1. Als ob man sich einen Ball zuwirft

Iwata:

In diesem Interview geht es hauptsächlich um die Geschichte von "Xenoblade Chronicles", ich spreche also natürlich mit dem Verantwortlichen - dem Skript-Autor Mr. Takeda - und auch mit Mr. Takahashi. Vielen Dank, dass Sie heute hier sind.

Takahashi/Takeda:

Wir danken Ihnen.

Iwata:

Ich würde gerne damit anfangen, Sie nach den Modellen auf dem Tisch zu fragen. Mr. Takahashi, liege ich richtig damit, dass diese den Anfang von "Xenoblade Chronicles" darstellen?

Iwata Asks
Takahashi:

Genau. Ich war nach einer Konferenz auf dem Weg zurück in mein Büro, und als ich im Zug saß, kam mir die Idee, dass es sehr interessant wäre, wenn ein ganzes Volk auf den riesigen Körpern einer Art von Göttern leben würde. Und so hat alles angefangen.

Iwata:

Kam diese Idee einfach so aus dem Nichts?

Takahashi:

Ja. Sobald ich wieder im Büro war, habe ich die Idee schnell aufgeschrieben und dann (Hirohide) Sugiura1 und den anderen gezeigt. Sie fanden das alle interessant und (Yasuyuki) Honne2 war so nett, den Vorschlag zu machen, dazu ein 3D-Modell zu erstellen. Also machte er sich schnell auf den Weg, um Materialien zu kaufen, mit denen man sonst Dioramen und so weiter macht, und hat daran gearbeitet. Dieses Modell zeigt hauptsächlich die zwei riesigen Götter: Bionis und Mechonis. Ich hatte auch noch eine andere Idee für eine davon unabhängige Geschichte, und ich dachte, dass man ein interessantes Rollenspiel daraus machen könnte, wenn ich beides verbinden würde. So fing die Planung für "Xenoblade Chronicles" an. 1 Hirohide Sugiura ist Representative Director von Monolith Soft. Nachdem er Square (jetzt Square Enix) verlassen hat, wo er in verschiedenen Positionen - z. B. auch als Produzent - gearbeitet hatte, gründete er 1999 zusammen mit Tetsuya Takahashi Monolith Soft. 2 Yasuyuki Honne ist eine Führungskraft bei Monolith Soft. Bei Square (jetzt Square Enix) war er 1995 an der Entwicklung des Super Famicom-Spiels "Chrono Trigger" beteiligt. Nachdem er Square verlassen hatte, ging er zu Monolith und arbeitete an der Entwicklung solcher Spiele wie "Baten Kaitos" für das Nintendo GameCube-System.

Iwata:

Das war also der Anfang der Entwicklung von "Xenoblade Chronicles". Können Sie uns erklären, wie es dazu kam, dass Mr. Takeda mit Ihnen zusammen an der Geschichte gearbeitet hat?

Takahashi:

Da ich Executive Director bei diesem Projekt war, wusste ich, dass ich sehr viel Arbeit haben würde. Um den Entwicklungsprozess etwas effizienter zu gestalten, hielt ich es für eine gute Idee, einen Partner für die Zusammenarbeit an der Geschichte zu haben. Also habe ich mich mit Mr. Takeda in Verbindung gesetzt, den ich schon seit zehn Jahren kenne.

Iwata Asks
Iwata:

War dies das erste Mal, dass Sie so eng zusammengearbeitet haben?

Takahashi:

Nach der ersten Episode von "Xenosaga"3 haben wir an den Geschichten für die Audio- und Anime-Versionen gearbeitet. Aber es war das erste Mal, dass wir zusammen an einem Projekt dieser Größenordnung gearbeitet haben. 3 Xenosaga Episode I: Der Wille zur Macht ist ein RPG, das im Februar 2002 von Namco (jetzt Namco Bandai Games) in Japan veröffentlicht wurde.

Iwata:

Mr. Takeda, ich würde Sie gerne noch fragen, an was für Projekten Sie bisher als Skript-Autor gearbeitet haben?

