2. Die Suche nach größerer Kreativität

Iwata:

Als Sie bei Toei Animation angeheuert haben, für welche Art Arbeit waren Sie da zuständig?

Kotabe:

Man kann nicht gleich am ersten Tag Anime zeichnen. Als Erstes zeichnet jemand die Hauptpunkte innerhalb einer Animation, genannt Key-Frames, dann arbeitet ein anderer an der nächsten Phase. Neulinge wie ich arbeiten so hart wie es nur ging, um die Vorarbeit zu bereinigen und die Frames zu zeichnen, die dazwischen kommen.

Iwata:

Wie lange haben Sie das gemacht?

Kotabe:

Nach ungefähr drei Jahren beginnt man, Bewegungen zu verstehen, und kann dann selbst welche zeichnen.

Iwata:

In anderen Worten: Sie können dann die Key-Frames zeichnen.

Kotabe:

Richtig. Danach habe ich an einer Reihe von Projekten gearbeitet, und während ich in diese vertieft war, sind glatt zehn Jahre vergangen. Zu Beginn verfügte das Unternehmen über ein großes Maß and kreativem Enthusiasmus, aber nach und nach traten Profite in den Vordergrund. Anstatt originelle Stücke zu schaffen, begann man nach beliebten Manga-Serien und anderem Material zu suchen, das man umsetzen konnte. Selbst mein eigener Wunsch, etwas Neues zu kreieren, begann zu schwinden.

Iwata:

Sie waren immer mehr eingeschränkt darin, was Sie tun konnten.

Kotabe:

Ja. Doch dann kam 1963 "Hols: Prince of the Sun"4 heraus. Mr. Takahata war der Regisseur. Damals wurde ich mutiger in puncto Animation.

4 "Hols: Prince of the Sun" ist ein Animationsfilm von 1968.

Iwata Asks
Iwata:
Kotabe:

Bis dahin bin ich es relativ ruhig angegangen. "Hols: Prince of the Sun" war aber Mr. Takahatas erster Film als Regisseur, und er hat sich verausgabt. Er hat so viel Gedankenarbeit darin investiert, was man von diesem Film erwartet, wie er sich ausdrücken wollte, und welche psychologische Charakterisierung der Geschichte zu Grund liegt. Er hat auch viel von den anderen Beteiligen erwartet. Während ich also versuchte, mit ihm Schritt zu halten, begann mein Selbstvertrauen zu wachsen.

Iwata:

Ich verstehe.

Kotabe:

Als ich mit der Arbeit an "Hols" fertig war, hatte ich nie mehr Angst davor, an einem Projekt zu arbeiten.

Iwata:

Sie haben die Feuertaufe bestanden und sind selbstbewusst geworden.

Kotabe:

Wir waren sehr stolz auf die Arbeit, die wir in diesen Film gesteckt haben. Danach hatten wir den Mut, uns allen Herausforderungen zu stellen, die uns erwarteten. Später, nach 12 Jahren Zugehörigkeit, habe ich Toei Animation verlassen.

Iwata:

Wir können an dieser Stelle wohl kaum fortfahren, ohne ein bestimmtes Thema anzuschneiden: Wie kam es, dass Sie an "Heidi"5gearbeitet haben?

5 "Heidi" war eine Anime-TV-Serie mit 52 Folgen, die ab 1974 ausgestrahlt wurden. Produziert wurde sie von Zuiyo Eizo Co., Ltd.

Kotabe:

Meine Arbeit an "Heidi" war das Ergebnis meines Ausstiegs bei Toei Animation. Wie ich vorhin bereits erwähnt habe, war ich enttäuscht, dass ich bei Toei Animation an keinen kreativeren Projekten arbeiten konnte. Zu diesem Zeitpunkt hat eine bestimmte Produktionsfirma Mr. Takahata, Miya und mich kontaktiert, um ein gewisses berühmtes Werk der Kinderliteratur auf die Leinwand umzusetzen.

Iwata:

Als Sie das gehört haben, haben Sie Toei sofort verlassen?

Kotabe:

Nein, ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich habe mit einigen dieser Kollegen eine lange Zeit zusammengearbeitet. Aber ich wollte diesen Animationsfilm wirklich machen, also ignorierte ich meine Zweifel und flog dorthin. Das war alles schön und gut, aber die Autorin des Originals hat ihre Zustimmung für das Projekt nicht gegeben.

Iwata Asks
Iwata:

Das muss ein Schock gewesen sein.

Kotabe:

Ich hatte sogar bereits Vorarbeit geleistet.

Iwata:

Hätten Sie schon damals daran arbeiten dürfen, frage ich mich, wie die Serie wohl geworden wäre. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen und mir dieses Ergebnis ansehen.

