2. Ein Boxhandschuh als Interface

Takeda:

Es gab da noch einen Vorteil, wenn man zwei Bildschirme verwenden würde.

Iwata:

Und welcher war das?

Takeda:

Da wir auf dem oberen Bildschirm eine Figur in detaillierter Auflösung darstellen konnten, war es dem Spieler möglich, sich ein Bild im Kopf vorzustellen. Deshalb haben sich die Leute, während sie gespielt haben, das bessere Bild der Figur eingeprägt, das sie auf dem oberen Bildschirm gesehen haben, obwohl die Grafiken auf dem unteren Bildschirm, auf dem tatsächlich gespielt wurde, etwas gröber ausgefallen sind.

Miyamoto:

Am Anfang konnten wir auf dem unteren Bildschirm nur einen winzigen Boxer darstellen. Wenn wir ihn nämlich vergrößert hätten, würde er sehr grob aussehen. Wir wollten aber einen spannenden Kampf zeigen, also haben wir es mit anderthalbfacher Vergrößerung versucht. Das Ergebnis davon machte kaum einen Unterschied aus. Ich habe mit Mr. Takeda zusammengearbeitet, um eben solche Mechanismen während der Arbeit an dem Spiel zu entwickeln. Das Training aus dieser Zeit...

Iwata:

...War eine gute Erfahrung für Ihre spätere Karriere als Spieldesigner.

Miyamoto:

Ganz genau.

Iwata:

Ach, übrigens, warum waren Sie überhaupt an der Entwicklung des ursprünglichen "Punch-Out!!" beteiligt?

Miyamoto:

Damals habe ich in der Planungsabteilung gearbeitet, die auch für Design zuständig war.

Iwata:

Welche Aufgaben haben Sie dort erledigt?

Miyamoto:

Ich war für das Design im gesamten Unternehmen zuständig. Ich habe Werbung konzipiert, Spiele entworfen und mich an allen Bereichen des Unternehmens beteiligt, die Design benötigten. Kurzum, ich habe überall gearbeitet, war also so etwas wie das Mädchen für alles.

Iwata:

Wenn also eine Abteilung Zeichnungen brauchte, hat man Sie gerufen und Sie sind dann aufgetaucht und haben gezeichnet.

Miyamoto:

Damals hat Mr. Takeda als Spieldesigner bei der Forschungs- und Entwicklungsabteilung 3 gearbeitet.

Iwata:

Moment, die Forschungs- und Entwicklungsabteilung 3... ist in die heutige Integrierte Forschungs- und Entwicklungsabteilung aufgegangen.

Miyamoto:

Richtig. Die Forschungs- und Entwicklungsabteilung 3 hat am ganzen Spiel gearbeitet, angefangen beim Design der Leiterplatine bis hin zur Entwicklung der Software. Sie hatten aber niemanden an Bord, der Bilder zeichnen konnte.

Iwata:

Deshalb hat man Sie gerufen.

Miyamoto:

Nun ja, damals waren wir noch ein kleines Unternehmen. Ich saß im selben Stockwerk wie Mr. Takedas Team, also bin ich häufiger bei ihnen gewesen.

Iwata:

Was war das erste Projekt, an dem Sie gemeinsam gearbeitet haben?

Miyamoto:

Ich glaube, es war "Sheriff"6, was meinen Sie? 6 "Sheriff": Ein Actionspiel, bei dem man gegen 16 Desperados kämpfte, die den Spieler umstellt haben. In "Wario Ware Inc.: Minigame Mania" (Game Boy Advance) war es als Minispiel enthalten.

Takeda:

Das Arcade-Spiel wurde 1979 entwickelt, nicht wahr?

