4. Animierte Geschichten

Iwata:

Mit "Flipnote Studio" kann man nicht nur die Animationen anderer betrachten, sondern sie auch bearbeiten.

Koizumi:

Richtig. Ich nenne das "Animationen mit Nutzerbeteiligung". In den meisten Fällen wird jede gepostete Animation nur von einer Person erstellt. Mit "Flipnote" können Sie aber die Inhalte anderer Ihren eigenen Vorstellungen anpassen. Jeder kann das fortsetzen, was jemand anderes angefangen hatte.

Iwata:

In anderen Worten: Zusammenarbeit statt Konkurrenzdenken.

Koizumi:

Richtig. Sie können zum Beispiel nur Sound, oder nur Bilder oder nur Wörter in das Werk eines anderen Nutzers einbauen. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, sich einzubringen. Wenn jemand beispielsweise nicht gut im Zeichnen ist, kann er etwas posten, das nur aus Wörtern besteht. Wenn das jemand sieht, kann er es herunterladen und vielleicht Stimmen oder Bilder einbauen, seine eigenen Dinge hinzufügen, und die neue Version hochladen. Dann sieht vielleicht ein anderer Nutzer diese neue Version und entscheidet sich, sie selbst zu illustrieren. Das ursprüngliche Werk geht so durch zahlreiche Hände und ist am Ende etwas, das zu Beginn unmöglich erschien.

Iwata:

Wenn aber viele Leute daran herumwerkeln, ist es dann nicht unmöglich herauszufinden, wem es gehört?

Koizumi:

Der Name des ursprünglichen Künstlers bleibt in der Datei enthalten. Wenn andere Nutzer sie herunterladen und verändern, werden ihre Namen als Beitragende hinzugefügt, wie bei Credits, die angezeigt werden können. Ich glaube, jeder wird sehr erfreut sein zu sehen, dass sein Beitrag auf diese Weise festgehalten wird.

Iwata Asks
Iwata:

Ja, davon bin ich ebenfalls überzeugt.

Koizumi:

Obwohl sich der Name des ursprünglichen Künstlers nicht ändert, kann man das von seinem Werk möglicherweise nicht behaupten – es könnte einen ganz anderen Weg gegangen sein. Die Person, die die Idee als erste in den Raum geworfen hat, wird bestimmt interessiert sein zu erfahren, was daraus am Ende geworden ist. Sie laden nicht einfach etwas hoch und vergessen es: Sie sehen immer wieder nach, was daraus geworden ist.

Iwata:

Die animierten Geschichten werden also weitererzählt.

Koizumi:

Besser könnte ich es nicht ausdrücken.

Shimizu:

Ich freue mich schon zu sehen, wie die Animationen wachsen werden und sich verzweigen, bis sie zu einem riesigen Stammbaum heranwachsen, wie bei einer Dynastie!

Iwata Asks
Iwata:

Der ursprüngliche Künstler ist dann so etwas wie das Familienoberhaupt! (lacht) Was können wir also von "Flipnote Studio" von nun an erwarten?

Koizumi:

Es gibt so vieles, das wir einbauen wollen, es könnte also eine Weile dauern, bis alles fertig ist. Zunächst wollen wir es dieses Jahr auf den Markt bringen. Hatena stellt gleichzeitig den Service "Flipnote Hatena" auf die Beine.

Kondo:

Genau.

Koizumi:

Wenn der Service gestartet wird, gibt es sicherlich viele Uploads. Wir werden dann sehen, was kommt und es möglichst unterhaltsam gestalten. Sobald das geschafft ist, möchte ich neue Services einbauen, Version 2 von "Flipnote Studio" herausbringen und darin das widerspiegeln, was unserer Erfahrung nach "Flipnote Studio" noch interessanter macht. Außerdem möchten wir die Credits-Funktion einbauen, die wir vorhin erwähnt haben. Danach möchte ich es der ganzen Welt anbieten, damit Nutzer überall Animationen aller Art betrachten und bewerten können.

Iwata:

Was muss Ihrer Meinung nach passieren, damit Sie das Projekt als erfolgreich bezeichnen?

Koizumi:

Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, welche Art von Animationen wir erwarten können, sobald die Software veröffentlicht wird. Als ich mit Mr. Kondo zusammengearbeitet habe, überstiegen die Animationen, die da auftauchten, alles, was wir erwartet hatten. Es gab beispielsweise Notizen, die wie Tagebucheinträge gänzlich aus Wörtern bestanden, und einzigartige Werke, mit Fotos, die man nicht als Daumenkinos bezeichnen kann.