Kotabe:

Mr. Takahata, Miya und ich waren auf verlorenem Posten. Wir steckten in der Klemme. Dieses Projekt war der Hauptgrund, warum wir unseren bisherigen Arbeitgeber verlassen haben, und jetzt wurde es abgesagt. Das Ende dieses Projekts war aber auch die Geburt von "Panda! Go Panda!"6 von Tokyo Movie Shinsha.

6 "Panda! Go Panda!" ist ein Animationsfilm aus dem Jahr 1972. Er wurde von Tokyo Movie Shinsha produziert.

Iwata:

Ach ja, stimmt.

Kotabe:

Dann, nachdem wir "Panda! Go Panda!" fertig gestellt haben, hat uns eine andere Firma bezüglich "Heidi" angesprochen. Und wieder war ich mir nicht sicher, was ich tun sollte. Ich habe deswegen bei Toei Animation aufgehört, wenn wir also auch Tokyo Movie verlassen und woanders arbeiten sollten, wäre das unsere dritte Firma gewesen. Miya und ich sagten aber, wenn Mr. Takahata dort Regie führen könnte, würden wir ihm folgen. So kam es zu "Heidi".

Iwata:

So war das also.

Kotabe:

Zum damaligen Zeitpunkt hat man uns aber gesagt, "Heidi" könnte niemals ein Hit werden.

Iwata:

Wirklich?

Kotabe:

Das war eine Zeit, als Sportgeschichten wie "Star of the Giants" äußerst beliebt waren.

Iwata:

Ich nehme an, "Heidi" war da etwas unorthodox. Es ist aber eine fulminante Geschichte, die man in sein Herz schließt.

Iwata Asks
Kotabe:

Animationsfilme fürs Fernsehen war da, nebenbei gesagt, durch Budgetkürzungen beschränkt. So war die Anzahl der Frames, die man verwenden konnte, begrenzt. Wir wollten ziemlich viele Frames einsetzen, um die Ausdrücke vollends zu erfassen, durften dies aber nicht.

Iwata:

Aufgrund des engen Budgets haben Sie die Einschränkungen sogar schon in der frühen Planungsphase zu spüren bekommen.

Kotabe:

Ich wusste über die begrenzte Anzahl an Frames Bescheid, "Heidi" ist aber eigentlich eine ziemlich kurze Geschichte. Mr. Takahata wollte jedoch die Tiefe unterstreichen und ihr tägliches Leben hoch oben in den Bergen und all die menschlichen Beziehungen zeigen. Wir stürzten uns also in die Produktion, aber es war ganz schön hart. Wir haben mehrere Nächte hintereinander durchgearbeitet. Ich dachte, ich würde sterben. Es war wirklich schrecklich.

Iwata:

Irgendwo habe ich so etwas schon mal gehört... (lacht)

Ich möchte Sie allerdings noch etwas anderes fragen. Ich hörte, Sie waren in einer wichtigen Szene von "Nausicaä aus dem Tal der Winde"7 involviert.

7 "Nausicaä aus dem Tal der Winde" ist ein mehrfach ausgezeichneter Animationsfilm in voller Länge aus dem Jahr 1984.

Kotabe:

Ja, ich habe an den Key-Frames mitgezeichnet.

Iwata:

Mir geht es da um eine Schlüsselszene gegen Ende des Films. Nausicaä wird von Ohmu getroffen und stirbt, und erwacht dann wieder zum Leben. Ich habe da etwas über Ihre Arbeit an diesem Teil gehört.

Kotabe:

Miya kam eines Tages plötzlich zu mir und fragte mich, ob ich ihm denn nicht helfen könne. Ich habe ohne große darüber nachzudenken zugestimmt. Wir haben die Sache besprochen und ich habe ein paar Zeichnungen gemacht. Erinnern Sie sich an diese Szene, als die Tentakel herausschießen? Miya hat davon einige Layouts gezeichnet und ich sollte diesen folgen, um die Key-Frames daraus zu zeichnen. Das Ergebnis war aber sehr leblos. So kam es dann, dass ich für den ersten Frame der Tentakel das Layout selbst verwendet habe. Als ich den fertigen Film sah und erkannte, was für eine wichtige Szene das war, war ich schockiert.

Alle:

(lachen)

Iwata:

Mr. Miyazaki sagte mir, Sie waren ganz schön sauer. (lacht)

Kotabe:

Natürlich! Es war eine solch wichtige Szene, und er hat mir nicht mal alle Storyboards gezeigt!

Iwata:

Ich nehme an, er wollte, dass Sie diese Szene zeichnen.

Kotabe:

Ich habe ziemlich viel mit ihm gestritten. Auch, als wir "Marco"8 gemacht haben. Auch mit Mr. Takahata habe ich mich oft gefetzt. Selbst wenn wir uns auf eine genaue dramatische Struktur für eine Szene festgelegt haben, bin ich hergegangen und habe das gezeichnet, was ich wollte. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, haben wir kaum etwas anderes gemacht außer Streiten! (lacht)

8 "Marco" war ein Anime-TV-Serie mit 52 Folgen aus dem Jahr 1976.