Takeda:

Ich habe hauptsächlich Geschichten für Animes4 geschrieben. Außerdem habe ich an einer Reihe von Spielen gearbeitet, aber da war es meine Aufgabe, die ursprüngliche Anime-Geschichte zu nehmen und daraus eine Handlungsgrundlage zu erstellen, aus der man dann ein Spiel machen konnte. Meine ersten Erfahrungen bei der Arbeit an der gesamten Handlung eines Spiels - so wie bei diesem Projekt - habe ich bei der Nintendo DS-Version von "Xenosaga"5 sammeln können. Dieses Projekt war für mich das zweite dieser Art. 4 Yuichiro Takeda hat an der Handlung für viele Anime-Serien gearbeitet, darunter "The King of Braves GaoGaiGar", "Banner of the Stars", "Zipang" und "Superior Defender Gundam Force". 5 Xenosaga I & II ist ein RPG für Nintendo DS, das im März 2006 von Namco (jetzt Bandai Namco Games) in Japan veröffentlicht wurde.

Iwata Asks
Iwata:

Ich verstehe. Wo wir gerade dabei sind: Können Sie mir sagen, was das Schreiben von Handlungen für Animes und das Erstellen von Skripten für Videospiele gemeinsam haben, und wie sie sich unterscheiden? Es tut mir leid, wenn Sie die Frage naiv finden ...

Takeda:

Nein, überhaupt nicht. Gemeinsam haben beide, dass man sich Geschichten und Dialoge einfallen lassen muss, die einen emotional involvieren.

Iwata:

Beide brauchen also ein dramatisches Element.

Takeda:

Richtig. Aber es gibt auf der technischen Seite viele Unterschiede. Bei einem Animationsfilm gibt es Zeitvorgaben, und man muss innerhalb dieses vorgegebenen Rahmens eine dramatische Geschichte unterbringen. Ich würde sagen, der größte Unterschied zwischen der Arbeit an Videospielen und an Anime-Filmen ist diese Beschränkung des Umfangs.

Iwata:

Ich verstehe. Bei einer halbstündigen Folge einer Anime-Serie hat man z. B. nur 22 Minuten Sendezeit. Man muss eine Geschichte also so aufbauen, dass sie in diese 22 kurzen Minuten passt. Dafür braucht man natürlich die Fähigkeiten, um die dramatischen Momente und den Höhepunkt genau zum richtigen Zeitpunkt unterzubringen.

Takeda:

Genau. Das führt z. B. dazu, dass man einen dramatischen Moment direkt vor eine Werbepause legt, oder ganz ans Ende, damit die Leute auf die nächste Folge gespannt sind. Man ist auf diese Techniken angewiesen. Bei Videospielen ist es aber so, dass man dort große Geschichten verwirklichen kann, und es gibt eigentlich keine Einschränkungen. Es ist sehr schön, wenn man als Skript-Autor mal ganz nach Herzenslust schreiben kann.

Iwata:

Würden Sie sagen, dass Sie bei der Arbeit an Spielen zwar keine äußeren Einschränkungen haben, dafür aber mit den Einschränkungen Ihrer Ausdruckskraft konfrontiert sind?

Takeda:

Ja, allerdings. Aber gleichzeitig kann man in Spielen mittlerweile so eine starke erzählerische Wirkung erzielen, dass ich mir über diese Einschränkungen nicht so viele Gedanken gemacht habe. Es gibt allerdings auch Schwierigkeiten, die daraus entstehen, dass der Spieler selber die Handlung steuert. Bei der Arbeit an der Geschichte von "Xenoblade Chronicles" habe ich z. B. über die Idee nachgedacht, einen Gefährten des Helden, der ihm die ganze Zeit zur Seite stand, am Ende zum Gegner zu machen.

Iwata:

Man denkt also die ganze Zeit, dass er ein Verbündeter ist, und ganz am Ende stellt sich heraus, dass er in Wirklichkeit der Gegenspieler ist.

Takeda:

Genau. Aber als ich Mr. Takahashi diese Idee erzählt habe, meinte er, dass es ziemlich enttäuschend wäre, wenn man in einem Spiel mit einem Verbündeten alle möglichen Abenteuer besteht, mit ihm Erfahrung sammelt und seine Fähigkeiten verbessert, und er dann am Ende die Gruppe verlässt und zum Gegner wird.

Iwata:

Aus der Spieler-Perspektive würde man sich betrogen fühlen, wenn der Charakter, um den man sich gekümmert und den man entwickelt hat, am Ende eigentlich ein Feind ist.

Takeda:

Ganz genau. In einer Animationsserie ist so eine Handlungsentwicklung natürlich gut umsetzbar, aber bei Videospielen hat man durch die Interaktivität eine Reihe solcher Schwierigkeiten.

