 2003 veröffentlicht.

Iwata:

Ich verstehe.

Sakaguchi:

Natürlich müssen Sie das Spiel für die Leute einladend gestalten, die sich mit dieser Fantasiewelt verbunden fühlen. Aber ich habe die Tür gar nicht bewusst für bestimmte Personen weiter geöffnet ... Vielleicht nur bis zu dem folgenden Grad: „Sind Sie interessiert, dann kommen Sie herein!“ (lacht)

Iwata:

Plätze, die ein bisschen zu eifrig versuchen, jedermann anzulocken, sind einem ja auch immer ein bisschen verdächtig. (lacht)

Sakaguchi:

Ja, da haben Sie recht. Am besten fährt man wohl, wenn man ganz natürlich ist. Sie können nicht arrogant oder selbstgerecht sein und das System dann so gestalten, dass es die Leute einschüchtert. Umgekehrt hat es meiner Meinung nach auch keinen Zweck, nur gefallen zu wollen. Ich wollte die Spiele immer ungekünstelt, ganz natürlich erstellen.