Iwata Asks
Iwata:

Sie haben also das erste Mal an "Sheriff" zusammengearbeitet? Das habe ich damals sehr häufig gespielt. (lacht)

Miyamoto:

Als ich früher in Arcade-Hallen in Kyoto gespielt habe, waren schnell einige Schaulustige dabei. (lacht)

Iwata:

Schaulustige? Ich bin mir sicher, dass Ihre coolen Moves jede Menge Zuschauer angezogen haben. (lacht)

Miyamoto:

Bevor ich mich versah, war immer eine große Menschenmenge da, die mir dabei zugesehen hatte. Ich war dann immer so überrascht. (lacht)

Alle:

(lachen)

Miyamoto:

Als wir "Sheriff" entwickelten, zeichnete ich Pixelbilder mit einem anderen Designer und wir haben angefangen, nach Material für die Gehäuse der Automaten zu suchen. Wir sprachen oftmals darüber, dass wir einen neuen Automaten bauen wollten, der etwas noch nie Dagewesenes sein sollte. Stellen Sie sich mal vor, wir waren sogar bei einer Firma, die das Innere von Flugzeugen produzierte.

Iwata:

Das Interieur von Flugzeugen?

Miyamoto:

Diese Firma konnte diese tollen Holzimitatdrucke anfertigen, die wie echtes Holz aussahen. Wir haben diese Drucke gekauft und sie an die Automaten angebracht, damit sie aussehen wie in einem Saloon aus der Wildwest-Zeit. Doch ich schweife ab, ich habe damals so ziemlich alles an Design gemacht, von Spielinhalten bis hin zum Gehäuse.

Iwata:

Ihr Hintergrund ist ja industrielles Design, Sie waren sicher sehr gut darin.

Miyamoto:

Es hat mir sehr viel Spaß gemacht. Später entwickelte Mr. Takeda ein Actionspiel namens "Space Firebird"7, das als Nächstes erschien. Auch dabei habe ich die Bilder für alle Figuren gezeichnet. Dann haben wir noch zusammen an "Popeye"8 gearbeitet, ein Jahr nach "Donkey Kong". 7 "Space Firebird": Ein Arcade-Shooter, der 1980 erschien. Darin musste man einen futuristischen Phönix abschießen, der den Weltraum durchstreift hat. 8 "Popeye": Ein Action-Arcade-Spiel aus dem Jahr 1982, bei dem man die beliebte Cartoon-Figur Popeye steuerte. Später wurde eine NES-Version des Spiels veröffentlicht.

Iwata Asks
Iwata:

So kam es also dazu, dass Mr. Miyamoto an "Punch-Out!!" gearbeitet hat. Wie hat das Spieldesign für diesen Titel übrigens begonnen?

Takeda:

Ursprünglich hatte ich mir ein realistisches Eingabegerät vorgestellt.

Miyamoto:

Als ich das zum ersten Mal hörte, war ich ganz schön überrascht. Mr. Takeda sagte, Boxen müsste mit Boxhandschuhen gespielt werden, und zwar auf den Händen des Spielers. Er wollte ein Interface entwickeln, das wie ein Boxhandschuh aussah. Als passionierter Spieler von Videospielen habe ich Mr. Takeda gesagt, dass ich solche nicht eindeutigen Steuerungsmöglichkeiten nicht bevorzugte. Oder solche, die schwer zu begreifen waren. Daher haben wir uns für einen Joystick mit Knöpfen entschieden, weil das auf Anhieb leicht zu verstehen ist. Dann haben wir das Konzept für das Gameplay und die Bildermuster entworfen. Mr. Takedas Interesse war da aber schon in eine andere Richtung abgewandert. Er hat schon damit angefangen, sich auf Details des Spiels zu konzentrieren. Er sagte Dinge wie, die Schwäche dieses Gegners ist sein Glaskinn, nennen wir ihn am besten

Video: "Glass Joe."

Es gab da noch einen Vorteil, wenn man zwei Bildschirme verwenden würde.
"Glass Joe." Dabei war er nicht mal ein Designer. (lacht)

Alle:

(lachen)

Iwata Asks
Iwata:

Es gibt auch einen italienischen Gegner namens Pizza Pasta. Hat sich den Namen ebenfalls Mr. Takeda ausgedacht?