Iwata:

Also etwas, das über eine Daumenkino-Animation hinausgeht?

Koizumi:

Ja. Es würde mir gefallen, wenn wir das ganze Genre "Flipnote" nennen könnten.

Iwata:

Sie würden Ihre Arbeit also als Erfolg bezeichnen, wenn "Flipnote" zu einem gängigen Begriff werden würde.

Koizumi:

Genau. Mein Wunsch ist es, dass verschiedene Kunstwerke in ihren verschiedenen Ausdrucksformen umfassend als "Flipnote" bezeichnet werden. Und dass verborgene Talente auf der ganzen Welt "Flipnote" als Bühne für ihre Fähigkeiten nutzen.

Iwata:

Wie würden Sie den Erfolg von "Flipnote Studio" definieren, Mr. Kondo?

Kondo:

Version 1 von "Flipnote Studio" ist ziemlich abgespeckt, so dass Sie nur Posts von Ihrem Nintendo DSi hochladen, neue Posts sehen und das Beliebtheits-Ranking online aufrufen können. Das ist noch nicht atemberaubend.

Noch nicht. Das liegt teilweise an den Zeiteinschränkungen. Da es aber so einfach zu bedienen ist und keinen eigenen Stil aufdrängt, freue ich mich schon darauf, viele Inhalte zu sehen, die meine Erwartungen wegpusten werden.

Koizumi:

Die Kanäle sehen ebenfalls unterhaltsam aus.

Kondo:

Ja, nicht wahr? Um die Animationen in Kategorien einzuteilen, haben wir verschiedene "Kanäle" im Sinn. Strichmännchen wäre so eine Kategorie. In anderen Worten: Wir glauben, viele Nutzer werden einfache Strichanimationen zeichnen. Deshalb bereiten wir Kanäle vor, beispielsweise einen "Strichmännchen-Kanal". Diese Kategorien werden zunächst auf "Ugomemo Hatena" eingeführt und mit Version 2 auf dem Nintendo DSi verfügbar sein. Außerdem wollen wir, dass die Animationen auf Mobiltelefone heruntergeladen werden können, damit man überall in den Genuss von "Flipnote" kommt.

Iwata:

Mr. Ninomiya, betrachten Sie als Designer die Dinge etwas anders?

Ninomiya:

2007 haben wir einen Service namens "Hatena Haiku" aufgebaut, bei dem Nutzer ganz einfach mit der Maus ein Bild zeichnen und hochladen können. Mit der Maus zu zeichnen ist aber nicht gerade leicht.

Der Nintendo DSi verfügt jedoch über den Touchpen, mit dem man Bilder viel einfacher zeichnen kann. Und mit der Nintendo DSi-Kamera können Fotos ganz einfach aufgenommen und in die Arbeit eingebaut werden. Ich glaube daher, dass wir ein Ziel erreichen, das wir allein nicht schaffen würden*.

*(*Anm. d. Red.: Die Funktionen der Nintendo DSi-Kamera unterscheiden sich für den japanischen und europäischen Markt.)

Iwata Asks
Iwata:

Ich glaube, unsere Anstrengungen öffnen diesmal die Türen zu zwei Welten: Zum Web auf PC und zum Nintendo DSi. Man kann Animationen mit "Flipnote Studio" nur auf dem Nintendo DSi erstellen, aber man kann sie sowohl auf dem Nintendo DSi als auch auf dem PC betrachten. Mehrere Animationen gleichzeitig anzuzeigen oder danach zu suchen, könnte auf einem PC leichter funktionieren, mit dem Nintendo DSi kann man sie aber überall, wo man ist, aufrufen. Ich bin der Meinung, wir haben da etwas geschaffen, das bislang allein auf einem PC oder allein auf einer Spielkonsole nicht möglich war.

Koizumi:

Zudem glaube ich, dass wir beobachten werden, dass sich die Wege der PC-Nutzer und Nintendo DSi-Besitzer kreuzen werden. Personen, die bislang möglicherweise nichts mit Hatena zu tun hatten, werden darauf aufmerksam gemacht. Leute, die vielleicht noch nie eine Spielkonsole in der Hand gehalten haben, werden auf den Nintendo DSi neugierig. Ich hoffe, dass diese beiden Gruppen durch "Flipnote" zueinander finden und eine Welt schaffen, die wir so noch nie gesehen haben.