Iwata:

Es gibt also doch bestimmte Einschränkungen bei Spielen.

Iwata Asks
Takeda:

Es ist egal, mit welchem Medium man arbeitet, es gibt immer ganz bestimmte Einschränkungen. Aber ich habe diese Dinge einfach als Konventionen gesehen, an die ich mich halten wollte, und nicht als Einschränkungen, und so hat mir das Erdenken der Handlung für dieses Spiel viel Freude gemacht.

Iwata:

Mr. Takahashi, wie detailliert waren denn die Anweisungen, die Sie Mr. Takeda gegeben haben, als es dann wirklich ans Schreiben der Geschichte ging?

Takahashi:

Am Anfang habe ich keine detaillierten Anweisungen gegeben. In der Vorbereitungsphase habe ich ihm die Grundlagen des Konzepts erklärt und wir haben uns auf einen bestimmten Ansatz geeinigt. Dann haben wir auf dieser Basis weitere Gespräche darüber geführt, bei denen es immer hin und her ging, als ob wir uns einen Ball zugeworfen hätten.

Iwata:

Sie beide haben sich also Bälle zugeworfen und so nahm die Geschichte langsam Gestalt an.

Takahashi:

Richtig. Aber außer uns beiden waren ja auch noch andere Leute an dieser Aufgabe beteiligt. (Shingo) Kawabata6, der Producer, und (Koh) Kojima7, der Director, haben auch dazu beigetragen, weil es wichtig war, nicht nur den Standpunkt der Skript-Autoren zu kennen, sondern die Dinge auch aus der Perspektive des Entwicklungsteams zu betrachten. Mr. Takeda hat eine Zusammenfassung der Geschichte erarbeitet, die ich dann an das Monolith-Team weitergeleitet habe, damit sie ihre Vorschläge dazu machen konnten. Die hat wieder Mr. Takeda erhalten, der die Geschichte dann dementsprechend umgeschrieben hat. Das Hin und Her hat also eine ganze Zeit gedauert. 6 Shingo Kawabata ist ein Entwickler bei Monolith Soft, der als Director an dem Nintendo DS-Spiel "Soma Bringer" gearbeitet hat, das im Februar 2008 in Japan veröffentlicht wurde, und Producer bei "Xenoblade Chronicles" war. 7 Koh Kojima ist ein Entwickler bei Monolith Soft, der als Handlungs- und Missionsplanungs-Director an dem GameCube-Spiel "Baten Kaitos Origins" gearbeitet hat, das im Februar 2006 in Japan veröffentlicht wurde, und Director bei "Xenoblade Chronicles" war.

Iwata:

Werfen Sie sich bei Ihren anderen Projekten sonst auch immer Bälle zu?

Takahashi:

Nein, das mache ich sonst nicht so oft. Manchmal versucht man nämlich, jemandem einen Ball zuzuwerfen, und bekommt ihn dann aber nicht so zurück, wie man es erwartet hat.

Iwata:

Sie haben also früher auch schon Bälle unerwartet zurückgeworfen bekommen, bei denen Sie sagen wollten: "Nein, so doch nicht!" (lacht)

Takahashi:

Ja, richtig. So in die Richtung: "Wo haben Sie den denn jetzt hingeworfen?!" (lacht) Deshalb braucht man beim Ballwerfen einen Partner, der mindestens genauso viel Erfahrung hat wie man selber; sonst läuft alles nicht nach Plan.

Iwata:

Wenn man kreativ arbeitet, braucht man zum Ballwerfen auch einen Partner, der genau weiß, was er da macht, und der etwas einbringen kann, was man selber nicht hat. Sonst kann es wirklich sehr anstrengend werden.

Takahashi:

Das stimmt. Anders gesagt: Wenn man jemanden findet, der eine Reihe von Fähigkeiten hat, die man selber nicht mitbringt, dann sollte man zusammen Ballwerfen spielen.

Iwata:

Und diese Person war in diesem Fall Mr. Takeda?

Takahashi:

Ja, genau. Ich habe vorher noch nie jemanden wie ihn getroffen, und er war so freundlich, mir den Ball sehr präzise zurückzuwerfen. Dabei hab ich auch viel gelernt. Außerdem konnte er die Perspektive einer Person einbringen, die außerhalb der Spiele-Industrie arbeitet, weil er so lange an Animes beteiligt war.