Takeda:

Er soll zeigen, dass der Gegner an einem klebt und nur schwer niedergeschlagen werden kann.

Iwata:

So wie Käse auf der Pizza. (lacht) Egal, wie sehr ich mich anstrenge, ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie, der Techniker, der Ingenieur, der perfekt darin ist, extrem logisch zu denken, sich einen Namen wie Pizza Pasta ausgedacht hat (lacht)

Miyamoto:

Mr. Takeda ist eigentlich ein Freigeist. (lacht)

Takeda:

Der Grund, warum ich mich so sehr auf diese Boxhandschuhe und die Benennung der Figuren konzentrierte, war: Ich hatte den amerikanischen Markt im Sinn.

Iwata Asks
Takeda:

Glass Joe /Von Kaiser/King Hippo/Bald Bull (Diese Bilder zeigen Figuren, die in der NES-Version von "Punch-Out!!" erscheinen.)

Iwata:

Der amerikanische Markt für Arcade-Spiele war damals riesig.

Takeda:

Oh ja. Daher haben wir bei der Entwicklung des Spiels großen Wert darauf gelegt, eng mit den Leuten von NoA (Nintendo of America) zusammenzuarbeiten. Zur damaligen Zeit hat NoA nur Marketing und Vertrieb gemacht, also dachte ich mir, sie hätten Interesse, auch am Entwicklungsprozess beteiligt zu ein.

Iwata:

Da existierte NoA noch nicht so lange, nicht wahr?

Takeda:

Sie sind jetzt alle in anderen Positionen, aber damals habe ich die jungen Leute dort gebeten, als Sprecher einzuspringen, um etwa die Stimme des Ringrichters zu sprechen, oder die Stimmen während des Spiels.

Iwata:

Damals hat man sich Sprecher in Videospielen einfach noch nicht vorstellen können.

Takeda:

Außerdem war Amerika das Zentrum der Boxwelt, also wollte ich sichergehen, dass wir möglichst viel Input von den Kollegen von NoA bekommen, während wir am Spiel arbeiteten.

Iwata:

Haben Sie Material, das mitten in der Entwicklung steckte, an die Amerikaner geschickt, damit sie es sich ansehen?

Takeda:

Bedenken Sie, damals gab es noch keine E-Mails und man konnte auch die Leiterplatine für ein Spiel nicht einfach so schicken.

Miyamoto:

Alles musste durch den Zoll.

Takeda:

Deshalb, ich erinnere mich noch genau, haben wir Bilder und Datenblätter per Fax geschickt.

Iwata:

Verglichen zu heute war es bestimmt viel aufwändiger.

Takeda:

Nachdem wir das Spiel fertig gestellt haben, ich weiß nicht mehr genau ob es 1983 oder 1984 soweit war, stellten wir es bei einer Messe in New Orleans vor. Wir haben den damaligen Schwergewichtsweltmeister Larry Holmes9 angerufen, um mit uns zu arbeiten. Wir machten eine Präsentation und führten allen Besuchern eine Demoversion des Spiels vor. 9 Larry Holmes: Ehemaliger Weltmeister im Schwergewicht, der nach dem Rücktritt Muhammad Alis zum Boxstar wurde.

Iwata:

Sie haben eine Demoversion vorgestellt?

Takeda:

Also, eigentlich war es nicht ich, sondern Larry Holmes. (lacht) Ich ließ ihn Boxhandschuhe signieren, sie hingen immer im Büro der Forschungs- und Entwicklungsabteilung 3 ausgestellt.

Miyamoto:

Haben Sie die Boxhandschuhe heute mitgebracht?

Takeda:

Nein, ich habe sie nicht mitgebracht, aber ich bin mir sicher, dass sie irgendwo sicher gelagert liegen. (lacht)

Iwata Asks

 

Von Larry Holmes signierter Boxhandschuh