Iwata Asks
Iwata:

Mr. Kondo, Sie sind ein Engineer, aber als einer der Verantwortlichen von Hatena müssen Sie auch die geschäftliche Seite im Blick behalten. Wenn Sie einen Schritt in unbekanntes Territorium setzen, wie es bei diesem Projekt der Fall war, haben Sie nicht den Luxus zu sagen, "Wir machen das, weil es Spaß macht." So ergeht es mir auch. (lacht)

Selbst, wenn Sie bis zur Veröffentlichung nicht wissen können, ob etwas Erfolg haben wird oder nicht, müssen Sie bestimmte Ziele beachten und darauf basierend Entscheidungen treffen. Welche Ziele waren es diesmal?

Kondo:

Während meiner Arbeit bei Hatena habe ich angenommen, das Internet verändert stetig die Art und Weise, wie Menschen leben. Die Menschen auf der ganzen Welt nutzen es aber immer noch nicht vollständig.

Iwata:

Sie haben das Gefühl, dass die meisten Leute das wahre Potenzial des Internets noch nicht erkannt haben und es nur oberflächlich nutzen, obwohl es in der Lage sein sollte, die Welt zu verbessern?

Iwata Asks
Kondo:

Ja. Betrachten Sie doch mal beispielsweise all die Leute, die Sie täglich im Zug sehen. Auf zehn von ihnen kommen nur einer oder zwei, die jeden Tag aus dem Internet einen Nutzen ziehen. Ich glaube, das Internet wird unsere Lebensart von nun an fundamental verändern. Gleichzeitig beschleicht mich aber das Gefühl, dass es in der jetzigen Form noch nicht einen Punkt erreicht hat, der es jedem zugänglich macht.

Daher, wenn ich ehrlich sein soll, als es zu diesem Projekt gekommen ist, spürte ich, das ist unerschlossenes Gebiet. Doch, was passieren wird, wenn Videospieler ins Internet gehen...

Iwata:

...Können wir nicht vorhersehen.

Kondo:

So ist es. Wir wissen es nicht. Für uns ist es ein unerschlossenes Gebiet. Vielleicht erhalten wir dadurch Hinweise auf Services, die wir als Internetunternehmen anbieten sollten. Deshalb war ich der Meinung, dass diese Herausforderung es wert wäre herauszufinden, was passieren wird. Wenn Sie mich aber fragen würden, wie viel Profit ich mir von diesem Projekt verspreche, müsste ich zugeben, dass ich es nicht weiß. (lacht)

Iwata Asks
Iwata:

(lacht)

Kondo:

Unser Ansatz ist: Wir wollen alles versuchen, was wir können. Insbesondere, da wir ja bis nach Kyoto umgezogen sind.

Iwata:

Ich bin ebenfalls schon aufgeregt. Bis vor Kurzem wurde des Öfteren gesagt, die Welt der Videospiele sei in sich abgegrenzt. Wenn diese Welt also in die extrem offene Welt des Internets voranschreitet, möchte ich wissen, wie sie die Leute aus dieser neuen Welt erreicht und wie diese Leute sie nutzen.

Kondo:

Mir geht es da genauso. Allen Unsicherheiten zum Trotz bin ich vor allem aufgeregt.

Iwata:

Gibt es vielleicht noch etwas, was Sie vergessen haben zu erwähnen?

Ninomiya:

Mein Sohn ist in der zweiten Klasse der Grundschule. Ich habe so viel Zeit damit verbracht, an Internet-Services zu arbeiten, aber mein Sohn hatte mit keinem einzigen davon Kontakt.

Iwata:

Er wird wohl noch zu jung dafür sein.

Ninomiya:

Ich glaube aber, dies könnte der erste Service sein, an dem ich gearbeitet habe, den er tatsächlich nutzen wird. Ich kann es schon kaum erwarten.

Iwata Asks
Koizumi:

Was für ein interessanter Gedanke. (lacht)

Iwata:

Ich glaube, von nun an wird sich die Beziehung zwischen den Spielkonsolen von Nintendo und dem Internet vertiefen. Insbesondere, da die Nutzer Ihre Ideen nun einfach zum Leben erwecken und anderen präsentieren können. Es wird bald so selbstverständlich sein, wie E-Mails, die heutzutage so gut wie jeder schreibt. "Flipnote Studio" könnte zu einem Ort werden, an dem Menschen Ihre Kreationen miteinander tauschen und sich gegenseitig applaudieren.

Ich würde nichts lieber sehen, als wenn "Flipnote Studio" den Weg für Software ebnen würde, die es Menschen ermöglicht, Ihre Kreativität zu entfalten und mit der Welt zu teilen. Jeder von uns sollte sein Bestes geben! (lacht) Vielen Dank, dass Sie sich heute Zeit für unseren Gedankenaustausch genommen haben.